Das ist die Frage, um die sich letztlich alles dreht. Denn egal was man produziert, welchen Service man anbietet, egal wie man sein Geld verdient; es braucht Abnehmer. Allerdings gehen Sie die Sache, wenn Sie die Frage von vornherein so stellen, tendenziell falsch an. Wenn Sie die Gesellschaft zunächst einmal als Menschen und nicht als Markt sehen, fällt es Ihnen leichter, Bedürfnisse zu identifizieren, neue Entwicklungen zu beobachten und Innovationen zu kreieren. Haben Sie von Anfang den Kunden im Sinn, denken Sie nur in Angeboten und erkennen nicht, was gebraucht wird.
Individualisierung macht Menschen unberechenbarer
Früher sah die Welt für Unternehmer vergleichsweise einfach aus. Sie definierten bestimmte Zielgruppen und teilten die Gesellschaft so in unterschiedliche Segmente ein. Sie überlegten sich, zu wem ihr Produkt passt und legten sich fest, etwa auf Männer im Alter zwischen 25 und 40, verheiratet, mit abgeschlossener höherer Schulbildung. Im 20. Jahrhundert funktionierte das ziemlich gut, denn einfache soziodemografische Daten reichten aus, um in der Breite relativ gut persönliche Einstellungen, Werte und Interessen, Vorlieben und Bedürfnisse zu bestimmen. Heute sieht das anders aus. In unserer hochkomplexen Welt mit ihrem gesellschaftlichen Wandel gibt es ein Phänomen, das dem Einzelnen nie zuvor da gewesene Freiheiten gibt, sich zugleich aber als wahrer Horror für Marketingstrategen entpuppt: der Megatrend Individualisierung.
Waren früher Biografien linearer und etwa stark durch Alter, Herkunft, Bildungsgrad oder Einkommen bestimmt – Stichwort Sinus-Milieus – sind die heutigen Lebensstile frei gewählt und flexibel. Im Sinne eines ständigen Prozesses von Selbstdesign stellt sich nicht nur die Frage, wer man ist, sondern auch, wer man sein will. Die persönlichen Lebensstile sind Ausdruck der eigenen Identität, der Werte und Interessen. Lebensstile werden gewechselt, sie können sich überlappen, es können bewusste Brüche herbeigeführt werden. Eine Frau Mitte 20 kann heute als Multi Performer zielstrebig die eigene Karriere verfolgen und morgen ausbrechen, um als Digitaler Nomade durch die Welt zu ziehen oder ein Sabbatical einzulegen. Lebensstile sind nicht von soziodemografischen Merkmalen vorgegeben, die aktuelle Lebenssituation prägt das Verhalten und verändert die Bedürfnisse. Das Verhalten der Menschen ist für Unternehmer unberechenbarer geworden.
Analysieren und beobachten
Als Gegenargument könnte man anführen, dass heute kein Schritt unbeobachtet bleibt. Es werden an jeder Ecke Daten gesammelt, in jeder Größenordnung. Die Giganten Google, Amazon und Facebook wissen vermutlich mehr über einen Menschen, als es viele seiner Freunde tun. Was wann wo auf welchem Gerät gekauft wird ist aber auch für KMU kein Geheimnis. Sie können diese Daten relativ einfach, etwa aus ihrem Webshop, auslesen. Mit dem gläsernen Kunden scheint der große Traum jedes Marketingstrategen heute Realität geworden zu sein, doch trotz – oder gerade – wegen Big Data passieren auch Fehleinschätzungen, denn Datenanalysen bringen zwar ans Licht, was Menschen machen, aber nicht, warum sie es machen.
„Wie viele Tage haben Sie im vergangenen Jahr bei Ihren Kunden verbracht?“, ist eine der ersten Fragen, die Martin Lindstrom für gewöhnlich stellt, wenn er in den Vorstandsetagen der größten Konzerne der Welt aufschlägt. Die Antwort, die der Innovationsexperte, Marketingguru und Bestsellerautor zumeist erhält: betretenes Schweigen. Für Lindstrom sind es die kleinen Details im Alltag der Menschen, die den Unterschied ausmachen – Small Data statt Big Data. Wie und warum nutzen Kunden ein Produkt, welche Probleme treten dabei auf? Der Däne lebte bei über 2.000 Familien, beobachtete ihren Alltag und ihren Umgang mit den Produkten seines jeweiligen Auftraggebers. Dadurch gelang es ihm vielfach, die Gründe für zunächst unerklärliche Umsatzeinbußen aufzuspüren. Lindstrom beobachtet und interpretiert. Datenanalysen machen vieles möglich und sind ein mächtiges Tool, aber nur durch eine Auswertung und Interpretation, die über die Zahlen hinausgeht, ergibt sich ein klares Bild.
Hand aufs Herz, wann haben Sie sich zum letzten Mal direkt mit Ihren Kunden auseinandergesetzt oder sind zumindest in seine Schuhe geschlüpft? Wann haben Sie selbst zum letzten Mal Ihren Bestellprozess von Anfang bis Ende durchgemacht? Wann haben Sie einem Ihrer Kunden das letzte Mal dabei zugesehen, wie er Ihr Produkt verwendet oder Ihren Service nutzt? Unternehmer haben Bilder im Kopf, Vorstellungen davon, wer ihre Kunden sind und wie sie mit ihren Produkten arbeiten. Oft ist dabei der Wunsch Vater des Gedankens, Annahme und Wirklichkeit driften durch fehlende Reflektion auseinander.
Implizites Wissen explizit machen
Um zu erkennen, was Ihre Kunden brauchen und brauchen werden, ist es notwendig, das Bisherige auf den Prüfstand zu stellen und jegliche Annahmen zu überdenken. Ein wichtiger, effektiver und vergleichsweise einfacher erster Schritt dazu ist es, das gesamte im Unternehmen vorhandene Wissen über Kunden auszuschöpfen. Jeder Ihrer Mitarbeiter hat seine eigene Sicht und verfügt über sein individuelles Bild vom Kunden. Gerade diejenigen, die intensiven Kundenkontakt haben, wissen am meisten über Ihre Kunden. Das Wissen aller zu sammeln, zusammenzuführen und daraus ein einheitliches Verständnis von Kunden und potenziellen Kunden abzuleiten, offenbart blinde und weiße Flecken. Es räumt mit etwaigen Missverständnissen auf und schafft Klarheit im Unternehmen. Das ist die Grundlage, um Kundenbeziehungen auf- bzw. auszubauen und jene Lebensstile herauszukristallisieren, die für Sie relevant sind.
Welche Emotionen ruft Ihr Unternehmen hervor? Welche Werte spricht es an? Wie wirkt Ihr Unternehmen in der Öffentlichkeit? Welches Image hat es? Was verbinden die Menschen mit Ihrem Unternehmen? Kurz gesagt: Welche Resonanz erzeugt Ihr Unternehmen? Das lässt sich nicht klassisch messen, denn es geht dabei um mehr als ein mediales Echo oder die Bekanntheit des Unternehmens. Menschen bauen zu allem Beziehungen auf, auch zu Unternehmen.
Vertrauen und Authentizität
Betrachtet man die aktuellen Entwicklungen, sind den Kunden von heute und morgen vor allem Qualitäten wie Vertrauen und Authentizität wichtig. Vorfälle wie die Finanzkrise, die Diesel-Affäre oder der jüngste Betrugsfall beim renommierten Magazin „Der Spiegel“ haben ganze Branchen in Vertrauenskrisen gestürzt und die Forderung der Konsumenten nach Transparenz befeuert. Im Lebensmittelbereich etwa erhoffen sich Konsumenten von der Blockchain-Technologie eine lückenlose Dokumentation der Nahrungsmittel vom Erzeuger über die gesamte Verarbeitungs- und Logistikkette bis zum Endkonsumenten. Dies soll die ewige Frage danach beenden, woher unser Essen kommt und wie es produziert wird.
Die ermächtigten Konsumenten erwarten Transparenz und Authentizität. Sie wissen um die Mechanismen, etwa um den großen Einfluss von Algorithmen, die einem vermeintlich immer genau das Richtige anbieten. Konsumenten haben aber auch ein feines Gespür für unglaubwürdige Unternehmen, in denen ausgegebene Werte oder die Unternehmensphilosophie nur Fassade sind. Im Wettstreit um die Gunst der Kunden ist es entscheidend, nicht den großen Vorbildern zu folgen und sie versuchen zu kopieren. Jedes Unternehmen hat seine eigenen Stärken, Potenziale und Herausforderungen, seine eigene Vision und Identität, die es konsequent beizubehalten gilt. Was machen Sie mit Ihrem Unternehmen, wie machen Sie es und vor allem; warum machen Sie es? Dabei geht es nicht darum, was Sie mit Ihrem Unternehmen sein wollen, sondern darum was es ist. Unverwechselbare, echte Markenwerte sind der Schlüssel zu nachhaltigen Kundenbeziehungen und langfristigem Erfolg.
Emotionen und Erlebnis
Häufig wird außer Acht gelassen, dass Kaufentscheidungen auch emotional getroffen werden. Gerade bei populären Marken, aber auch beim Einkauf in der Region spielen keineswegs nur rationale Überlegungen eine Rolle. Es gibt die raschen Impulskäufe oder Käufe, die das eigene Gewissen beruhigen. Auch das Kundenerlebnis ist ein entscheidender Faktor. Das Tracking der anfahrenden Wagen bei Uber oder MyTaxi beispielsweise strahlt eine große Beruhigung für den Kunden aus und hat die User Experience geprägt. Unternehmer neigen oft dazu, Menschen rationaler einzuschätzen, als sie sind.
Was Menschen im komplexen Heute und Morgen brauchen, sind maßgeschneiderte Angebote, die optimal zu ihrem jeweiligen Lebensstil passen. Sie wollen darüber hinaus in Beziehung mit Unternehmen stehen, bei denen die Vertrauensbilanz positiv ausfällt und die eine starke Customer Journey bieten. Und manchmal wollen sie auch einfach emotional berührt werden und bezahlen für ein bestimmtes Gefühl. Unternehmer, die ihre Produkte konsequent und authentisch an diesen Anforderungen orientieren und beobachten, anstatt nur zu analysieren, werden auch in Zukunft Menschen an sich binden.