Hochspannungsleitung
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Was passiert, wenn’s überall dunkel wird?

Wie wahrscheinlich ist ein Blackout? Welche Vorkehrungen gibt es? Wie lange dauert die Wiederherstellung? Experten der Tinetz geben fundierte Antworten.

Lesedauer: 4 Minuten

Aktualisiert am 03.05.2023

noch nicht gegeben. Wir kennen das Phänomen bloß aus der Berichterstattung über andere Länder und als Gegenstand von reißerischen TV–Serien. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit eines solchen Blackouts nach wie vor gering ist, haben die Risiken zuletzt zugenommen: Der Ukraine-Krieg führt zu Engpässen bei der Gasversorgung. Zudem stellt die notwendige Energiewende eine enorme Belastung für die Netzinfrastruktur dar.

Netzstabilität als oberstes Ziel

Im Rahmen der Online-Diskussionsserie #Zammredn der WK Tirol hat Stefan Garbislander, Leiter der Abteilung Wirtschaftspolitik, Innovation und Nachhaltigkeit der Wirtschaftskammer Tirol, zwei Persönlichkeiten eingeladen, die es wissen müssen und der Spekulation ein Ende machen: Thomas Trattler, Geschäftsführer der Tinetz-Tiroler Netze GmbH, und Christian Ammer, Abteilungsleiter Systemführung Netze bei der Tinetz. Im Rahmen dieses virtuellen Energy Talks erfuhren die Teilnehmer, welche Vorkehrungen die Netzbetreiber treffen, wie eng die Zusammenarbeit mit österreichischen und europäischen Partnern ist und wie schnell die Wiederherstellung der Stromversorgung im Fall des Falles dauert.

Die gute Nachricht zuerst: Die Tinetz kann zwar Ausfälle nicht zu 100 % ausschließen, aber im Notfall eine rasche Wiederherstellung garantieren. Dafür gibt es sieben Stützpunkte, verteilt über ganz Tirol mit 260 Monteuren. Stolz ist Geschäftsführer Thomas Trattler  darauf, dass Tirol schon immer weniger Ausfälle als der Österreichschnitt zu verzeichnen hatte – und das trotz der sehr herausfordernden Topographie unseres Bundeslandes. Das Stromnetz, das in Tirol immerhin eine Länge von 12.000 km aufweist, ist gleichzeitig ein Seismograph für die wirtschaftliche Entwicklung. Offenkundig hat sich die Konjunktur wieder erholt, die Systembetreiber melden wieder Verbrauchsdaten wie vor Corona.

Verbrauch und Erzeugung müssen immer ausgeglichen sein, damit die Netzstabilität gegeben ist.

Erneuerbare Energien als Herausforderung für das Netz

Als riesige Herausforderung für das Stromnetz stellt sich das von der Bundesregierung ausgegebene Ziel dar, die Versorgung bis zum Jahr 2030 zu 100 % aus erneuerbaren Energien zu bestreiten. „Das erfordert eine sichere Integration erneuerbarer Energien in die bestehenden Netze,“ erklärt Thomas Trattler. Das ist nur mit laufenden Inves-titionen möglich. Der Geschäftsführer verweist auf die ambitionierten Zielsetzungen des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes: Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen soll bis 2030 um 27 Terawattstunden gesteigert werden. Das heißt für die einzelnen Teilbereiche in harten Zahlen: Wasserkraft +12 %, Windenergie +180 %, Photovoltaik +1.000 %, Biogene Brennstoffe +18 %.

Seitens des Bundes sind dafür jährliche finanzielle Mittel in der Höhe von 1 Milliarde Euro in Form von Förderungen vorgesehen. Alleine im Bereich Photovoltaik bedeutet das für Tirol, dass jährlich ca. 5.000 PV-Anlagen mit 15 kW in Betrieb genommen werden müssen. Das erfordert seitens des Netzbetreibers pro Jahr zusätzliche 40 bis 50 neue Transformatorstationen, um die neue Energie sicher in die bestehenden Netze zu integrieren. Dafür sind zwischen 15 und 20 Millionen an zusätzlichen Investitionen jährlich nötig, was ohne Erhöhung der Netzkosten und Netztarife nicht möglich sein wird.

Geringer Toleranzbereich

Doch zurück zur Versorgungssicherheit. Christian Ammer erläutert näher die technischen Hintergründe: „Verbrauch und Erzeugung müssen zu jedem Augenblick ausgeglichen sein, damit die Netzstabilität mit 50 Hertz durchgehend gegeben ist.“ Ein Vergleich verdeutlicht, wie eng der vorgegebene Toleranzbereich in der Höhe von 200 Millihertz ist: Würde man mit dem Auto mit der Geschwindigkeit von 100 km/h fahren, hätte man lediglich einen Spielraum von 0,4 km/h nach oben beziehungsweise nach unten. Tirol verfügt über die Knoten Westtirol, Silz, Zell und Lienz über vier Anbindungen zu Übertragungsnetzbetreibern.

Über diese ist Tirol stark an das europäische Verbundnetz angebunden. Im Verbundnetz sorgen viele Generatoren in den Bereichen Wasser, Gas, Kohle und Atomkraft für Ausgleich. Aber: Das Sys-tem wird durch die Abschaltung von Kohle- und Atomkraftwerken und deren Ersatz durch Wind- und PV-Anlagen instabiler. Um die vorgegebene enge Bandbreite zu halten, sind gewisse Automatismen vorgesehen, etwa die Abstellung von Pumpen oder das Anfahren abgestellter Generatoren. Dieses Gegensteuern verhindert im Regelfall ein Blackout und sorgt dafür, dass die nötige Netzfrequenz aufrecht gehalten werden kann. In den letzten fünf Jahren war an zwei von drei Tagen ein Eingriff – ein so genannter Redispatch – notwendig, um das Netz zu stabilisieren. Diese Eingriffe sind kostenintensiv, aber für die Systemsicherheit unumgänglich.


Die großen Tiroler Wassserkraftwerke sind schwarzstartfähig – sie können ohne Energie von außen in Betrieb gehen.

Inselbetrieb bei Blackout

Sollte trotz aller Vorsorgemaßnahmen ein großflächiger Ausfall des Netzes eintreten, ist die Tinetz nicht unvorbereitet. Es gibt in Abstimmung mit dem österreichischen und europäischen Netz vorbereitete Wiederaufbaukonzepte. Diese werden laufend aktualisiert, zudem erfolgen Versuche und Trainings des Leitstellenpersonals gemeinsam mit allen Beteiligten. Nach einem europäischen Blackout, bei dem keine stabile Spannung von außen angeboten werden kann, wird die Wiederversorgung Tirols im Inselbetrieb angestrebt.

Für diesen Fall ist folgender zeitlicher Ablauf zu erwarten: Rund 60 Minuten nach Störungseintritt erfolgt das Hochfahren der Spannung, 75 Minuten nach Störungseintritt werden Lastzuschaltungen vorgenommen. Nach ca. 3 Stunden sollte die Grundversorgung im Inntal weitgehend wiederhergestellt sein. Nach weiteren 2 Stunden wird dieser auf ganz Tirol ausgedehnt. Die Dauer der möglichen Versorgung im Inselbetrieb hängt von den verfügbaren Kraftwerken, vom Wasserangebot und den Speicherinhalten sowie der jeweiligen Netzlast ab. Ist eine Vollversorgung bis zur Rückkehr in den Normalbetrieb nicht möglich, erfolgt eine rotierende Flächenversorgung.

Einer der Hauptgründe für diese kurze Reaktionszeit sind die großen Tiroler Wasserkraftwerke: „Diese sind schwarzstartfähig, das heißt, dass sie ohne äußere Energie in Betrieb gehen können. Darin liegt ein großer Vorteil, um die Stromversorgung in Tirol nach einem Blackout wieder herzustellen. Damit es aber schon gar nicht so weit kommt, tun wir seitens der Tinetz alles, um die Netze auch in Zukunft stabil zu halten“, betont Thomas Trattler.