Zwei Papierschiffchen sind auf einem hellblauen Untergrund platziert, das vordere mit United Kingdom Flagge gefaltet und das hintere mit der Symbolik der Europäischen Union
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Brexit - Detailanalyse Abkommen UK-EU

Wesentliche Eckpunkte der sozialversicherungsrechtlichen Auswirkungen des Protokolls über die Koordinierung der sozialen Sicherheit

Lesedauer: 7 Minuten

08.09.2023

Grundsätzlich orientiert sich das Abkommen an den VO 883/2004 und VO 987/2009. Erfasst sind die Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung, nicht aber Pflege- und Familienleistungen. 



Keine wesentlichen Änderungen in Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherung 

Zusammenrechnung von Versicherungszeiten:  

Wie schon bisher sieht das Abkommen vor, dass sämtliche Versicherungszeiten aus EU-Mitgliedsstaaten und aus dem Vereinigten Königreich für den Erwerb, die Aufrechterhaltung und das Wiederaufleben eines Leistungsanspruchs weiterhin zusammengerechnet werden.

 

Krankenversicherung:  

Für grenzüberschreitende Leistungen bei Krankheit gelten die bisherigen Bestimmungen prinzipiell weiter. Leistungen bei Pflegebedürftigkeit sind hingegen nicht erfasst.  

Eine Inanspruchnahme von Sachleistungen im Aufenthaltsstaat auf Kosten des zuständigen Trägers kommt damit im Wesentlichen weiterhin in Betracht bei:  

  1. Wohnort in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedsstaat
  2. Aufenthalt außerhalb des zuständigen Mitgliedsstaates (z.B. bei Urlauben) bei medizinischer Notwendigkeit
  3. bei geplanten Auslandskrankenbehandlungen mit Vorgenehmigung des zuständigen Trägers, d.h. wenn ein Auslandaufenthalt zu dem Zweck angetreten wird, dort eine Krankenbehandlung in Anspruch zu nehmen   

Unter bestimmten Voraussetzungen sind entsandte Arbeitnehmer weiter in ihrem ursprünglichen Heimatstaat versichert - siehe dazu weiter unten. 

Pensionen:  

Für Pensionisten, die britische Pensionen beziehen und ihren Wohnsitz in Österreich haben oder für Pensionisten, die eine österreichische Pension beziehen und den Wohnsitz im Vereinigten Königreich haben, ergibt sich ab 1.1.2021 keine Änderung. Die Leistungen werden weiterhin in den jeweils anderen Staat angewiesen.  

Versicherungszeiten im jeweils anderen Staat werden berücksichtigt.

 

Anwendbares Recht bei grenzüberschreitenden Sachverhalten:  

Grundregel „Beschäftigungslandprinzip“:  

Personen, die eine selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit ausüben, unterliegen weiterhin den Rechtsvorschriften nur eines Staates, und zwar grundsätzlich des Staates, in dem eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird.

 

Ausübung von Tätigkeiten in zwei oder mehr Staaten: 

Bei der Ausübung von Tätigkeiten in zwei oder mehr Staaten kommt es wie bisher zunächst darauf an, ob ein wesentlicher Teil der Tätigkeit im Wohnstaat ausgeübt wird; dann sind dessen Rechtsvorschriften anzuwenden.  

Wenn unselbstständig beschäftigte Personen im Wohnstaat keinen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausüben, ist grundsätzlich auf den Sitz des Unternehmens abzustellen.  

Wenn Selbstständige keinen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit im Wohnstaat ausüben, kommen die Rechtsvorschriften des Staates, in dem sich der Mittelpunkt ihrer Tätigkeiten befindet, zurAnwendung.

 

Bei Entsendungen gilt 

wenn diese vor dem 31.12.2020 begonnen haben und weiterhin andauern: 

  • Laufende Entsendungen bestehen unverändert weiter. Dies gilt auch für Selbständige, die eine ähnliche Tätigkeit in einem anderen Staat ausüben, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Tätigkeit 24 Monate nicht überschreitet.
  • Bereits ausgestellte A1-Dokumente sind bis zum Ende der Entsendung bzw. der maximalen Entsendedauer von 24 Monaten gültig. 

wenn diese nach dem 31.12.2020 beginnen oder begonnen haben:  

  • Entsandte Arbeitnehmer sind weiterhin im Heimatstaat sozialversichert, vorausgesetzt
  • die Dauer der Auslandsbeschäftigung überschreitet nicht 24 Monate und
  • der entsandte Mitarbeiter löst nicht einen anderen entsandten Mitarbeiter ab. 

Auch ein Selbständiger, der eine ähnliche Tätigkeit in einem anderen Staat ausübt, unterliegt weiterhin den Rechtsvorschriften des Heimatstaates, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Tätigkeit 24 Monate nicht überschreitet. 

Neu ist, dass es jedem Mitgliedsstaat freisteht, ob er diese Entsendungsregelung (= Ausnahme vom Beschäftigungslandprinzip) anwenden will (opting-in). Österreich hat sich bereits für die Anwendung dieser Regelung entschieden.  

Wir gehen davon aus, dass das A1 Formular weiterhin zu verwenden ist. Die Details dazu sind derzeit in Abklärung.

 

Nicht unter das Abkommen fallen insbesondere:

Beitragsunabhängige Geldleistungen (Ausgleichszulage nach ASVG, GSVG und BSVG), soziale und medizinische Fürsorge, Pflegeleistungen und Familienleistungen. 


Änderungen im Bereich Aufenthalt & Arbeitsmarktzugang 

Aufenthalt:  

Bisher war britischen Staatsangehörigen eine visumfreie Einreise und ein zeitlich unbeschränkter Aufenthalt ohne erforderlichen Aufenthaltstitel möglich. Zudem hatten britische Staatsangehörige – wie auch alle anderen Unionsbürger - unbeschränkten Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt. Die Anerkennung von im Vereinigten Königreich erworbenen Berufsqualifikationen wurden bislang – zum Teil – erleichtert anerkannt.

 

Nach dem 1.1.2021 sieht das beschlossene Austrittsabkommen grundsätzlich für eine Einreise folgendes vor:  

  • Britische Staatsangehörige können sich für maximal 90 Tage innerhalb von 6 Monaten visumfrei in Österreich aufhalten. Für längere Aufenthalte ist ein entsprechendes Visum bzw. Aufenthaltstitel erforderlich.
  • Britische Staatsangehörige, die in Österreich erwerbstätig werden möchten, benötigen nunmehr eine entsprechende Beschäftigungsbewilligung. 

Das Austrittsabkommen bestimmt darüberhinausgehend spezielle Regelungen zum Aufenthalt und Arbeitsmarktzugang von kurzzeitig einreisenden Geschäftsreisenden, Geschäftsreisenden zu Niederlassungszwecken, Erbringern vertraglicher Dienstleistungen, Freiberuflern und unternehmensintern transferierten Personen.

 

Kurzzeitig einreisende Geschäftsreisende aus Großbritannien: 

Für kurze Zeit einreisenden Geschäftsreisenden werden, während des 90-tägigen visumfreien Aufenthalts in Österreich, folgende Tätigkeiten unter teilweise sehr strengen Beschränkungen gestattet:

a) Sitzungen und Konsultationen

b) Forschung und Design: Außer für Tätigkeiten wissenschaftlicher und statistischer Forscher ist eine Beschäftigungsbewilligung inkl. Arbeitsmarktprüfung erforderlich.

c) Marktforschung: Es ist eine Beschäftigungsbewilligung inkl. Arbeitsmarktprüfung erforderlich. Für Forschungs- und Analysetätigkeiten von bis zu sieben Tagen je Monat oder bis zu 30 Tagen je Kalenderjahr wird auf eine Arbeitsmarktprüfung verzichtet. Ein Hochschulabschluss ist erforderlich.

d) Ausbildungsseminare

e) Messen und Ausstellungen: Eine Beschäftigungsbewilligung ist bei einer Dauer von mehr als 5 Tagen im Monat oder mehr als 30 Tage im Kalenderjahr einschließlich Arbeitsmarktprüfung erforderlich.

f) Verkauf

g) Einkauf

h) Kundendienst (einschließlich verkaufsnaher Dienstleistungen, wie z.B. Wartungsleistungen im Zusammenhang mit einem Verkauf)

i) Handelsgeschäfte: Eine Beschäftigungsbewilligung ist bei einer Dauer von mehr als 5 Tagen im Monat oder mehr als 30 Tage im Kalenderjahr einschließlich Arbeitsmarktprüfung erforderlich.

j) Beschäftigte im Fremdenverkehr

k) Übersetzen und Dolmetschen: Es ist eine Beschäftigungsbewilligung, einschließlich einer Arbeitsmarktprüfung erforderlich.

Kurzzeitigen Geschäftsreisenden aus den EU-Mitgliedsstaaten werden in der 90-tägigen, visumfreien Aufenthaltsdauer in Großbritannien folgende Tätigkeiten ohne Beschränkungen erlaubt: 

a) Sitzungen und Konsultationen

b) Forschung und Design

c) Marktforschung

d) Ausbildungsseminare

e) Messen und Ausstellungen

f) Verkauf

g) Einkauf

h) Kundendienst (einschließlich verkaufsnaher Dienstleistungen, wie z.B. Wartungsleistungen im Zusammenhang mit einem Verkauf)

i) Handelsgeschäfte

j) Beschäftigte im Fremdenverkehr

k) Übersetzen und Dolmetschen

Nicht gestattet sind kurzzeitigen Geschäftsreisenden, sowohl aus dem Vereinigten Königreich im Unionsraum, wie auch europäischen Staatsangehörigen im Vereinigten Königreich:

Der Verkauf von Waren, Beziehen eines Gehalts im „Gaststaat“, Erbringung von Dienstleistungen (Achtung – es gibt hier auch Ausnahmen - siehe Dienstleistungsfreiheit)

 

Geschäftsreisende zu Niederlassungszwecke: 

  • Als solche werden Führungskräfte eines britischen Unternehmens, die in Österreich (oder in einem anderen EU-Mitgliedsstaat) eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung ihres Unternehmens gründen wollen, bezeichnet.
  • Diese dürfen nur Tätigkeiten ausüben, die für die Gründung dieser Tochtergesellschaft/Zweigniederlassung erforderlich ist.
  • Zudem dürfen diese kein Entgelt in Österreich erhalten.
  • Für die Ausübung dieser Tätigkeiten für bis zu 90 Tagen innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten ist keine arbeitsmarktbehördliche Genehmigung erforderlich.

 

Erbringer vertraglicher Dienstleistungen („hochqualifizierte Schlüsselkräfte“): 

  • Darunter fallen britische Staatsangehörige, die für ein britisches Unternehmen beschäftigt sind und eine vertragliche Dienstleistung an einen Endverbraucher in Österreich erbringen wollen.
  • Diese Mitarbeiter müssen zum Zeitpunkt der Antragstellung zumindest ein Jahr bei dem entsendenden Unternehmen beschäftigt gewesen sein.
  • Die entsandten Mitarbeiter müssen über eine mindestens dreijährige Berufserfahrung nach Erreichen der Volljährigkeit, einen Hochschulabschluss oder eine gleichwertige Qualifikation, wie auch eine allenfalls erforderliche Berufsqualifikation verfügen.
  • Die Mitarbeiter dürfen zudem kein Entgelt in Österreich erhalten.
  • Die entsandten Mitarbeiter dürfen sich für 6 Monate innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten bzw. für die Dauer des Vertrags in Österreich aufhalten, je nachdem, welcher Zeitraum kürzer ist.
  • Für den Aufenthalt benötigen diese Mitarbeiter ein entsprechendes Visum, welches sie bei der zuständigen österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland zu beantragen haben.
  • Für ihre Beschäftigung benötigen diese Personen eine Entsende- oder Beschäftigungsbewilligung.
  • Keine Arbeitsmarktprüfung ist erforderlich bei z.B. gewissen Rechtsberater-, Steuerberater-, Rechnungsleger-, Buchhalterdienstleistungen oder Dienstleistungen von Reisebüros, Reiseveranstaltern oder Reiseleitern.

 

Freiberufler: 

  • Dazu gehören britische Selbständige ohne Niederlassung in Österreich, die aber eine Dienstleistung in Österreich erbringen wollen.
  • Diese müssen zum Zeitpunkt der Antragstellung für die Einreise und den Aufenthalt eine sechsjährige Berufserfahrung in der betreffenden Tätigkeit, einen Hochschulabschluss oder eine gleichwertige Qualifikation und die allenfalls erforderliche Berufsqualifikation vorweisen können.
  • Freiberufler dürfen sich für max. 6 Monate innerhalb eines Zeitraums von 12 Monaten bzw. für die Vertragsdauer in Österreich aufhalten, je nachdem, welcher Zeitraum kürzer ist.
  • Es ist ein entsprechendes Visum für den Aufenthalt erforderlich, welches sie bei der zuständigen österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland zu beantragen haben.

 

Unternehmensintern transferierte Personen: 

  • Als solche sind britische Mitarbeiter eines Unternehmens anzusehen, die in eine österreichische Tochtergesellschaft/Zweigniederlassung/Hauptniederlassung ihres Unternehmens in Österreich versetzt werden.
  • Wenn Führungskräfte und Spezialisten versetzt werden, müssen diese vor ihrem Transfer mindestens ein Jahr als solche beschäftigt gewesen sein. Trainees müssen hingegen nur sechs Monate vor ihrem Transfer als solche beschäftigt gewesen sein. Zudem muss bei Letzteren das absolvierte Hochschulstudium in Verbindung mit der ausgeübten Tätigkeit stehen.
  • Führungskräfte und Spezialisten können sich für bis zu drei Jahre, Trainees für bis zu einem Jahr in Österreich aufhalten.
  • Für den Aufenthalt ist eine Aufenthaltsbewilligung für unternehmensintern transferierte Arbeitnehmer erforderlich.

 

Anerkennung von Berufsqualifikationen
Für Berufsqualifikationen, die im Vereinigten Königreich erworben wurden, gilt, dass Abschlüsse nicht mehr automatisch anerkannt werden. Britische Staatsangehörige müssen sich in den jeweiligen EU-Mitgliedsstaaten um eine entsprechende nationale Anerkennung bemühen.

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