Person in Businesskleidung trägt Papierpläne in einer Hand und mit der anderen Hand einen weißen Schutzhelm
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Bau, Landesinnung

Die Geschichte des Baugewerbes

Historische Daten und Informationen des Wiener Baugewerbes

Lesedauer: 7 Minuten

29.03.2024

Die Vorläufer der baugewerblichen Organisation im allgemeinen sind die Bauhütten. Ihren Ursprung haben sie in den altrömischen und altchristlichen Bauhütten sowie den Klosterbauschulen, die neben den Dombauhütten entstanden waren. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts sorgten vorwiegend die Klöster, von den Päpsten eifrig gefördert, für die Beschäftigung der Bauleute und den Aufschwung der Klosterbauhütten. In dieser Zeit hat sich auch der romanische Stil als ausgeprägte Bauweise entwickelt. Man nimmt an, dass sich der Name "Romanisch“ vom Bauherrn – also von der römischen Kirche – herleitet, welcher die großartigsten Bauten dieser Zeit errichten ließ.

Mit dem Erstarken der Städte trat das Baugeschehen immer mehr in weltliche Hände. Neben den Bauhütten fassten vor allem in den Städten auch freie Baubruderschaften als Zünfte Fuß, jedoch war ihr Einfluss im Vergleich zu den mächtigen, unter dem Schutz der Kirche stehenden Bauhütten mit ihrer festgefügten Ordnung ein geringer.

Die weltlichen Bauhütten wurden 1275 durch ein besonderes Privilegium Kaiser Rudolf I. von Habsburg mit besonderen Vorrechten, unter anderem auch der freien Gerichtsbarkeit, ausgestattet. Organisations- und Rechtsgrundlage der Bauhütten waren die Bauhüt-tenverordnungen. Die Bauhüttenverordnungen regelten unter anderem das Verhalten und das Leben von Meistern, Gesellen und Lehrlingen genau. Die handwerklichen Künste wurden jedoch nicht schriftlich festgelegt, sondern wurden von Hütte zu Hütte mündlich überliefert.

Bauherr und Baumeister teilten sich die Leitung des Baues. Der Bauherr war entweder der Bischof mit seinem Kapitel oder das Kapitel allein, die Stadtverwaltung oder irgendein Stifter. Ihm gegenüber war der Baumeister für die Durchführung des Baues entsprechend der Weisung verantwortlich. Die Hüttenordnung sah streng darauf, dass dem Bauherrn kein Schaden durch Nachlässigkeit oder Unwissenheit des Bauleiters erwuchs. Ohne Bewilligung des Bauherrn durfte der Baumeister keine Nebenarbeiten ausführen und er musste der Hütte oder Zunft als Handwerksmeister angehören.

Von Außenstehenden als stets geheimnisvoll empfunden wurden die Handwerkszeichen. Ein Handwerkszeichen war nicht nur ein graphisches Symbol, es hatte auch mit dem Auf-nahmeritual in die Bauhütte selbst und der Lehrlingsfreisprechung zu tun. Den Stein-metzzeichen lag jeweils ein ganz bestimmter geometrischer Schlüssel (in Wien der Vierpass) zugrunde. Der angehende Geselle konnte, bevor er freigesprochen wurde, sein Handwerkszeichen wählen, doch durfte er es, einmal als Ehrenzeichen verliehen, aus eigenem heraus nie mehr ändern. Ebenso von Geheimnissen umwittert wie die Entstehung der alten Handwerkszeichen (Handgemale der Steinmetze), war das Ritual der Aufnahme in die Bauhütte, Lehrlingsfreisprechung usw. Im mitteleuropäischen Kulturraum gab es vier Haupthütten und zwar die zu Straßburg, Bern, Köln und Wien. Die Straßburger Bauhütte war als oberste anerkannt, die Macht- und Einflussbereiche der übrigen Hütten waren genau eingeteilt.

Die Bauhüttenordnung von 1275 erfuhr eine Neuordnung in den Jahren 1459, 1498 und 1563. Nach 1563 zerfielen die vier Haupthütten.

Nach dem Zerfall der vier Haupthütten beschloss am 3. Juni 1623 der Bau- und Zöchen-meister zu Wien, sowie die ehrsame Bruderschaft und Handwerk der Steinmetzen und Mauerer, die uralten fünfhalbhundertjährigen Kaiser Barbarossa privilegierten zwei Haupthütten Straßburg und Wien in "seine befreite Haupthütten auf- und anzunehmen“.

Am 20. Februar 1637 (Kaiser Ferdinand III.) wurde auf der Haupthütte im St. Stephansdom in Wien die Vereinigung aller Steinmetzmeister und Maurermeister, sowie den Gesellen beschlossen. Das Siegel der Hütte, das Siegel der Steinmetzzünfte und das Siegel der Maurerzünfte wurden in der Bruderschaftsbüchse hinterlegt. Die alte Steinmetzbauhütte hatte damit zu bestehen aufgehört und war nun selbst, obwohl der Name Bauhütte beibehalten wurde, eine Zunft geworden. Aus dieser Tradition entwickelte sich die Bezeichnung "Uralte Haupthütte in Wien“ als Beisatz zur jeweiligen Organisationsform (Genossenschaft, Zunft, Innung usw.)

Mit dem Erstarken der Staatsmacht im 17. Jahrhundert wurde der Einfluss der Zünfte immer mehr zurückgedrängt. Es wurden alle Gewohnheiten verboten, die sich Meister und Gesellen ohne Obrigkeitserlaubnis eingeführt hatten. Angehende Meister durften nicht mehr beeidigt werden Zunftheimlichkeiten zu verschweigen und eine künftige heimliche Verbindung wurde bei hoher Strafe verboten. In Folge wurden die Zünfte jedoch ganz aufgehoben und weitestgehend die Gewerbefreiheit eingeführt. An Stelle der Zünfte traten die Genossenschaften und die Innungen, jedoch vorerst ohne Zwangsmitgliedschaft.

Siegel
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Das historische Siegel (Wappen) des Wiener Baugewerbes besteht aus einem eisenbewehr-ten, rechtwinkelig abgebogenen Ober- und Un-terarm, in der Faust einen Hammer (in einem Schilde in der Mitte des Siegels). Der Schild wird von den vier Schutzheiligen (siehe unten) umgeben, gekrönt von einer Darstellung (im oberen Teil des Siegels) der Mutter Gottes.


Es handelt sich also um ein Doppelsiegel, dessen innerer und äußerer Kreis Inschriften trägt. Un-ten sind Handwerkszeichen dargestellt. Das Siegel in seiner Gesamtheit ist das Bundessiegel aus dem Jahre 1651, das die Vereinigung der Hütte mit den Zünften der Steinmetzen und Maurer (vom 20. Februar 1637) anschaulich zum Ausdruck bringt.

Die Landesinnung Bau Wien ist im Besitze zweier alter Zunfttafeln, auf denen die Namen von Steinmetz- und Baumeistern, sowie deren Handwerkszeichen verzeichnet sind. Eine der Tafeln enthält die Legende über das Leben und Sterben der vier Schutzheiligen. Es ist dies die Märtyrergeschichte von vier Steinmetzen namens CLAUDIUS, NICOSTRATUS, SYMPHORIANUS und CASTORIUS. Diese lebten in der römischen Provinz Pannonien zur Zeit des Kaisers DIOCLETIAN und wurden, da sie ihrem christlichen Glauben nicht entsagten, in Bleitruhen ins Wasser geworfen. Am 8. November 209 n. Chr. wurden die Bleitruhen von einem Christen geborgen, nach Rom überführt und die Leichname beigesetzt.

Die Tafel, die diese Legende enthält, beginnt mit "Octavianus Zämer von Karlstatt war Poumeister als man zölt 760“. Ein zweiter Name lautet: "Franciscuß Sieß von Eisleben war Pourmeister als man zölt 760“. Dieser ist als Erbauer der Wiener St. Ruprechtskirche historisch belegt.

Die zweite Zunfttafel – beide Tafeln tragen außen das Wiener (Kaiserliche) Wappen – setzt die Namen der Bau- und Steinmetzmeister bis um 1900 fort. Zwei der auf dieser Tafel verzeichneten Eintragungen geben Aufschluss über das Entstehungsdatum der Zunfttafeln: "Hans Herstoffer bür.bau.u.st.meister. Lies die Taffeln machen Ano 1641“ und "Josef Allio bür.bau.meister. Hat die Taffeln renoviren lasen Ano 1782“.

In den letzten hundert Jahren war die Hinzufügung des Handwerkszeichen immer seltener. Ein Beweis, dass man von der Verwendung von Handwerkszeichen, vermutlich wegen der unter Maria Theresia verfügten Verpflichtung zur persönlichen Namensführung, immer mehr abgekommen ist. Der bei der Landesinnung Bau Wien erhaltene "Meisterstatus“ (Verzeichnis der Stadtbaumeister) also die neuzeitliche Form einer "Mitgliederevidenz“ enthält als erste Aufzeichnung den Namen des Baumeisters Brandl Philipp, geb. 1787, "inkorporiert 1821“. Die Aufzeichnungen sind von jenem Zeitpunkt an bis heute lückenlos.

Mitte des 19. Jahrhunderts gab es zwei Arten von Gewerben: freie, die gegen bloße Anmeldung betrieben werden konnten und konzessionierte Gewerbe, deren Ausübung an die Genehmigung der Behörde gebunden war. Zu den konzessionierten Gewerben zählten auch die Gewerbe der Baumeister, Maurer, Steinmetze und Zimmerleute. Der Baumeister hatte bei Antritt de Gewerbes die Ablegung einer Prüfung vor der Landesbaubehörde nachzuweisen. Auch die Maurer, Steinmetze und Zimmerleute, welche ihre Arbeiten selbstständig, also nicht unter der Leitung eines Baumeisters, ausführen wollten, mussten eine Befähigung (Praxiszeit) nachweisen.

Eine grundlegende Neuregelung erfuhr das Baugewerbe durch das Baugewerbegesetz im Jahre 1893. Dieses teilte die Baugewerbe in die konzessionierten Gewerbe der Baumeister, der Maurermeister, der Steinmetzmeister, der Zimmermeister sowie der Brunnenmeister ein. Baumeister müssen sich bei der Ausführung von Steinmetz- oder Zimmerarbeiten der hiezu berechtigten konzessionierten Baugewerbe bedienen.

In der ständischen Organisation gingen die einzelnen Baugewerbe unterschiedliche Wege. Zuletzt (1939) trennten sich die Steinmetzmeister von der damaligen Genossenschaft.

Durch das Handelskammergesetz 1946 wurden die gesetzlichen Grundlagen der heutigen (Bundes- und Landes-) Innungen geschaffen. Der Grundsatz der vollständigen Erfassung aller zur Ausführung der einschlägigen Arbeiten berechtigten Gewerbetreibenden – der "Zwangsmitgliedschaft“ bei der zuständigen Innung, die seit den Gewerbeordnungsnovellen 1883 und 1907 besteht, wurde beibehalten. Der Unterschied zwischen den alten Zünften und den neuzeitlichen Innungen besteht darin, dass diese keinerlei Einfluss auf den Gewebeantritt mehr haben, sondern nur Gutachten abzugeben haben. Sie unterstehen in jeder Beziehung der Staatsaufsicht, haben keine eigenen Gerichtsbarkeit mehr und vertreten die wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Interessen ihrer Mitglieder gegenüber der Öffentlichkeit und dem Gesetzgeber.

Durch die Gewerbeordnung 1973 wurde das Baugewerbegesetz aufgehoben, das Maurermeistergewerbe als eigenes konzessioniertes Gewerbe abgeschafft und zwischen Baugewerbe und Bauindustrie unterschieden. An der jahrhundertealten Tradition, wonach der Baumeister Bauarbeiten nicht nur ausführen, sondern selbstständig auch planen und leiten darf, wurde jedoch festgehalten.

Heute werden in ganz Österreich von den rund 3.000 Betrieben des Baugewerbes und der Bauindustrie über 120.000 Arbeitnehmer beschäftigt und rund 7,5 % des Bruttonational-produktes erwirtschaftet. Im Bereich des Landesinnung Bau Wien sind rund ein Fünftel der österreichischen Baugewerbebetriebe tätig.

Die Mehrzahl der Erinnerungsstücke, wie Kaiserliche Privilegien, Gesellenprüfungsordnungen usw. wurden in den dreißiger Jahren dem Archiv der Stadt Wien zur Pflege übergeben. Im historischen Sitzungssaal der Landesinnung Bau Wien – im Hause Wien 1., Wolfengasse Nr. 4, erbaut von der Innung der bürgerlichen Bau- und Steinmetzmeister in den Jahren 1849 und 1850 – befinden sich neben den erwähnten Zunfttafeln

  1. das Bundeswappen in Standartenform;
  2. eine Zunftfahne aus der Zeit der Erbauung des Innungshauses (1849/59)
  3. die Handwerkslade (Bruderschaftskasse) aus dem Jahre 1636.
  4. ein mit Gold- und Silberstickereien versehenes Bahrtuch mit Kruzifixen.

Wie die Übersicht zeigt, reicht die Tradition des Wiener Baugewerbes bis ins achte Jahr-hundert zurück. Ohne das fachliche Können und die künstlerischen Fähigkeiten der auf Wiener Boden seit rund zwölf Jahrhunderten tätigen Bau- und Steinmetzmeister ist das äußere Gesicht der Stadt Wien nicht denkbar. Der heutige Stand der Bautechnik und die moderne Architektur haben ihre Wurzeln in diesen Traditionen.