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Europäisches Verfahren für geringfügige Forderungen

Möglichkeiten und nötige Schritte

Lesedauer: 5 Minuten

18.04.2023

Welche Möglichkeiten bestehen für Forderungen unter 5.000 Euro?

Durch das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen sollen Verfahren in Zivil- und Handelssachen für Forderungen unter 5 000 Euro (ohne Zinsen, Kosten und Auslagen) vereinfacht werden. Das Verfahren wird anhand von Formblättern - Klageformblatt A - rein schriftlich geführt, es sei denn, das Gericht hält eine mündliche Anhörung für erforderlich.

Gilt das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen nur für Geldforderungen?

Im Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen können sowohl Geldforderungen, als auch nicht auf Geldzahlungen gerichtete Ansprüche geltend gemacht werden. Ein nicht auf Geldzahlung gerichteter Anspruch kann z.B. die Lieferung von Waren sein. Einer nicht auf Geldzahlung gerichteten Forderung muss ein Streitwert zugeordnet werden. Dieser wird vom Gläubiger geschätzt und im Klageformblatt angegeben. 

In 5 Schritten zum Urteil im Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen

  1. Bestimmung, ob das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen anwendbar ist
  2. Bestimmung des zuständigen Gerichts 
  3. Einbringen des Klageformblattes A 
  4. Reaktion des Schuldners (Bestreitung der Forderung)
  5. Vollstreckung des Urteils

1. Bestimmung, ob das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen anwendbar ist

Was ist der räumlicher Anwendungsbereich der Verordnung über das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen?

Für den räumlichen Anwendungsbereich der Verordnung über das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen gelten dieselben Ausführungen wie für die EU Mahnverordnung (siehe oben Punkt I).

Auf welche Sachverhalte ist die Verordnung über das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen anwendbar?  

Es gelten auch hier die allgemeinen Ausführungen zur EU Mahnverordnung. Die Verordnung über das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen ist unter anderem NICHT anzuwenden auf Konkursverfahren, arbeitsrechtliche Forderungen und die Miete und Pacht unbeweglicher Sachen.[1]

Ab welchem Zeitpunkt ist die Verordnung über das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen anwendbar?  

Die Verordnung ist mit 01.01.2009 in Kraft getreten. Die Änderungen sind mit 14.07.2017 verbindlich.[2]


2. Bestimmung des zuständigen Gerichts 

Die Gerichtszuständigkeit richtet sich, wie beim Europäischen Zahlungsbefehl, nach der Brüssel I-a Verordnung. Daher wird hier auf die Ausführungen zur Gerichtszuständigkeit beim Europäischen Zahlungsbefehl verwiesen (siehe Seite 3 Punkt II). 


3. Einbringen des Klageformblattes A

Wie wird das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen eingeleitet?[3]

Mit der Einbringung des ausgefüllten Klageformblattes A (und evtl. entsprechenden Beweisunterlagen) beim zuständigen Gericht wird das Verfahren eingeleitet.

Das Gericht übermittelt die Unterlagen, innerhalb von 14 Tagen ab Erhalt des ordnungsgemäß ausgefüllten Klageformblattes, dem Beklagten. 

ÖSTERREICH: Bei der Klagseinbringung beim Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ist fast immer das Bezirksgericht sachlich zuständig sein, sofern als Gerichtsstand Österreich identifiziert wurde. 

Wien: Bei Streitigkeiten aus Handelsgeschäften mit einem Streitwert bis EUR 15.000 ist das Bezirksgericht für Handelssachen zuständig, wenn die Klage gegen einen im Firmenbuch eingetragenen Unternehmer gerichtet ist und auf Seiten der beklagten Partei ein unternehmensbezogenes Geschäft vorliegt.  

Der Europäische Gerichtsatlas für Zivilsachen kann Sie bei der Ermittlung des zuständigen Gerichts unterstützen.

In welcher Sprache erfolgt die Klagseinbringung?[4]

Das Klageformblatt ist in der Amtssprache des Gerichts vorzulegen (manche Gerichte akzeptieren auch andere Sprachen als die Amtssprache – dies ist aber auf dem Europäischen Justizportal nachzusehen). Die Gerichte sind verpflichtet den Parteien beim Ausfüllen der Formblätter mit praktischer Hilfe beizustehen bzw. beim Ausfindig machen des zuständigen Gerichts. 


4. Reaktion des Schuldners (Bestreitung der Forderung)

Welche Möglichkeiten hat der Schuldner im Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen?[5]

Nach Erhalt der Klage (inklusive Antwortformblatt) kann der Schuldner

  • innerhalb von 30 Tagen nach Zustellung des Klageformblatts antworten mittels Antwortformblatts, 
  • indem er auf andere geeignete Weise ohne Verwendung des Antwortformblatts antwortet
  • nicht antworten; in diesem Fall erlässt das Gericht zu der Klage ein Urteil nach Ablauf von 30 Tagen ab dem Zeitpunkt der Zustellung. 

Die Antwort des Schuldners wird dem Gläubiger innerhalb von 14 Tagen nach Einlagen der Antwort beim Gericht zugestellt. In seiner Antwort kann der Schuldner die Forderung anerkennen oder bestreiten. Er kann unter anderem behaupten, dass das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen nicht anwendbar ist (z.B. weil kein grenzüberschreitendes Element vorliegt) oder den Forderungsbetrag bestreiten.

(siehe auch „Praktischer Leitfaden für das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen“ und „Leitfaden für Anwender des europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen“

Was passiert, wenn der Schuldner die Forderung bestreitet?[6]

Anders als beim Europäischen Zahlungsbefehl fällt im Falle, dass der Schuldner die Forderung bestreitet, das angerufene Gericht das Urteil selbst. Das Gericht bestimmt über die Beweismittel und kann gegebenenfalls auch eine mündliche Verhandlung einberufen. Das Gericht erlässt ein Urteil, das den Parteien nach der Erlassung zugestellt wird. 


5. Vollstreckung des Urteils

Wie funktioniert die Vollstreckung des Urteils, das im Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ergangen ist?[7]

Das von Ursprungsgericht erlassene Urteil wird in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf. Die Vollstreckung erfolgt nach dem Recht des vollstreckenden Mitgliedstaates. Die zuständigen Vollstreckungsbehörden können im Europäischen Justizportal eingesehen werden.

Zur Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat ist die Vorlage des Vollstreckungstitels notwendig. Der Vollstreckungstitel ist gegebenenfalls in eine der Amtssprachen der Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaates zu übersetzen. Welche Sprachen in den einzelnen Mitgliedstaaten akzeptiert werden kann im Europäischen Justizportal nachgelesen werden. Die Übersetzungen sind zu beglaubigen. Die Vollstreckung erfolgt üblicherweise in dem Staat, in dem sich der Schuldner oder sein Vermögen befindet. 

Wer trägt die Kosten des Verfahrens?

Die Höhe der Gerichtsgebühren richtet sich nach den nationalen Rechtsvorschriften (in Österreich nach dem Gerichtsgebührengesetz – siehe Ausführungen zum Europäischen Zahlungsbefehl Punkt III.). 

Im Europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen trägt die unterlegene Partei des Verfahrens die Verfahrenskosten. Allerdings müssen die Kosten im Verhältnis zur Klage stehen und notwendig gewesen sein. Das Gericht entscheidet, inwiefern die Kosten notwendig und verhältnismäßig sind.[8] Hier soll sich auch der kostengünstige Charakter des Verfahrens widerspiegeln.[9]


[1] Artikel 2 Verordnung zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen

[2] Artikel 29 Verordnung zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen

[3] Artikel 4 Verordnung zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen

[4] Artikel 6 Verordnung zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen

[5] Artikel 5 Verordnung zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen

[6] Artikel 7 Verordnung zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen

[7] Artikel 21 Verordnung zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen

[8] Artikel 16 Verordnung zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen

[9] Erwägungsgrund 29 Verordnung zur Einführung eines Verfahrens für geringfügige Forderungen

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