Christoph Walser und Stefan Garbislander
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Wachstumsflaute, aber keine Rezession in Tirol

Tirols Wirtschaft wird 2023 zwar nur moderat wachsen, aber wieder das Niveau vor Corona erreichen. Energie und Fachkräfte bleiben die größten Herausforderungen.

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Aktualisiert am 30.05.2023

Während sich das erste Halbjahr 2022 wirtschaftlich positiv – vor allem im zweiten Quartal sogar sehr dynamisch – entwickelte, wirkten im zweiten Halbjahr 2022 der Arbeitskräftemangel, die hohen Energie- und Rohstoffpreise und damit einhergehend eine hohe Inflationsrate bereits wachstumsdämpfend. „Die aktuelle wirtschaftliche Lage wird von den Betrieben nach wie vor tendenziell positiv bewertet: 35 % der befragten Tiroler Leitbetriebe bewerten ihre wirtschaftliche Lage als gut; 49 % als zufriedenstellend/saisonüblich und 16 % als schlecht“, fasst WK-Präsident Christoph Walser die Situation zusammen. 

Auffallend ist, dass sich die wirtschaftliche Lage vor allem bei den Produktionsbetrieben im Vergleich zur Situation vor einem Jahr zum Teil deutlich eingetrübt hat: „Während im Jänner 2022 56 % der Gewerbebetriebe und 57 % der Industriebetriebe eine gute wirtschaftliche Lage meldeten, sind es aktuell 41 % bzw. 35 %“, erklärt der Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik, Innovation und Nachhaltigkeit der WK Tirol, Stefan Garbislander. Konträr dazu stellt sich die Situation im Tourismus dar: 48 % melden eine gute wirtschaftliche Lage – vor einem Jahr waren es coronabedingt nur 15 %. Über die verschiedenen Branchen hinweg hat sich damit die wirtschaftliche Lage angeglichen. „Der breite Branchenmix ist eine große Stärke des Standorts Tirol. Während in der Pandemiezeit die Industrie und die Bauwirtschaft die Konjunktur stützten, ist es 2023 der Tourismus. Dieser Ausgleich hilft uns über schwierige Phasen hinweg“, betont Christoph Walser.

"Der breite Branchenmix ist eine große Stärke des Standorts Tirols."

 Erwartung für das erste Halbjahr: Stagnation

Für die Monate bis zur Jahresmitte 2023 gehen die Tiroler Leitbetriebe überwiegend von einer wirtschaftlichen Stagnation aus: Konkret erwarten 68 % eine gleichbleibende wirtschaftliche Entwicklung; 17 % eine Verbesserung und 15 % eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage ihres Unternehmens. Skeptisch sind vor allem der Tiroler Handel und die Tiroler Industrie. Optimistischer ist hingegen der Tiroler Tourismus.

Geschäftsklimawert: noch positiv

Der Geschäftsklimawert insgesamt (als Mittelwert zwischen aktuelle Lage und den Erwartungen für die kommenden sechs Monate) geht zwar von +24 %-Punkten vom Sommer 2022 auf nun +7 %-Punkte zurück, bleibt damit aber klar im positiven Bereich. „Tirols Wirtschaft erfährt in den ersten beiden Quartalen 2023 eine Schwäche – aber keine Rezessionsphase“, erklärt der WK-Präsident. In Summe hat unser Wirtschaftsstandort die Krisen schneller verkraftet als erwartet. Während es 2020 einen Rückgang um 9 % und 2021 ein Nullwachstum gab, legte die Wirtschaft 2022 um 6 bis 7 % zu und wird 2023 um 1 bis 2 % wachsen. „Damit werden wir bereits Ende 2023 das Vor-Coronaniveau wieder erreichen – das ist rascher als erwartet. Unser Standort erweist sich damit als sehr krisenresistent“, hebt WK-Präsident Walser hervor.

Wirtschaftsjahr 2023: Gedämpfte Erwartungen

Für das gesamte Wirtschaftsjahr 2023 haben die Betriebe gedämpfte Erwartungen. Die Energiekosten und der Arbeitskräftemangel bleiben die größten betrieblichen Herausforderungen. Was die Wirtschaftsentwicklung Tirols im Jahr 2023 betrifft, sind die Leitbetriebe sehr zurückhaltend: 12 % sind für das Wirtschaftsjahr 2023 eher optimistisch, 30 % pessimistisch und 59 % neutral (2022: 25 % / 14 % / 61 %).

Größte Herausforderungen

86 % der befragten Leitbetriebe geben an, dass die Energie-und Rohstoffpreise ihre aktuell größte betriebliche Herausforderung darstellen. Zum Vergleich: vor 2 Jahren waren es nur 18 %. Gleichauf liegt die Herausforderung des Arbeitskräftemangels mit 85 %, gefolgt von den Arbeitskosten (50 %). Ebenfalls spürbar: Durch die Zinswende gewinnt auch das Thema der Finanzkonditionen wieder Bedeutung (20 %). Die derzeit unsichere Corona-Entwicklung in China könnte zudem die Lieferketten-Problematik neu entfachen (42 %).

Energie: hohe Betroffenheit

Rund 22 % der Tiroler Leitbetriebe geben an, dass sie von der aktuellen Energiekrise (Preisanstiege und Versorgungssicherheit) sehr stark betroffen sind; 37 % sind stark betroffen und ein Drittel der Betriebe zumindest teilweise betroffen. „Der Energiekostenzuschuss 2 nimmt mit besseren Rahmenbedingungen und einer bis zu 60-prozentigen Abdeckung der Mehrkosten Druck von den Betrieben und stellt die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere mit Deutschland wieder her“, hebt Christoph Walser positiv hervor. Über 60 % der Betriebe fordern eine koordinierte Vorgehensweise auf EU-Ebene (also eine Entkopplung des Strompreises vom Gaspreis) und 43 % die Erschließung weiterer Energiequellen (zum Beispiel Ausbau der Erneuerbaren aber auch eine Nutzung der Fracking-Technologie in Europa).

"Die wachstumsstärkste Branche dürfte 2023 die Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft sein."

 

Prognoseübersicht 2023

„Nach einem insgesamt kräftigen Wachstum von real rund 6 % bis 7 % der Bruttowertschöpfung im Jahr 2022 gehen wir davon aus, dass Tirol im Jahr 2023 – trotz Schwächephase im ersten Quartal – ein reales Wirtschaftswachstum von bis zu 2 % erreichen kann, was über dem Österreichschnitt liegt“, erklärt Stefan Garbislander. Die wachstumsstärkste Branche dürfte 2023 die Sparte Tourismus und Freizeitwirtschaft sein. Eine Stagnationsphase wird es hingegen in der Tiroler Bauwirtschaft und in den Tiroler Industrie geben.

Die Konjunkturabkühlung wird auch die Beschäftigungsdynamik zumindest im ersten Halbjahr 2023 bremsen. Es ist allerdings davon auszugehen, dass aufgrund der nach wie vor hohen Anzahl an offenen Stellen (aktuell rund 10.000 in Tirol) es über das Gesamtjahr nur zu einem leichten Anstieg der Arbeitslosenquote auf rund 4,2 % kommen wird. „Der Arbeitskräftemangel bleibt somit ein bestimmendes Thema für die Betriebe. Wir brauchen dringend Maßnahmen seitens der Politik – vom Ausbau der Kinderbetreuung über bessere Rahmenbedingungen für längeres Arbeiten bis hin zur qualifizierten Zuwanderung“, fordert Präsident Christoph Walser.

Nach den außergewöhnlich niedrigen Insolvenzen der Jahre 2020 und 2021 (160 bzw. 148), welche in wesentlichen auf die Corona-Unterstützungsmaßnahmen zurückzuführen waren, stieg die Anzahl der Insolvenzen in Tirol 2022 auf 314. Für das Jahr 2023 wird mit rund 400 Unternehmensinsolvenzen in Tirol gerechnet. Damit gleichen sich die Insolvenzen dem langjährigen Schnitt an.

Details und Grafiken zum Wirtschaftsausblick 2023 finden Sie hier