Humankapital und wirtschaftliche Entwicklung in Europa | Claude Diebolt, Ralph Hippe
Bildung ist seit Jahrhunderten eng mit wirtschaftlicher Entwicklung verbunden. In der Wirtschaftsgeschichte sticht die Bedeutung von Bildung für den Wohlstand von Regionen deutlich hervor. Der Beitrag von Diebolt und Hippe zur Entwicklung von Humankapital in Europa zeigt, dass jene Regionen die zu Beginn des 19. Jahrhunderts über hohe Alphabetisierungsraten verfügten, auch noch heute zu den wohlhabenden Regionen des Kontinents gehören. Bildung ist ein wesentlicher Schlüssel, um Wohlstand für kommende Generationen zu sichern und das wirtschaftliche Potenzial von Ländern auch heutzutage voll auszuschöpfen.
Die Bildungsentwicklung Europas
Verschiedene Theorien versuchen, die historischen Gründe für wirtschaftliche Unterschiede zu erklären. Beispielsweise führen Daron Acemoglu und James Robinson diese Unterschiede auf institutionelle Entwicklungen zurück. Andere Autoren wie Oded Galor argumentieren, dass Humankapital oder geographische Gegebenheiten eine große Rolle spielen und somit über Jahrhunderte die wirtschaftliche Entwicklung von Regionen beeinflussen. Diebolt und Hippe beziehen sich in diesem Beitrag auf Humankapital-Theorien und stellen eine langfristige Untersuchung des Humankapitals in Europa an.
Um die Entwicklung des Humankapitals in Europa zu untersuchen, bietet sich beispielsweise die Alphabetisierungsrate als Indikator an. Diese misst, wie viele Personen in einer Gruppe lesen und schreiben können. Seit dem 19. Jahrhundert wird dieser Indikator in Volkszählungen erfasst, für die Zeit davor können Unterschriftenquoten als Ersatz verwendet werden. Menschen die nicht schreiben konnten, haben nicht mit ihrem Namen, sondern z.B. mit einem Kreuzchen unterschrieben.
In Abbildung 1 zeigt sich klar, dass um 1930 das Zentrum Europas bei der Alphabetisierung der Bevölkerung führend war. Die Unterschiede sind hier nicht nur zwischenstaatlich, sondern auch regional zu verstehen. Das Gefälle zwischen Nord- und Südeuropa ist markant. Ebenso zeigt sich in Italien ein starkes Nord-Süd-Gefälle, das auch in Spanien existiert, aber dort weniger stark ausgeprägt ist. Das Bildungsgefälle zwischen dem Zentrum und der Peripherie Europas zeigt sich nicht nur optisch, es ist auch statistisch nachweisbar.

Die Autoren verweisen auf Modelle, die besagen, dass sich Humankapital im wirtschaftlichen Kern einer Region ansammelt, da eine große Distanz zu Märkten und Konsumenten einen negativen Anreiz für die individuelle Akkumulation von Humankapital schafft. Der Bildungsanreiz ist für jene Personen niedriger, die weiter von großen Märkten entfernt leben, weil sie durch Bildung geringere relative Gehaltszuwächse erzielen können.
Diebolt und Hippe argumentieren außerdem, dass die „Bildung der Massen“ in Europa im Raum der germanischen Sprachen begann (Zentral- und Nordeuropa). Mehrere Faktoren begünstigten diesen Prozess, z.B.:
- Die Entwicklung der (europäischen) Druckerpresse durch Gutenberg ermöglicht den Massenzugang zu Druckerzeugnissen.
- Martin Luthers Bibelübersetzung trug wesentlich zur Standardisierung der deutschen Sprache bei.
- Adam Rieses Rechen-Lehrbuch trug zur Verbreitung von Rechenfähigkeiten und der (arabisch-) indischen Ziffern bei.
Bildung in Europa - heute und in der Zukunft
Um die derzeitige Bildungssituation in Europa mit der historischen Entwicklung angemessen zu vergleichen, bietet sich das Messen von grundlegenden Fähigkeiten in spezifischen Bereichen an. Diebolt und Hippe untersuchen hierfür die Verbreitung digitaler Kompetenzen in Europa. Die Digitalisierung hat einen zunehmenden Einfluss auf die Entwicklung von Bildung und der Wirtschaft, da die meisten Berufe in Europa digitale Fähigkeiten benötigen. Derzeit verfügt jedoch fast die Hälfte der EU-Bürger nicht über ausreichende grundlegende digitale Kompetenzen.

Innerhalb Europas zeigt sich eine ungleiche Entwicklung beim Erwerb von digitalen Kompetenzen. Island und Luxemburg weisen die höchsten „digitalen Alphabetisierungsquoten“ auf, während Rumänien und Bulgarien am unteren Ende liegen. Wie bei den Alphabetisierungsquoten in 1930 zeigt sich eine Tendenz, dass Regionen im Kern Europas eine höhere digitale Alphabetisierung aufweisen als die Regionen der Peripherie.
Autoreninformation


Haftungsausschluss: Die zum Ausdruck gebrachten Standpunkte sind ausschließlich die der Verfasser und sind nicht als offizielle Stellungnahme der Europäischen Kommission anzusehen