Ein wesentliches Element des geplanten Lieferkettengesetzes besteht darin, dass Unternehmen nicht nur ihre direkten Zulieferer unter die Lupe nehmen müssten, sondern die gesamte Wertschöpfungskette. „Das würde tausende Dokumentationen nach sich ziehen und ist in keinster Weise praxistauglich
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Die Abstimmung zum EU-Lieferkettengesetz wurde verschoben. Die Wirtschaft bekennt sich zur Nachhaltigkeit bei Arbeitsbedingungen und im Umweltschutz, sieht aber im derzeitigen Entwurf ein Bürokratiemonster.

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Aktualisiert am 29.02.2024

Zwei Jahre lang hat die EU über das Lieferkettengesetz verhandelt. Nun wurde aufgrund des Widerstands von Deutschland und Österreich die Abstimmung im EU-Rat auf unbestimmte Zeit verschoben. Worum geht es dabei eigentlich? Und wieso ist es so schwierig, einen Kompromiss zu finden?

Gute Intention, schlechte Umsetzung

Die Intention ist im Grunde ganz einfach: Der Konsum von Produkten und Dienstleistungen soll Menschen und Umwelt weniger schaden als es derzeit der Fall ist – und das weltweit. Die Grundidee: Große, europäische Unternehmen sollen genau wissen, was bei ihren Zulieferern und Subunternehmen passiert, müssen dies in Berichten festhalten und gegebenenfalls die dort herrschenden Arbeitsbedingungen und Umweltstandards verbessern. Das ist der ambitionierte Kern des EU–Lieferkettengesetzes. Der nunmehr vorliegende Entwurf sieht Folgendes vor: Direkt erfasst wären Unternehmen ab 500 Mitarbeiter:innen und einem Jahresumsatz von 150 Millionen Euro.

In Risikosektoren wie der Textilbranche gilt eine Schwelle von 250 Beschäftigten und 40 Millionen Euro Umsatz. Indirekt betroffen wären aber auch Klein- und Mittelbetriebe, weil größere Konzerne ihre Pflichten vertraglich an ihre direkten Zulieferer weitergeben werden. Ein wesentliches Element besteht darin, dass Unternehmen nicht nur ihre direkten Zulieferer unter die Lupe nehmen müssten, sondern die gesamte Wertschöpfungskette. Wie genau das zu definieren ist, lässt der Entwurf offen, dadurch entsteht beträchtliche Rechtsunsicherheit. Wirtschaftsminister Martin Kocher hat nun die Notbremse gezogen und wie Deutschland die Zustimmung verwehrt. Aus Sicht der Wirtschaftskammer ein richtiger Schritt, denn: Am Ziel des Gesetzes besteht kein Zweifel, das Problem liegt im Wie.

Praktikabel ist anders

Die Wirtschaftskammer bekennt sich zu nachhaltigem wirtschaftlichen Handeln. Allerdings hält die Präsidentin der Wirtschaftskammer Tirol, Barbara Thaler, die aktuelle Form des Lieferkettengesetzes für keinen praktikablen Weg, um dieses Ziel zu erreichen. „Wenn dieses Gesetz so kommen würde, wäre es ein Anschlag auf unsere Wettbewerbsfähigkeit. Wie sollen Klein- und Mittelunternehmen die komplette Wertschöpfungskette ihrer Lieferanten beurteilen? Dazu müsste der Lieferant des Lieferanten seines Lieferanten nachvollzogen werden. Das würde tausende Dokumentationen nach sich ziehen und ist in keinster Weise praxistauglich“, warnt die Präsidentin.

Sie weist darauf hin, dass ein nicht administrierbares Gesetz das eigentliche Ziel, die hohen ethischen Standards außerhalb der EU zu fördern, gefährden würde. „Auf diese Art erreichen wir keine Verbesserung der Lebenssituation der Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern“, betont Thaler, „daher habe ich mich im Juni letzten Jahres bei der Abstimmung im Europaparlament dagegen ausgesprochen.“

Hoher Aufwand, geringer Effekt

Ähnlich sieht das der Spartenobmann der Tiroler Industrie, Max Kloger: „Wir Europäer dürfen uns nicht überschätzen, dass wir mit einem hochbürokratischen Korsett der ganzen Welt unsere Standards aufzwingen können.“ Im Gegenteil: wichtige Lieferanten aus Asien, etwa in der Chipindustrie, haben bereits deutlich gemacht, dass sie sich in diesem Fall nach anderen Absatzmärkten umschauen werden. Auch wenn österreichweit „nur“ etwas mehr als 1.000 Firmen betroffen wären, darf die Dimension nicht übersehen werden. Es handelt sich um große Leitbetriebe mit tausenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die täglich mit ihren Produkten und Dienstleistungen am Weltmarkt bestehen müssen. Sie sind häufig der Wirtschaftsmotor in den Regionen und strahlen auf zahlreiche Zulieferer aus. Wenn sie derart hochbürokratische Vorgaben administrieren müssten, würde das nicht nur einen enorm hohen Aufwand bedeuten, sondern auch den Verlust von Geschäftsbeziehungen.

Das ändert in den betroffenen Ländern nichts, drängt aber die ohnehin massiv unter Druck stehende heimische Industrie ins Abseits. Noch dazu hängt ständig das Damoklesschwert hoher Strafzahlungen – bis zu 5 % des Jahresumsatzes – über ihrem Kopf. Für den Spartenobmann steht fest: Die Politik wälzt mit dem vorliegenden Entwurf ihre bisherigen Versäumnisse auf die Wirtschaft ab. Die Unternehmen sollen nun mit untauglichen Vorgaben lösen, was internationale Institutionen über Jahre nicht erreicht haben. Der Großteil der heimischen Industrieunternehmen führt bereits seit Jahren Sorgfaltsprüfungen entlang ihrer Lieferketten durch. Aber das geschieht ohne ausufernde Bürokratie, ohne überzogene Strafdrohungen, ohne Rechtsunsicherheit und im Rahmen des Machbaren. „Alles andere führt in eine Sackgasse“, so Kloger.

Administrierbare Regeln gefordert

Die Auswirkungen des derzeitigen Entwurfs zum Lieferkettengesetz würden zudem weit über die Industrie hinaus reichen: Häufig wird argumentiert, kleine und mittlere Betriebe seien vom Lieferkettengesetz gar nicht erfasst. Da stimmt nur teilweise, denn KMU wären sehr wohl indirekt betroffen, etwa wenn sie große Unternehmen beliefern. Für Barbara Thaler bleibt kein anderer Weg, als das Gesetz zurück an den Start zu schicken und einen praxistauglichen Entwurf zu erarbeiten. „Wir brauchen Regeln, die auch administrierbar sind“, so Thaler. „machen wir, was machbar ist, und wo wir einen sinnvollen Beitrag leisten können. Der derzeitige Entwurf des Lieferkettengesetzes ist realitätsfern und wird nicht helfen, die Zielsetzungen zu erreichen“, ist die Präsidentin überzeugt.

3 Fragen an Max Kloger Spartenobmann der Tiroler Industrie

Je näher man sich damit befasst, desto größere Fragezeichen tauchen auf. Viele Begriffe sind unbestimmt, die Unternehmen sind nicht nur mit hohem Aufwand, sondern auch mit hoher Rechtsunsicherheit konfrontiert. Das ist nicht zumutbar, denn schließlich stehen exorbitante Strafen bis zu 5 % des Jahresumsatzes im Raum.

Große Industriebetriebe müssten alle ihre Lieferanten akribisch durchleuchten – das sind bei manchen mehrere Tausend. In Zweifelsfällen müssten neue Geschäftspartner gesucht werden – aber das geht auf industriellem Niveau nicht von einem Tag auf den anderen. Für die internationale Wettbewerbsfähigkeit wären diese Vorgaben eine große Belastung.

Mit einem pragmatischen Blickwinkel auf das Ziel, mehr Nachhaltigkeit weltweit zu erreichen. Europa kann hier einen Anstoß liefern, aber nichts mit der Brechstange durchsetzen. Und natürlich müssten der administrative Aufwand überschaubar und allfällige Strafen angemessen sein.