Sparte Industrie

Zu wenig und zu langsam: Politik in der Energiekrise

Informationen der Bundessparte Industrie

Lesedauer: 4 Minuten

13.03.2023

Die Energiekrise 2022 stellt die größte Herausforderung für die europäische Industrie der letzten Jahrzehnte dar. Verschärft wird die Situation dadurch, dass die Reaktion der Politik auf die Krise unbefriedigend ausfällt - insbesondere auf europäischer Ebene. Warnungen und konstruktive Vorschläge der Industrie wurden (zu) lange ignoriert.

Im Gegensatz zu den bisherigen Wirtschaftskrisen des 21. Jahrhunderts zielt die gegenwärtige Energiekrise geradewegs auf das Herz der industriellen Tätigkeit in Europa, nämlich der Versorgung mit ausreichend und kostengünstiger Energie. Das ist eine dramatische, die Existenz der europäischen Industrie gefährdende Situation. Besonders problematisch ist, dass die Betroffenheit am Standort Europa ungleich höher ist als in anderen Teilen der Welt, da es sich – im Gegensatz zu den Energiekrisen der 1970er Jahre – nicht um eine globale, sondern primär europäische (Energie-) Krise handelt: Dadurch verschlechtert sich die Position der europäischen Industrie im internationalen Wettbewerb rasant, was sich nicht nur auf kurz- und mittelfriste Markterfolge auswirkt, sondern auch entsprechende Investitionsentscheidungen nach sich zieht und den Standort Europa längerfristig massiv schwächt.

Gerade in einer solchen europäischen Krisensituation wäre ein rasches und gemeinsames politisches Handeln unter Federführung der Europäischen Union von entscheidender Bedeutung. Die europäische Industrie drängt seit Monaten auf dieses gemeinsame Handeln und fordert insbesondere Eingriffe bei zentralen Preismechanismen. Zudem hätte gerade seitens der EU-Kommission eine konstruktive Verbindung der aktuellen Marktsituation mit der politischen Transformationsagenda („Green Deal“) erfolgen können, denn bei Preissteigerungen am Markt wäre eine Neubewertung beziehungsweise eine entsprechende Reduktion der politisch vorgegebenen Signale am Energiemarkte nur folgerichtig (und sinnvoll) gewesen.

Die defizitäre Reaktion auf europäischer Ebene hat einen Schaden angerichtet, der über die Unsicherheit der Energieversorgung und die untragbare Höhe der Energiekosten hinausgeht:  Die zu Beginn der Krise noch auf den Energiesektor begrenzbaren Preiswirkungen haben, nicht zuletzt im Weg der Lohn- und Gehaltsrunden des zweiten Halbjahres, eine volkswirtschaftliche Breite erhalten, die kaum noch begrenzbar ist. Wenn man bedenkt, mit welch hohen volkswirtschaftlichen Kosten eine Inflationsbekämpfung immer verbunden ist – man denke etwa an die 1980er Jahre -, werden uns die Versäumnisse der letzten Monate noch lange, lange Zeit begleiten.  

Wenn der Zeitpunkt für rechtzeitiges Handeln versäumt ist, sind die verbliebenen Handlungsoptionen oft unbefriedigend. Statt einer rechtzeitigen Preisdeckelung und einer Entkoppelung von Gas- und Strommarkt bastelt die Politik in vielen Ländern an Subventionspaketen und Ideen der Abschöpfung sogenannter „Übergewinne“.  Subventionen und Zuschüsse zur Kompensation von vorhergehendem Versagen in der Gestaltung von Rahmenbedingungen mögen im konkreten Fall zwar wirklich alternativlos sein, sie werden aber leider auch hohe Streuverluste mit sich bringen. Und die Gewinnabschöpfung ist aus markt- und ordnungspolitischen Gründen ein mehr als zwiespältiges Instrument, dessen momentan positive budgetäre Auswirkung wohl weit überkompensiert wird durch die damit verbundene, künftige Rechtsunsicherheit für Investoren.

Mangels zentraler Weichenstellung ist den letzten Monaten zunehmend geschehen, was Europa in der Vergangenheit schon oft geschwächt hat: Ein Wettbewerb zwischen den Staaten, der die jeweilige nationale Politik aus Gründen der Standortkonkurrenz zu Handlungen zwingt, die nicht notwendiger Weise sinnvoll sind. 

In diesem nationalen Wettlauf hat Deutschland mit seiner Gas- und Strompreisbremse vorgelegt: Darauf müssen die anderen europäischen Länder reagieren, insbesondere auch Österreich.  Gerade die österreichische Industrie ist mit der Industrie Deutschlands eng verbunden, sodass sich stark voneinander abweichende Regelungen massiv auf den Wettbewerb auswirken; in diesem Fall massiv negativ für Unternehmen am Standort Österreich. Darauf muss die österreichische Politik rasch mit einer unbürokratischen Entlastung der heimischen Unternehmen reagieren – was auch grundsätzlich seitens der Politik zugesagt wird. Die Industrie steht mit der Politik im Gespräch, um im Rahmen des befristeten EU-Beihilferahmens entsprechende Unterstützungsmaßnahmen mit einem Geltungsbereich bis Ende 2023 zu vereinbaren.

Deutschland hat auch den nächsten Schritt der Erhöhung der CO2-Bepreisung um ein Jahr verschoben.  Auch diesbezüglich muss eine Angleichung der Rechtslage in Österreich erfolgen, um ein Schieflage in der Konkurrenzsituation zu verhindern.

Der Schwerpunkt der Kritik bezüglich der Handhabung der Energiekrise 2022 ist an die Europäische Kommission zu richten. Aber auch der nationalen Politik kann Kritik nicht völlig erspart werden: Viele sinnvolle, auf nationaler Ebene umzusetzende Schritte erfolgen in einer Geschwindigkeit, die der Dramatik der Situation nicht angemessen ist. Beispielsweise haben viele Industriebetriebe aktiv Schritte unternommen, um ihr Gas aus Kosten- und Versorgungsgründen durch andere Energieträger zu ersetzen – und scheitern an zu langen und komplizierten Genehmigungsverfahren. Ein von der Wirtschaftskammer Österreich vorgelegtes Gesetz, das eine freiwillige Umstellung rasch ermöglichen soll, befindet sich in der Warteschleife. Säumig ist das BMK hier beim „Missing Link“, nämlich der Förderrichtlinie zum Gas-Diversifizierungsgesetz, um freiwillige Investitionen der Industrie zum Fuel Switch zu unterstützen.

Ebenfalls unerledigt ist die Verlängerung und Beschlussfassung des Strompreiskosten-Ausgleichsgesetzes, um die indirekten CO2-Kosten der Industrie auszugleichen – zahlreiche andere EU-Staaten haben dieses Instrument bereits seit mehreren Jahren umgesetzt. Ebenso fehlt im österreichischen Gas-Notfallplan noch immer die Berücksichtigung der Interessen der Industrie im Sinne der EU-Verordnung über koordinierte Maßnahmen zur Senkung der Gasnachfrage.  Weiters sind die Entscheidungen über eine Verlängerung und – wünschenswerter Weise eine Erhöhung - der Vorausvergütung der Energieabgaben noch ausständig. Hinsichtlich der Schaffung mittelfristiger Alternativen am Energiemarkt klafft ebenfalls eine legistische Lücke: Da ein Grüngas-Gesetz fehlt, hat die Industrie keine verlässlichen Rahmenbedingungen zum Markthochlauf von Biogas, Biomethan und Wasserstoff. 

Gerade in Zeiten, in denen die Industrie so massiv unter Druck steht, sollten die Rahmenbedingungen rechtzeitig klargestellt werden. Nur dann können Unternehmen hinsichtlich Produktionen und Investitionen mit hinreichender Sicherheit kalkulieren. Hier kann und muss die nationale Politik ihren Beitrag leisten, um Produktion und Beschäftigung in Österreich in schwierigsten Zeiten zu sichern.


Unterschrift
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Mag. Sigi Menz
Obmann der Bundessparte Industrie