Die Metall X GmbH von Bernhard Juchum (im Bild) und Roland Pfurtscheller gehört zu den vielen Betrieben, die die lange  Metallverarbeitungstradition in Fulpmes mit neuen Ideen und Ansätzen bereichern.
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Fulpmes: Das Tiroler Heavy Metal-Dorf

In Fulpmes ballt sich vielfältiges Metall-Können auf einzigartige Weise. Als Industrie- und Schulstandort strahlt das Dorf weit über die Tiroler Grenzen hinaus – und sendet mit seinen Produkten, Ideen und Innovationen zündende Funken in die Welt. Das einstige Schmiededorf hat sich längst gewandelt – zum Heavy Metal-Hotspot. Born to be wild – and excellent.

Lesedauer: 8 Minuten

Aktualisiert am 29.02.2024

In diesem Eispickel steckt nicht nur alpinistische Weltgeschichte, sondern auch ein reizvolles Kapitel des Metallindustrie-Standortes Fulpmes. Denn dort wurde er produziert. Der Eispickel, der seit vielen Jahren im Museum Reinhold Messners am Kronplatz bei Bruneck ausgestellt wird, wurde 1999 auf dem Gipfel des Nanga Parbat gefunden. 

Der aus Innsbruck stammende alpinistische Überflieger Hermann Buhl (1924 - 1957), hatte ihn am 3. Juli 1953 am Gipfel des 8125 Meter hohen Himalaya-Kolosses hinterlassen. Der Eispickel war der Beweis für die Erstbesteigung dieses Achttausenders, der zu den gefährlichsten und tödlichsten Bergen der Welt zählt. Knapp einen Monat zuvor hatten Edmund Hillary und Tenzing Norgay den Mount Everest als erste bezwungen. Sie hatten den Größten mit künstlichem Sauerstoff und einer stattlichen Zahl an Helfern geschafft, Buhl aber hatte den Gefährlichsten ohne künstlichen Sauerstoff und ganz allein bestiegen, weswegen seine Leistung heute noch als legendär gilt. Mit ihm wurde auch jene in Fulpmes verwurzelte Werksgenossenschaft legendär, die den Eispickel produziert und dem Bergsteiger-Helden für den Nanga Parbat zur Verfügung gestellt hatte.
„Ja, es kann dir ganz leicht passieren, dass du irgendwo auf der Welt unterwegs bist und plötzlich ein Produkt mit dem Stubai-Logo in der Hand hältst“, weiß Johann Deutschmann.

Es kann dir ganz leicht passieren, dass du irgendwo auf der Welt unterwegs bist und plötzlich ein Produkt mit dem Stubai-Logo in der Hand hältst.


Deutschmann ist Bürgermeister der Marktgemeinde Fulpmes und kann viel von der DNA des Dorfes erzählen, in der sich ziemlich sicher metallische Elemente nachweisen lassen. Elemente, die Fulpmes prägen, seit im 14. Jahrhundert damit begonnen wurde, Eisen und Gold in der Schlick, dem prächtigen Talschluss in den Stubaier Alpen, abzubauen und in Fulpmes nicht nur zu verhütten, sondern bald auch zu verarbeiten. Die Nennung der ersten Schmiede reicht ins Jahr 1352 zurück. Der Schlickerbach, der aus der Schlick kommend in Fulpmes in die Ruetz mündet, lieferte die Wasserkraft für die Hammer der Schmiede-Handwerker. Ihre Zahl wuchs mit dem schwindenden Schlicker Bergsegen, denn ehemalige Bergleute wechselten in die Kleineisenindustrie, schlugen Wurzeln und bewiesen recht früh schon ziemlich cleveren Weitblick. „Die vielen kleinen Schmieden haben sich zusammengetan und eine Werkzeuggenossenschaft gegründet“, erzählt Bürgermeister Deutschmann von den Geburtsstunden jener Qualitätsmarke, die Hermann Buhl mit seiner Erstbesteigung adelte.

Große Geburtsstunde

1897 wurde die Genossenschaft gegründet, deren Produkte seit 1960 unter dem Namen Stubai überzeugen. Das starke Logo prangt neben dem umfangreichen und stets mit Neuerungen aufwartenden Bergsportsortiment auf derart vielen, in den 21 Mitgliedsbetrieben im Stubaital hergestellten Werkzeugen, dass es unmöglich ist, sie aufzuzählen. Zangenwerkzeug, Schraubwerkzeug, Schnitzwerkzeug, Drechselwerkzeug, Bauwerkzeug, Spenglerwerkzeug, Forstwerkzeug und so superscharfe wie auf das Einsatzgebiet perfekt „zugeschnittene“ Schneidwaren umreißen die Vielfalt. Meisterhaft gefertigte Schraubzwingen, Stemmeisen, Winkel, Hämmer, Kellen, Bolzenschneider, Meißel, Fliesenschneidmaschinen, Falzeisen, Beile, Messer oder Äxte zählen dazu. Ende 2023 veröffentlichte das Testportal des deutschen F.A.Z.-Verlages beispielsweise das Ergebnis eines Tests, bei dem 18 Spaltäxte auf Herz und Nieren beziehungsweise beim Spalten von Holzstämmen geprüft wurden.

Die Silbermedaille gewann der „Stubai Superspalter 1800g“ und im Testbericht heißt es: „Wer bei einer Spaltaxt einen Stiel aus Holz bevorzugt, sollte eindeutig zum Superspalter von Stubai greifen. […]Mit ihren 2.400 Gramm Gesamtgewicht, wobei 1.800 Gramm für das Haupt entfallen, hat man eine recht ausgewogene Spaltaxt in der Hand, mit welcher man nie das Gefühl hat, die Kontrolle beim Arbeiten zu verlieren. Die Balance zwischen Stielgewicht und Kopfgewicht ist gut getroffen […].“ In einer Axt steckt eben viel mehr Know-how, als Laien es sich träumen lassen. Das mit dem Namen STUBAI verbundene Qualitätsversprechen ist nicht nur in Österreich, sondern in über 60 Länder der Welt lebendig und zeugt vom facettenreichen Spektrum der metallurgischen Wurzeln – auch bei einem der ältesten Werkzeuge der Menschheit.

Man ist untereinander sehr vernetzt und das hilft jedem weiter. Irgendwie ist es ein Cluster, ein freundschaftliches Miteinander.


1897 wurde in Fulpmes aber nicht nur der Grundstein für die außergewöhnliche Genossenschaft gelegt, deren Mitglieds-Unternehmen Spezialisten für bestimmte Produktkategorien sind. Auf Anraten der Wirtschaftskammer, die damals noch Handelskammer hieß, wurde in diesem Jahr auch die Schule für Eisen- und Stahlbearbeitung gegründet. Eine Liaison, die nachhaltig Früchte trägt und Fulpmes zu einem Hotspot der Metaller werden ließ, der in dieser konzentrierten Form ziemlich einzigartig ist. „Die Industriebetriebe, die Schule und das Internat gehören zusammen und haben eine riesen Bedeutung für Fulpmes“, weiß Bürgermeister Deutschmann um die Dynamik dieses Dreigespanns, das nicht nur quirliges Leben in die Kommune bringt, sondern auch gute Einnahmen und noch bessere Perspektiven. Deutschmann: „Nicht wenige Schüler:innen der HTL bleiben in Fulpmes hängen. Wir haben ja auch wirklich tolle Hightech-Betriebe hier.“

Die High-Tech-Schmieden

Hightech. Wie recht der Bürgermeister hat, zeigt etwa die Metall Kofler GmbH. Raimund Kofler gründete das Unternehmen 1972 und mit der Fertigung von Werkzeugen zur Zerspanung beziehungsweise zur Bearbeitung verschiedener Metalle hatte er gleich von Beginn an jenen Weitblick, der das Unternehmen heute zu einem der feinsten Betriebe am Standort macht. Beim Zerspanen werden Werkstücke erzeugt, indem überschüssiges Material in Form von Spänen von einem Rohteil abgetragen wird. Drehen, Bohren, Fräsen oder Schleifen sind die dabei angewandten Verfahren und bei den immer diffiziler, auto matisierter und digitalisierter werdenden Herausforderungen, sind die Lösungen der Metall Kofler GmbH weltweit gefragt.

Der Erfolg wird durch den Innovationsmotor des Unternehmens befeuert und macht auch Unmögliches möglich. Mit dem Ziel, komplexe Werkzeuge zu entwickeln, die auf herkömmliche Weise nicht hergestellt werden können, setzt das Unternehmen beispielsweise auf die additive Fertigung, einem Verfahren, bei dem Metallbauteile dreidimensional gedruckt werden.

Die HTL Fulmpes unter der Führung von Direktor  Martin Schmidt–Baldassari (r.) zählt zu den am besten ausgestatteten technischen Lehranstalten des Landes.  Davon profitieren sowohl die Schüler:innen als auch die heimische Metall-Branche.
© HTL Fulpmes Die HTL Fulmpes unter der Führung von Direktor Martin Schmidt–Baldassari (r.) zählt zu den am besten ausgestatteten technischen Lehranstalten des Landes. Davon profitieren sowohl die Schüler:innen als auch die heimische Metall-Branche.


Jeder innovative Weg des rund 60 Mitarbeiter:innen „starken“

Familienunternehmens erfordert ein Höchstmaß an technischer Finesse. Geschäftsführer Michael Kofler, der auch im Aufsichtsrat der Stubai sitzt, hat die Grundlagen dafür nicht nur von seinem Vater, sondern auch in der HTL Fulpmes gelernt. „Ich habe dort 1985 maturiert, mein Sohn Tobias hat die HTL ebenso besucht und einige unserer Mitarbeiter sind Abgänger der Schule“, sagt Michael Kofler, der auch auf das Zusammenspiel der Metallverarbeiter vor Ort hinweist – und betont: „Man ist untereinander sehr vernetzt und das hilft jedem weiter. Irgendwie ist es ein Cluster, ein freundschaftliches Miteinander.“

Dieses Miteinander beschreibt Bernhard Juchum, einer der beiden Geschäftsführer der ebenso in Fulpmes ansässigen  Metall X GmbH, so: „Wir können mit allen Firmen zusammenarbeiten. Wenn irgendwas fehlt, irgendein Material, dann bekommst du es recht schnell bei einer der Nachbarfirmen. Man hilft zusammen.“ Juchum und sein Kollege und Co-Geschäftsführer Roland Pfurtscheller hat es 2008 nach Fulpmes gezogen. „Da haben wir bei der Kunstschmiede Hofer zu arbeiten begonnen und wussten, dass wir das Unternehmen früher oder später übernehmen können“, erzählt er.

Letztes Jahr war es so weit und die beiden konnten damit beginnen, auf den Fundamenten der Kunstschmiede Hofer ihr neues Unternehmen zu bauen. Ihr Können machen sie seither mit metallbaulichen Lösungen greif- und sichtbar – etwa in der professionellen Fertigung und präzisen Montage von Geländern, Carports, Vordächern oder einzigartigen Metallkonstruktionen. „Das mit dem klassischen Schmieden ist extrem zurückgegangen, wenn etwas geschmiedet werden soll, macht das der Chef“, weist Juchum darauf hin, dass Johann Hofer in den Räumen seines ehemaligen Unternehmens nach wie vor das alte Handwerk ausübt, wenn es gefragt ist.

Als die HTL Fulpmes noch keine so große Werkstatt hatte, wurde den Schülern in der Kunstschmiede Hofer das Schmiedehandwerk gelernt. Nicht Ausnahme sondern Regel ist es auch heute, dass sich die Wege der Unternehmen mit der HTL Fulpmes kreuzen. „Wir haben beispielsweise das Stiegengeländer in der Schule gemacht und einer unserer Lehrlinge, der gerade die Gesellenprüfung bestanden hat, hatte in der Corona-Zeit von der Schule zu uns gewechselt, um mit der Lehre zu beginnen“, so Juchum.

Innovative Geister

Dass Esse, Glut und Hammer in der Ausbildung moderner Metalltechniker eher einen exotischen Touch bekommen haben, liegt an der rasanten Entwicklung der Fachbereiche, mit der die Schule stets Schritt hält - und nicht selten auch neue Schritte setzt. Dann, wenn Unternehmen mit Problemen an die Schule herantreten und wache Köpfe brauchen, die lösungsorientiert experimentieren. Etwa in den Bereichen Automatisierung oder Robotik. „Das sind dann eher Machbarkeitsstudien, die im Werkstättenunterricht stattfinden und die wir relativ rasch einbauen können“, erklärt Martin Schmidt-Baldassari, Direktor der HTL Fulpmes. Die Ausbildung an der zwar mit knapp 240 Schüler:innen kleinen, im Output aber ziemlich großartigen Schule ist, ist extrem nah an der Zeit – und damit extrem spannend.

Im September 2022 wurde beispielsweise der Ausbildungszweig „Digital & Future Technologies“ eingeführt und damit auf die Anforderung an angehende Maschinenbauer reagiert, digitale Lösungen programmieren und anwenden zu können. In enger Abstimmung mit Vertreter:innen der Leitbetriebe vor Ort wird ständig an der Finesse des Unterrichts gearbeitet. „Das ist ein relativ kleiner Kreis, weil wir da versuchen, schlagkräftig zu sein“, erklärt Schmidt-Baldassari die kurzen Wege, die nicht zuletzt durch die dörflichen Strukturen im Metaller-Hotspot möglich sind.

So werden in beeindruckendem Takt innovative Geister geweckt. Als der Förderverein Technik Tirol im vergangenen Jahr unter dem Titel „Be the Best“ die herausragendsten Diplom- und Facharbeiten auszeichnete, sorgten drei Schüler der HTL Fulpmes beispielsweise mit ihrer „Produktentwicklung eines schonenden Herdenschutzsystems“ für Aufsehen. Das Wolf-Vergrämungssystem, das Glocken und Schellen der Herdentiere durch eine Ultraschallquelle ersetzt und den Wolf vertreibt, ist jedenfalls eine ziemlich clevere Lösung für ein ziemlich brennendes Problem. Lösungen für Probleme zu finden, ist eine der großen Triebfedern an der Schule – und auch der Hintergrund für die Anfang 2024 installierten und präsentierten Lernfabriken, mit denen Prozesse oder Produktionsketten erst digital und dann real optimiert werden können.

Entwicklungen mitgehen

„Vor ein paar Jahren gab es in den Fulpmer Werkstätten schon 500 Roboter. In der Zwischenzeit hat sich die Zahl sicher verdoppelt. Wir versuchen, diese Entwicklungen mitzugehen und die Themen abzudecken, so gut wir das in den fünf Jahren Ausbildung können“, so der Direktor, dessen Welt auch in anderer Hinsicht der unternehmerischen sehr nahe ist. „Seit meinem ersten Jahr als Direktor – ich bin im 12. Jahr – ist der Kodex der Schulgesetze um 30 Prozent gewachsen. Ich frage mich, wozu wir heute 30 Prozent mehr Vorschriften und Gesetze brauchen, als vor 11 Jahren“, sagt Schmidt-Baldassari und regt an, die Hälfte der Regeln zu streichen, um sich wieder mehr beziehungsweise angemessen der Kernaufgabe widmen zu können – also „die jungen Leute gut zu betreuen“.

Am intensivsten werden die dynamischen Schnittstellen zwischen Schule und Unternehmen erlebbar, wenn im Rahmen des jährlich stattfindenden Firmentages die Unternehmen direkten Kontakt zu den Schüler:innen suchen – und Einblicke in die potenzielle Zukunft bieten. Am 18. April 2024 steht der nächste auf dem Programm.

Das Schmieden ist da zwar längst nicht mehr der Kern – wohl aber ist es die Wurzel für den vielleicht außergewöhnlichsten Metallindustriestandort des Landes – das Heavy Metal-Dorf
Fulpmes.