Sparte Industrie

2 H2O -> 2 H2 + O2: Ist Österreich bereit für Wasserstoff?

Informationen der Bundessparte Industrie

Lesedauer: 6 Minuten

04.08.2023

Erneuerbarem Wasserstoff wird im künftigen Energiesystem eine großartige Zukunft vorausgesagt – und das schon seit Jahrzehnten. Aktuelle energiepolitische Umbrüche und die forcierte Gangart der EU in Sachen Klimapolitik und Energie-Infrastruktur bringen nun einiges ins Rollen: Eine kurze technische Bestandsaufnahme.

Sofern die Dekarbonisierung Europas konsequent bis 2050 vollzogen wird, werden Industrieunternehmen auf eine gesicherte H2-Versorgung angewiesen sein. Dies einerseits für stoffliche Verwendungen, andererseits für jene Hochtemperaturprozesse, bei denen der Einsatz anderer erneuerbarer Energieträger oder eine Elektrifizierung nicht sinnvoll oder möglich ist.

Ein Switch von Erdgas auf Wasserstoff ist produktionsseitig nicht überall mit überschaubarem Aufwand realisierbar. Bestimmte Brennertechnologien müssen erst in situ entwickelt werden, um die Physik (Temperaturen, Materialstabilität, ...) unter Kontrolle zu bringen und die Qualität von Produktion und Produkten aufrecht zu erhalten. Dazu sind gute Schnittstellen zwischen Forschung und Industrie nötig, ein langer Atem und viel Kapital. 

Welche Branchen werden künftig am ehesten Anwendungs-Vorreiter sein? Eine klare Antwort ist noch verfrüht. Man kann aber davon ausgehen, dass klimaneutraler Wasserstoff zuerst in jene Anwendungen fließen wird,

  • die bereits bestehen (Düngemittelproduktion, Petrochemie, ...)
  • die generell eine hohe Wertschöpfung versprechen (bestimmte Chemie-Branchen)
  • in denen die Mehrkosten am leichtesten an Verbraucher weitergegeben werden können bzw. die Bereitschaft da ist, auch hohe Preise für Wasserstoff zu bezahlen (Schwerlast-Transport, ...),
  • bei denen die Treibhausgasreduktion am wichtigsten bzw. größten ist - und wo es auch marktseitig entsprechende Nachfrage gibt bzw. geben wird (Stahl…)
  • oder in denen die Reduktion des Treibhausgas-Fußabdrucks aus Kosten- oder Imagegründen eine größere Rolle spielen wird.

Regionalität (Nähe zu einem künftigen „Backbone“) und strategische Unternehmensentscheidungen („Wir sind Teil der Zukunft und setzen Zeichen“) sind weitere wesentliche Faktor.

Wer wird klimaneutralen Wasserstoff produzieren?

Das Beispiel Norwegen zeigt die wichtigsten Facetten. Projekte dort basieren auf zwei Säulen: Einerseits dem klassischen Steam Reforming (Gewinnung von Wasserstoff aus Methan) unter dauerhafter Abscheidung von CO2 (CCS). Das Northern Lights Project, das den Transport und die Abscheidung von CO2 als Dienstleistung auch für Europa anbieten möchte, scheint weit gediehen und soll in der nächsten Ausbaustufe rund 5 Mio. t CO2/Jahr sequestrieren. Die zweite Säule besteht aus Onshore- und Offshore-Elektrolyse (direkt in Windparks am Meer auf Plattformen) unter Weiterleitung des erzeugten H2 nach Kontinentaleuropa. Der Vorteil von Windstrom im Vergleich zu PV-Strom (Südeuropa oder Afrika) als Energiequelle liegt darin, dass er ganzjährig verfügbar ist. Die Lieferung von Wasserstoff aus Norwegen ist in Deutschland regionalpolitisch umstritten, die Industrieregionen im Süden orientieren sich primär an einem Südkorridor mit Österreich und Italien.

Wichtigste Lieferanten für Österreich könnten nämlich in der Zukunft Tunesien und Ukraine werden, da es dort bereits entsprechende Gaspipelines gibt (Ausbau der TAG-Leitung über Italien, bzw. Ukraineroute). Hier existiert bereits ein gemeinsames Projekt der Länder Italien, Deutschland und Österreich. Eine österreichische Mission nach Tunesien fand im März 2023 statt (weitere Informationen: Lab of Tomorrow – UNIDO-BMK Workshop).

Wesentlich ist, dass Länder wie Deutschland oder Österreich künftig aktiver an derartigen Projekten mitarbeiten und -finanzieren, da auch die lokale Nutzung des Wasserstoffs am Ort seiner Produktion eine attraktive Alternative für Investoren darstellt. Ergo: Kommt der Wasserstoff nicht rechtzeitig über Infrastruktur zu uns, so werden energieintensive Industrieprozesse zu den Wasserstoffquellen kommen.

Apropos Infrastruktur

Teile des bestehenden Erdgas-Netzes in Europa sind bereits H2-ready oder könnten dies in absehbarer Zeit sein. In der Tat ist Österreich im Hinblick auf die Qualität der Rohrleitungen nicht schlecht aufgestellt. Bedarf besteht laut Expertenauskunft in erster Linie bei Verdichterstationen, wo durch die hohe Diffusionsfähigkeit des Wasserstoffs Nachrüstungen erforderlich sein werden.

Die Ukraine-Krise hat Österreich überraschend schnell von einem wesentlichen Erdgas-Hub Europas (Leitungen, Verteilung und Speicher) zu einem energiepolitischen Nebenschauplatz gemacht. Die Vision von gemeinsamen, europäischen Wasserstoffkorridoren könnte diesen Trend in der Zukunft wieder teilweise umkehren. Fernleitungsnetz-Betreiber schließen sich derzeit zu Initiativen zusammen, um eine künftige H2-Infrastruktur auf Basis von umgebauten Erdgas-Leitungen konkreter zu planen. Sogenannte Projects of Common Interest (PCI), die bei der EU Kommission eingereicht werden können, sollen die Integration der europäischen Energieinfrastruktur ermöglichen und beschleunigen – auch Akteure aus Österreich bemühen sich um solche Vorhaben.

Die Anbindung nach Nordwesten (Deutschland) via WAG (West-Austria-Gasleitung Oberkappel-Baumgarten), nach Süden (Italien, See-Pipeline nach Tunesien) via TAG (Trans-Austria-Gasleitung Arnoldstein-Baumgarten) und nach Osten und Südosten (auch die Ukraine oder Rumänien verfolgen langfristige Pläne für erneuerbaren Strom und klimaneutralen Wasserstoff) ist prinzipiell möglich und auch bereits in Vorbereitung. Auf bestimmten Abschnitten dieser Fernleitungen müssen parallel zu den Erdgas-Leitungen H2-Leitungen entweder neu errichtet oder bestehende Leitungen umgewidmet werden.

Zukünftige Funktion im Energie-System und als -Speicher

Der Primärenergieverbrauch in der Europäischen Union basierte 2021 noch zu 70,4 % auf fossilen Energieträgern (Gas, Erdöl, Kohle). In oberflächlichen energiepolitischen Debatten wird gerne „ausgeblendet“, dass Europa heute und in absehbarer Zukunft nicht über ausreichende Mengen an erneuerbaren Energieträgern verfügen wird, um relevante Sektoren (Energie, Industrie, Raumwärme, Transport) auch nur annähernd zu bedienen. Wasserstoff über den Weg der Elektrolyse auf Basis von erneuerbarem Strom (mit einem Wirkungsgrad von rund 60 %, je nach Technik) zu erzeugen, verschärft das Problem natürlich zusätzlich.

Der Großteil des Wasserstoffs wird daher über Leitungen oder Schiffstransporte (z.B. Ammoniak als chemischer H2-Speicher) von außerhalb der EU zu beziehen sein. Dennoch beschäftigen sich zunehmend Projekte damit, künftige temporäre oder saisonale Strom-Überschüsse über die Wasserstoff-Route für den Winter, für Dunkelflauten oder die Stromnetz-Stabilisierung verfügbar zu machen.

Der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik führt aufgrund der abnehmenden Grundlastfähigkeit der Stromproduktion im Netz (auch die Wasserkraft verliert durch den Klimawandel an Zuverlässigkeit) zu einer zunehmenden Abhängigkeit von Erdgas im Stromnetz – also genau zu jenem Phänomen, dessen Effekte (hohe Strompreise) derzeit verzweifelt in Europa bekämpft werden. Wie bereits erwähnt, gilt: Je mehr PV-Strom, umso mehr Saisonalität der Stromerzeugung und umso mehr Wasserstoff ist als Speichermedium erforderlich. Je mehr Windstrom, umso geringere Saisonalität und umso mehr Wasserstoff steht zur Verfügung.

Langfristig hofft man daher auf eine Substitution von Erdgas durch Wasserstoff, welcher in Phase von Stromüberschüssen produziert und in umgewidmeten Erdgaslagerstätten eingespeichert wird, um später über Kraft-Wärme-Kopplung wieder nutzbar gemacht zu werden. Betriebs- und volkswirtschaftlich günstig wird dies voraussichtlich nicht, da H2-Elektrolyse vor allem dann rentabel ist, wenn sie stabil und dauerhafter betrieben wird.  Bei F&E im Bereich saisonaler Speicherung ist Österreich durch einen Technologie-Vorsprung, Unternehmen mit Know-how und durch eine Anzahl geeigneter Speicher gesegnet – der weltweit erste offizielle H2-Speicher (Speichervolumen 4,2 GWh, volle Nutzung ab 2025) ging kürzlich in OÖ in Betrieb.

Apropos Speicher: Wasserstoff besitzt gasförmig nur etwa 30 % der Energiedichte von Methan, was für die zukünftige Speichermöglichkeiten von H2 und die Resilienz einer künftigen EU-Wasserstoffwirtschaft ebenfalls noch von Bedeutung sein wird.

Conclusio

  1. Österreich hat hinsichtlich Wasserstoff-Know-how eine gute Basis. Universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen haben sich in den vergangenen zwanzig Jahren viel Wissen angeeignet, auch in der Ausbildung und Schulung von Fachkräften und Behörden. Andere Länder und Wirtschaftsräume beginnen gerade, große Summen in F&E und den Bildungsbereich rund um Wasserstoff zu investieren – wir dürfen gerade jetzt den erarbeiteten technologischen Vorsprung nicht verlieren.
  2. Österreich muss bei internationalen strategischen Partnerschaften jetzt mit an Bord sein, sei es bei Allianzen mit EU-Nachbarn wie Norwegen, nordafrikanischen Staaten oder verbündeten Wirtschaftsräumen auf ferneren Kontinenten. Nur so schaffen wir es, dass künftige „H2-Backbones“ bis in unser Land reichen und auch wir an nötigen Importen teilhaben können.
  3. Wasserstoff hat nicht nur ein Potenzial als Rohstoff und Energieträger für die Industrie. Eine große Stärke der heimischen Betriebe war schon immer der Anlagenbau, der in einer künftigen Wasserstoffwirtschaft auf der ganzen Welt dringend gebraucht wird. Auch dies muss – aus unternehmerischer und Export-politischer Sicht – als große Chance wahrgenommen werden.
  4. Eine transformierte Wirtschaft benötigt Rohstoffe. Der Konnex zum aktuellen Criticals Raw Materials Act der EU ergibt sich u.a. durch einen künftig erhöhten Bedarf an Metallen wie Platin, Nickel oder Kupfer für die Wasserstoffwirtschaft. Auch im EU-Net Zero Industry Act (NZIA) werden z.B. Elekrolyseure und Brennstoffzellen als strategische Technologien angesehen. Anders als in der Photovoltaik oder der Batterietechnik hat Europa noch die Chance, eine globale Führungsrolle in der Wasserstoffwirtschaft einzunehmen. Investitionen in die Zukunft müssen daher jetzt getätigt werden.

Autor:
Mag. Richard Guhsl
E-Mail: richard.guhsl@wko.at