Starke Frauen in der Wirtschaft – Potenziale und Herausforderungen
© Alexandra Serra

Starke Frauen in der Wirtschaft 

Über 140.000 Unternehmerinnen prägen die österreichische Wirtschaft. Unternehmensgründungen durch Frauen erreichten 2023 sogar einen Rekordwert. Die Erwerbsquote von Frauen liegt in Österreich über dem EU-Schnitt, in Vorarlberg hingegen darunter. Eine Vorarlberg-Studie macht die Potenziale, aber auch Hürden von weiblichen Arbeitskräften im Land sichtbar.

Lesedauer: 7 Minuten

Aktualisiert am 17.04.2024

„Frauen leisten Großartiges in der Wirtschaft“, betont Martha Schultz, Bundesvorsitzende Frau in der Wirtschaft Österreich und WKÖ-Vizepräsidentin, anlässlich ihres Vorarlberg-Besuches. Das zeige sich anhand der über 140.000 Unternehmerinnen, an der weiblichen Erwerbs- und Bildungsquote und an den über 13.000 Gründungen von Einzelunternehmen in Österreich durch Frauen.

Ihre Erwerbsquote in Österreich liegt bei 73,4 Prozent und damit klar über dem EU-Durchschnitt von 69,5 Prozent. Auch in Sachen Bildung sind Frauen eindeutig auf der Überholspur. Haben 1980 noch lediglich 20 Prozent der Frauen und 21 Prozent der Männer maturiert, so lag die sogenannte Reifeprüfungsquote der Frauen 2022 bei 49,7 Prozent bei Frauen gegenüber 35,2 Prozent bei Männern. Schultz: „Erfreulicherweise sehen wir auch einen positiven Trend in der Lehrlingsausbildung: Immer mehr Mädchen entscheiden sich einen technischen Beruf zu ergreifen. Lag der Anteil von Mädchen in der Lehrberufsgruppe ‚Elektrotechnik / Elektronik‘ 2005 noch bei 2,4 Prozent, liegt er heute schon bei 8,04 Prozent.“

2023 wurde mehr als jedes dritte Unternehmen in Österreich (39,3 Prozent) von einer Frau geleitet. Auch in den Top-Positionen von Unternehmen sieht man den steigenden Frauenanteil: So sind die Handelsrechtlichen Geschäftsführerinnen im Jahr 2023 im Vergleich zu 2022 um 4,4 Prozentpunkte auf 14,8 Prozent oder auf 38.590 Posten gestiegen. Auch bei den Aufsichtsrätinnen konnte 2023 eine Steigerung von 4,7 Prozent im Vergleich zu 2022 auf 22,7 Prozent (3.785 Mandate) erzielt werden. Die Zahl der weiblichen Gründerinnen liegt aktuell bei 44,5 Prozent. „Noch nie haben so viele Frauen ein Unternehmen gegründet. Fast jedes zweite Unternehmen wird von einer Frau gegründet“, sagt Schultz und erklärt weiter: „Eine der größten Herausforderung für Unternehmerinnen und Frauen in der Wirtschaft ist aber nach wie vor die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Frau in der Wirtschaft und ich ganz persönlich setzen uns seit vielen Jahren konsequent für Verbesserungen in diesem Bereich ein – in ganz Österreich, denn Frau in der Wirtschaft ist in allen neun Bundesländern mit starken Frauen vertreten.“

Agenda Kinderbildung & Kinderbetreuung
„Es sind leider meist immer noch die Frauen, die den schwierigen Drahtseilakt zwischen Familie und Beruf meistern müssen. Hier muss endlich etwas weitergehen: einerseits beim Aufbrechen verkrusteter Rollenbilder, andererseits mit konkreten Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit“, betont die Bundesvorsitzende von Frau in der Wirtschaft. Konkrete Zahlen dazu: Mit einer Betreuungsquote von 29,9 Prozent der unter Dreijährigen in formeller Kinderbetreuung liegt Österreich unter dem EU-27-Durchschnitt und nur im hinteren Mittelfeld. Auch das Barcelona-Ziel wurde bis dato nicht erreicht. Laut einer AMS-Erhebung geben 65.200 Frauen in Österreich an, dass sie ihre Arbeitszeit ausweiten würden, wenn sie mehr Kinderbetreuung hätten.

Auf Initiative von WKÖ-Präsident Harald Mahrer wurde bereits im Sommer 2023 gemeinsam mit Expert:innen die Agenda Kinderbildung & Kinderbetreuung erarbeitet. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördert die Gleichberechtigung beider Elternteile. Formelle Kinderbetreuung sei auch ein entscheidendes Kriterium, ob Eltern und insbesondere Frauen, entweder in Teilzeit oder gar nicht am Arbeitsmarkt teilnehmen, weiß Martha Schultz. Das resultiert für Frauen in Gehaltseinbußen und später in einer geringeren Pension.
Dass Bundeskanzler Karl Nehammer zusätzliche Mittel in Höhe von 4,5 Milliarden Euro für Kinderbetreuung zugesagt hat, sei ein gemeinsamer Erfolg. Jetzt komme es auf die genaue Ausgestaltung und die rasche Umsetzung der Maßnahmen an. Martha Schultz betont: „Ein qualitätsvolles Angebot an formeller Kinderbetreuung gibt Eltern Wahlfreiheit bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Leistbarkeit, Flexibilität und insbesondere auch Qualität müssen gewährleistet sein. Die Ausweitung des Angebots soll durch primär institutionalisierte Strukturen, ergänzend betrieblicher Angebote sowie neuer Marktinitiativen erreicht werden.“

Konkrete Forderungen von Frau in der Wirtschaft Österreich

Qualitativer und quantitativer Ausbau des Betreuungsangebotes:
- Angebotsausbau, v. a. für unter Dreijährige – flächendeckend, qualitätsvoll und leistbar mit flankierenden Angeboten (z. B. Tageseltern, Betriebstageseltern)
- Ausweitung der Öffnungszeiten zumindest nach den VIF-Kriterien (Vereinbarkeitsindikator für Familie und Beruf): 47 Wochen/Jahr, mind. 45 Stunden/Woche, an vier Tagen/Woche, mind. 9,5 Stunden geöffnet); Öffnungszeiten müssen mit Vereinheitlichung und Reduzierung der Schließtage (über das Jahr verteilt nicht mehr als drei Wochen)
- Betreuung bis zum Ende der Schulpflicht
- Nachmittags- und Ferienbetreuung in den Sommerferien
- Förderung von MINT und Digitalisierung
- Betriebskindergarten unterstützen

„Die Wirtschaft braucht mehr Frauenpower: Viele Studien beweisen, wie wichtig Frauen für den wirtschaftlichen Erfolg, aber auch für die innerbetriebliche Kultur sind und zeigen gleichzeitig auf, dass gerade die private Care-Arbeit immer noch (zu) weiblich ist. Die Frage lautet daher: Was muss passieren, damit die Potenziale der Frauen am Arbeitsmarkt UND bei Familie und Pflege genutzt werden können und dabei auch den Bedürfnissen der Frauen optimal Rechnung getragen werden kann?“, erklärt Wilfried Hopfner, Präsident der Wirtschaftskammer Vorarlberg: „Wir freuen uns sehr, dass Martha Schultz mit ihrer unglaublichen Energie und Entschlossenheit als Pionierin für Frauen in der Wirtschaft bei uns in Vorarlberg weilt und Einblick nimmt in großartige Vorarlberger Unternehmen mit Frauen an der Spitze. Von den Maßnahmen, die sie mitbringt und von den nächsten Schritten bzw. Forderungen aus der Arbeit von Frau in der Wirtschaft profitieren alle Bereiche, Sparten und der Vorarlberger Wirtschaftsstandort an sich.“

Vorarlberg-Studie zeigt Arbeitskräftepotenzial von Frauen
Ziel, ist es, mehr Frauen für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Frau in der Wirtschaft Vorarlberg hat deshalb eine großangelegte Studie in Auftrag gegeben. Von der Fachhochschule Vorarlberg wurde gemeinsam mit dem Wiener Wirtschaftsforschungsinstitut economica untersucht, welche Auswirkungen die Hebung der Erwerbsquoten von Frauen für den heimischen Arbeitsmarkt haben kann. An der repräsentativen Umfrage haben 800 Personen - 460 Frauen, 340 Männer -  teilgenommen.  Die maximale Schwankungsbreite der Gesamtergebnisse liegt bei +/- 3,5 Prozent. Im Anschluss an die Befragung von September bis November 2023 fanden vier Fokusgruppen (mit je ca. 8 – 10 Teilnehmer:innen) sowie zwei Workshopgruppen mit Stakeholdern,  Gemeindevertreter:innen, Unternehmer:innen, berufstätigen Frauen und Männern, Pädagog:innen etc., statt.

Carina Pollhammer, Vorsitzende von Frau in der Wirtschaft Vorarlberg, führt aus: „Beim Ziel einer höheren Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt und der Gleichstellung sind wir mit Hindernissen und Hürden konfrontiert. Gerade die Lohnschere zwischen den Geschlechtern tut sich nach der Geburt von Kindern auf; der vielzitierte ,Gender Pay Gap‘ ist vor allem ein ‚Motherhood Pay Gap‘.“

Österreichweit arbeiten 49,6 Prozent der Frauen, aber nur 11,6 Prozent der Männer in Teilzeit. Die Teilzeitquote bei den Frauen in Vorarlberg liegt bei 52,6 Prozent (Männer: 9,6 Prozent). Nur in Tirol und Oberösterreich ist sie höher. Am häufigsten beteiligen sich Frauen in Teilzeit mit einem Arbeitsausmaß von etwa 50 Prozent. Die zweithäufigste Gruppe arbeitet in einem Ausmaß von 60 bis 79 Prozent. Immer noch acht Prozent der Frauen arbeiten zwischen 20 und 39 Prozent. Allerdings liegt die Erwerbsquote von Frauen in Vorarlberg (2022) mit 69,8 Prozent klar unter dem Österreich- und auch unter dem EU-Schnitt.

Verbesserungen bei Kinderbetreuung gewünscht
In der Studie wird bezüglich formeller, entgeltlicher Kinderbetreuung ein klares Verbesserungspotenzial geäußert, insbesondere in Bezug auf das Ausmaß und die Kosten: 61 Prozent der Befragten sind mit den Kosten nicht zufrieden, knapp 36 Prozent äußern eine Unzufriedenheit mit den Öffnungszeiten.
Die Hemmnisse, die das Ausmaß der Erwerbstätigkeit von Frauen maßgeblich beeinflussen,  stellen sich gemäß der Umfrage wie folgt dar:
- Betreuung von Kindern: 43 Prozent
- Haushaltsführung: 35 Prozent
- Gesundheitliche Einschränkungen: 12,8 Prozent
- Möchte keine Vollzeitarbeit: 19,9 Prozent
- In Ausbildung/Weiterbildung: 9,2 Prozent

Großes Potenzial, wenn Rahmenbedingungen passen
41,4 Prozent aller Frauen zwischen 16 und 64 Jahren können sich laut der economica-Daten eine Aufstockung der Arbeitszeit – vorausgesetzt diverse Rahmenbedingungen, wie flexiblere Kinderbetreuung, höheres Arbeitseinkommen und/oder flexiblere Arbeitszeiten, flexiblerer Arbeitsort, passen – um mindestens eine Stufe vorstellen. Carina Pollhammer erklärt: „Konkret würde das einer Erhöhung der Vollzeitäquivalente in Vorarlberg von 6,1 Prozent entsprechen. Bei den Frauen besteht bei einer Aufstockung von 20 Prozent Beschäftigungsausmaß in Vorarlberg ein Potenzial von 10.756 FTE (Full-Time-Equivalent/VZÄ/Vollzeitäquivalenz) – unter der Voraussetzung, dass die oben genannten Parameter optimal erfüllt sind.“
Die Studie zeige, dass neben verbesserten Betreuungsvoraussetzungen ein breites Spektrum an Maßnahmen gesetzt werden sollte, um das Potenzial von Frauen am Arbeitsmarkt zu heben.

Kinderbetreuungsangebote während der Ferien ausbauen 
Ein weiteres Hemmnis für erwerbstätige Frauen, die das Arbeitsausmaß erhöhen wollen, sind die Ferienzeiten. Eine zentrale Forderung von Frau in der Wirtschaft Vorarlberg lautet deshalb: In den Sommerferien soll an Pflichtschulen eine zeitgemäße Ferienbetreuung angeboten werden. Dabei sollen schulische Förderungsangebote und außerschulische Betreuungsangebote vor Ort unter Einbindung entsprechender Institutionen und Vereine integriert werden. Zudem fordert die Interessenvertretung der Unternehmerinnen eine flächendeckende Ferienbetreuungsplattform in Vorarlberg; die Angebote sollten über eine App oder online übersichtlich dargestellt werden.

„Vorarlberg ist in der Lehrlingsausbildung und in der Industrie hervorragend unterwegs und kann beachtliche Erfolge vorzeigen. Das müsse wir auch bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen anstreben und uns jeden Tag ins Bewusstsein rufen, dass hier wichtiges und wertvolles Fach- und Arbeitskräftepotenzial von Frauen verloren geht, wenn wir nicht gemeinsam an allen Stellschrauben drehen und mehr Attraktivität für Frauen bewirken“, betont FiW-Vorarlberg Vorsitzende Carina Pollhammer.

Frau in der Wirtschaft Vorarlberg hat dazu drei Säulen definiert – mit Maßnahmen und möglichen Lösungsansätzen:
- Gesellschaftliche Haltung (Role Models vor den Vorhang)
- Strukturelle Aspekte (Ausbau der Kinderbetreuung sowie Fokus Ferienbetreuung)
- Politische Faktoren (Erhöhung der Erwerbsquote – Vergünstigungen bei Kinderbetreuung; qualitativere Kinderbetreuungseinrichtungen, Personaloffensive starten, deutlich raschere und kürzere Zugänge zu Ausbildungen für Pädagog:innen)

„Gewisse traditionelle Rollenverteilungen sind in der Vorarlberger Gesellschaft noch ganz tief verwurzelt. Ich denke, die Vereinbarkeit Familie und Beruf wird einfacher, wenn keine so große Unterscheidung zwischen Mutter und Vater mehr gemacht wird. Das bedingt aber auch, dass viele Rahmenbedingungen – wie zum Beispiel das Angebot an Kinderbetreuung –  geändert werden. Familien brauchen echte Wahlfreiheit, um ihr gewünschtes Modell zu leben“, beschreibt Katharina Rhomberg-Shebl ihre Situation als Unternehmerin und Mutter von zwei Kindern. Elementarbildung sei eines der wichtigsten Themen für unsere Gesellschaft und um der chancenreichste Lebensraum für Kinder zu werden.