Nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln
Verordnungsvorschlag der EK in Begutachtung
Die Europäische Kommission hat einen Legislativvorschlag für eine Verordnung zur nachhaltigen Verwendung von Pflanzenschutzmitteln vorgelegt. Mit dieser wird die Richtlinie 2009/128/EG (Richtlinie zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden) ersetzt. Diese Richtlinie wurde in Österreich im Rahmen des Pflanzenschutzmittelgesetzes 2011 bzw. der Pflanzenschutzmittelverordnung 2011 umgesetzt. Die neu vorgeschlagene EU-Verordnung würde unmittelbar in den Mitgliedsstaaten gelten.
Die Verordnung soll insbesondere die Ziele der Farm-to-Fork-Strategie in einen rechtlichen Rahmen gießen. Dazu zählen ua:
- Reduktion des Gesamteinsatzes und des Risikos chemischer Pflanzenschutzmittel um 50% bis 2030
- Reduktion des Einsatzes gefährlicher Pflanzenschutzmittel um 50% bis 2030
- Anwendungsverbot von Pflanzenschutzmitteln in empfindlichen Gebieten
Wesentlich in diesem Zusammenhang ist der Begriff „empfindliche Gebiete“. Diese umfassen sehr viel, so zB:
- von der Allgemeinheit genutzte Gebiete, z. B. einen öffentlichen Park oder Garten, Freizeit- oder Sportplätze oder einen öffentlichen Weg;
- Natura 2000 Gebiete;
- menschliche Siedlungen der Einstufung als Bodenbedeckungsebene 1 (Bebaute Flächen) der Nomenklatur CORINE.
In Folge dieses Ansatzes beträfe dieser neue Entwurf nicht nur die bereits betroffenen Sektoren, wie zB Landwirtschaft, sondern auch die Hotellerie, Golfplätze und andere Freizeiteinrichtungen.
Auf Basis bereits erfolgter interner Diskussionen wäre folgendes jedenfalls anzumerken:
Im Sinne einer evidenzbasierten Politikgestaltung sollten die Ziele zur Reduktion des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes auf EU- und Mitgliedstaatenebene nicht willkürlich und ohne Berücksichtigung der Folgen festgelegt werden. Zudem braucht es eine umfassende Verfügbarkeitsprüfung von Alternativen, die wirksam, sicher und erschwinglich sind. Nur so kann vermieden werden, dass
- die Kosten für die landwirtschaftlichen Betriebe steigen, während Erträge und Einkommen sinken,
- es zu eklatanten Preisanstiegen entlang der Wertschöpfungskette und für Konsumenten kommt,
- die Importe in die EU steigen, um die Versorgungssicherheit mit Rohstoffen, Lebens- und Futtermitteln zu gewährleisten,
- und die Umweltfolgen höher sind als der Umweltnutzen.
In diesem Sinne sieht die Abteilung der Umwelt- und Energiepolitik der WKO die Notwendigkeit einer umfassenden Folgenabschätzung seitens der Europäischen Kommission.
In Österreich konnte die in Verkehr gebrachte Menge chemisch-synthetischer Wirkstoffe innerhalb von 10 Jahren um 22 Prozent reduziert werden. Eine weitere schrittweise Reduktion wird auch künftig verfolgt. Im Sinne einer produzierenden Landwirtschaft ist eine Halbierung der Menge jedoch unrealistisch, da der Einsatz von Alternativprodukten häufig höhere Aufwandmengen bedingt, was aus den aktuellen behördlichen Zulassungsstatistiken ersichtlich ist.
Laut einer Veröffentlichung der Kommission zu Trends bei der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln steigt die in Verkehr gebrachte Wirkstoffmenge in Österreich gemäß dem Harmonisierten Risikoindikator 1, da inerte Gase (Kohlendioxid, CO2) 2016 in die Statistik aufgenommen wurden. CO2 wird bei der Lagerung von Ernteprodukten – auch in der Bio-Produktion – eingesetzt. 2019 wurden in Österreich insgesamt 1.392 Tonnen inerte Gase in Verkehr gebracht, 2020 bereits 2.171 Tonnen. Sie nehmen damit 38 Prozent der gesamten in Verkehr gebrachten Wirkstoffmenge ein. Die inerten Gase sind damit der eigentliche Grund der vermeintlich steigenden Gesamtwirkstoffmengen. Ein weiterer Faktor für die Zunahme ist die vermehrte Anwendung von Pflanzenschutzmitteln mit Wirkstoffen, die eine hohe Aufwandmenge aufweisen, etwa Schwefel und Kupfer. Hier liegt die Aufwandmenge bei ca. 30 kg bis zu 55 kg Wirkstoff je Hektar und Saison, während sie bei chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln in der Regel zwischen wenigen Gramm bis zu wenigen Kilogramm liegt.
Mindestens 25% der EU-Agrarfläche sollen laut den Strategien des Green Deals ab 2030 biologisch bewirtschaftet werden. Österreich bewirtschaftet bereits 26% der Fläche biologisch und dennoch muss es die gleichen Reduktionsziele vorweisen. Hier vermissen wir mehr Fairness.
Das Anwendungsverbot von Pflanzenschutzmitteln in „empfindlichen Gebieten“ ist weit gefasst und spiegelt nicht die Bedingungen der Mitgliedstaaten wider. Das wird zu geringeren Ernteerträgen, höheren Produktionskosten, einem Anstieg der Lebensmittelpreise und einer steigenden Importabhängigkeit der EU führen. Dies insbesondere deshalb, da auch eine Stilllegung von landwirtschaftlichen Flächen in den Strategien des Green Deals vorgesehen ist.
Würde der Entwurf in seiner aktuellen Form umgesetzt, sinken in Österreich und der EU die Erträge im zweistelligen Prozentbereich und die Lebensmittelproduktion verlagert sich in Drittländer, in denen Natur- in Agrarflächen umgewandelt werden müssen. Zusätzlich steigen die Emissionen durch die aufwändigere Logistik an. Die Treibhausgas-Emissionen für die Lebensmittelproduktion Europas werden also nicht gesenkt, sondern in Drittländer verlagert und aufgrund der sinkenden Produktivität global sogar gesteigert.
Der Entwurf in der aktuellen Fassung gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Landwirte auf den globalen Agrar- und Lebensmittelmärkten. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Ertragsfähigkeit der europäischen Landwirtschaft durch die aktuellen Vorschläge deutlich zurückgehen wird. Die Produktion in Europa wird deutlich teurerer und Importprodukte aus anderen Regionen der Welt vergleichsweise billiger. Letztlich begibt sich die EU mit einem solchen Regelungsansatz und den Konsequenzen, die dieser bewirkt, in eine noch verschärftere Abhängigkeit von Regionen außerhalb der EU. Die EU wird damit erpressbar und in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt.
Der integrierte Pflanzenschutz sollte der Eckpfeiler der künftigen Verordnung bleiben. Damit Landwirte in der EU den integrierten Pflanzenschutz vollständig umsetzen können, benötigen sie einen Zugang zu möglichst vielen agronomischen, (bio)technologischen, züchterischen, biologischen und chemischen Lösungen. Ein möglichst vielfältiger Werkzeugkoffer an Betriebsmitteln ist für die Gesunderhaltung der Kulturpflanzen essenziell, da aufgrund des Klimawandels künftig mit höherem abiotischem Stress, steigendem Schädlingsdruck und neuen, oft schwer kontrollierbaren Beikräutern zu rechnen ist.
Aktuell schwindet für Landwirte in ganz Europa jedoch die Vielfalt an Lösungen und Maßnahmen, um Pflanzen gesund zu erhalten. Seit Verabschiedung der EU-Pflanzenschutzmittelverordnung (EG) Nr. 1107/2009 ist im Schnitt für vier Wirkstoffe, die vom Markt genommen wurden, nur ein neuer hinzugekommen. Dadurch ist das Resistenzmanagement und die Schaderreger-Kontrolle in vielen Kulturen erschwert (z.B. Kartoffel) bzw. zum Teil unmöglich geworden (z.B. Raps). Diese Kulturen werden vor allem von kleinen Betrieben aufgrund des hohen Ausfallsrisikos nicht mehr angebaut und gehen für die Fruchtfolge – einem essenziellen Bestandteil des integrierten Pflanzenschutzes – verloren.
Landwirte brauchen neue und leicht verfügbare Instrumente, die auf die spezifischen Klimabedingungen in den Mitgliedstaaten zugeschnitten sind. Dazu sollten auf EU-Ebene die richtigen Voraussetzungen geschaffen werden. Es braucht eine bessere Umsetzung bestehender Rechtsvorschriften und die Etablierung geeigneter sowie langfristig verlässlicher Rahmenbedingungen. Nur dann können Forschung und Entwicklung neues Wissen generieren, Prognosemodelle verbessern sowie innovative Pflanzenschutzmittel entwickeln, die eine Mengen- und Risikoreduktion ermöglichen.
Moderne und digitale Technik, satelliten- und sensorgestützte Systeme sowie vernetzte Farm-Managementsysteme erlauben eine Optimierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes, Effizienzsteigerung, Risikominimierung sowie eine ökologischere Bewirtschaftung. Der positive Effekt von Innovation, Fortschritt und digitalen Technologien ist anhand des niedrigeren Pflanzenschutzmitteleinsatzes darstellbar.
Es ist absehbar, dass moderne und digitale Technologien die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln in naher Zukunft maßgeblich bestimmen werden. Sie sind ein wichtiger Schlüssel, um eine Reduktion der eingesetzten Pflanzenschutzmittelmengen zu erreichen. Sie werden im aktuellen Vorschlag jedoch nicht berücksichtigt. Dabei wäre der vorliegende Entwurf eine gute Gelegenheit, um die Einführung innovativer Instrumente zu ermöglichen und explizit zu fördern.
Der Legislativentwurf sieht massiv steigenden Verwaltungsaufwand für die Behörden der Mitgliedstaaten und vor allem für die landwirtschaftlichen Betriebe vor, die sorgfältig geprüft werden sollten. Die zunehmende Regulierung und überbordende bürokratische Auflagen erschweren die Arbeit für die Landwirtschaft. Dies trifft vor allem kleinere und mittlere Betriebe übermäßig, von denen in der Folge viele die Bewirtschaftung aufgeben, wodurch der Strukturwandel weiter vorangetrieben wird. Eine effiziente, wirtschaftliche und kostendeckende Betriebsführung ist nur dann möglich, wenn die Rahmenbedingungen für Betriebe verbessert werden, ihre Position im landwirtschaftlichen Diskurs gestärkt wird und entsprechende Unterstützungsleistungen definiert und umgesetzt werden.
Zudem braucht es eine umfassende Beratung durch unterschiedliche Verbände und Unternehmen. Ausbildung und Beratung sollen vor allem die Bereiche Digitalisierung und Technik, den integrierten Pflanzenschutz und die Einbindung von biologischen Lösungen in die Spritzpläne, Biodiversitäts- und Umweltmaßnahmen sowie Farm-Management-Systeme umfassen. Österreich kann hier als Best-Practice-Beispiel herangezogen dienen.
Ausbildung und Beratung brauchen entsprechendes Datenmaterial und wissenschaftliche Fakten. Eine Intensivierung des horizontalen und vertikalen Wissenstransfers würde dies unterstützen und sollte durch entsprechende Maßnahmen gefördert werden. Das trägt zur Vernetzung von Wissen, zum agrarischen Fortschritt und zur Entwicklung innovativer Lösungen bei, die eine nachhaltige und zukunftsfitte Landwirtschaft sicherstellen.
Den Entwurf der Verordnung und den dazugehörigen Anhang finden Sie unter den Links zum Download.
Allfällige Stellungnahmen bzw. Anmerkungen zum Verordnungsentwurf müssen bis Montag,1. August 2022, in der WKO Oberösterreich, Umweltservice (Michaela Leutgöb, E michaela.leutgoeb@wkooe.at) einlangen, damit diese im laufenden Begutachtungsverfahren Berücksichtigung finden können.
Links:
- Vorschlag für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln und zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/2115
- Anhänge des Vorschlags für eine Verordnung des europäischen Parlaments und des Rates über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln und zur Änderung der Verordnung (EU) 2021/2115
Weitere Informationen:
- Richtlinie (EG) 128/2009 zur nachhaltigen Verwendung von Pestiziden
- BGBl. I Nr. 10/2011 Pflanzenschutzmittelgesetz 2011
- BGBl. II Nr. 233/2011 Pflanzenschutzmittelverordnung 2011
- Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln
- Durchführungsverordnung (EU) Nr. 540/2011 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 hinsichtlich der Liste zugelassener Wirkstoffe
- WKO Informationen zur EG-Pflanzenschutzmittel-Verordnung Nr. 1107/2009
- AGES-Informationen über Pflanzenschutzmittel