Energiepreise: EU-Kommission schlägt Markteingriffe vor
Informationen der Bundessparte Industrie
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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat am 14. September 2022 in ihrer Rede zur Lage der Union den Notfallplan gegen die Energiekrise präsentiert. Mittels Ratsverordnung sollen außerordentliche, zeitlich begrenzte Maßnahmen zur Reduktion des Stromverbrauchs und zur Deckelung der Markteinnahmen ergriffen werden. Damit sollen Endkunden entlastet werden. Langfristig soll eine Überarbeitung des Marktdesigns erfolgen.
Konkret sollen mit der geplanten Ratsverordnung übermäßige Gewinne von Energiefirmen in der EU abgeschöpft und umverteilt werden. Von der Leyen kündigte einen Gesetzesvorschlag an, der sowohl Produzenten von erneuerbarem Strom als auch Gas- und Ölkonzerne treffen würde. Aus Sicht der Industrie greifen die vorgeschlagenen Maßnahmen zu kurz. Statt das Problem bei der Entstehung der Strompreise anzugehen, werden Symptome, nämlich die entstehenden Übergewinne, bekämpft. Das ist bürokratisch aufwendig (Rückführung der Übergewinne über Förderungen) und bringt keine direkte Entlastung für die Endkunden. Auch können durch individuelle Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten innereuropäische Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Für eine echte Entlastung und ein faires Level playing field sind aus heutiger Sicht Eingriffe in die Großhandelspreise auf europäischer Ebene unumgänglich.
Verpflichtende Stromverbrauchsreduktion
Analog zur Verordnung zur Gasreduktion sollen nach Ansicht der EU-Kommission auch im Stromsektor Einsparungen erfolgen. Vizepräsident Frans Timmermans schlug daher vor, den Stromverbrauch während Zeiten mit Preisspitzen verpflichtend um mindestens 5 % abzusenken. Die Mitgliedstaaten sollen außerdem die Gesamtstromnachfrage bis 31.März 2023 um mindestens 10% senken. Eine Reduzierung der Nachfrage zu Spitzenzeiten würde gemäß Kommission im Winter zu einer Reduzierung des Gasverbrauchs um 1,2 Mrd. Kubikmeter führen. Die Mitgliedsstaaten können hierfür klar definierte, transparente und verhältnismäßige Maßnahmen ergreifen, um den Bruttostromverbrauch zu senken.
Einnahmendeckelung bestimmter Stromerzeuger
Mit einer Umsatzdeckelung sollen sogenannte „Übergewinne“ von Unternehmen, die Strom zu niedrigen Kosten produzieren („inframarginale Stromerzeuger“), abgeschöpft werden, wie EU-Vizekommissionspräsident Frans Timmermans und EU-Energiekommissarin Kadri Simson präsentierten. Die Markteinnahmen von Wind- und Solarenergie, Geothermie, Wasserkraft ohne Speicher, Biomasse (fest und gasförmig - exkl. Biomethan), Abfällen, Nuklearenergie, Braunkohle, Schieferöl, Erdöl und andere Ölprodukten sollen mit einer Obergrenze von 180€/MWh gedeckelt werden. Die Kommission schätzt, dass die Mitgliedstaaten dadurch jährlich bis zu 117 Mrd. Euro einnehmen können. Unabhängig davon können die EU-Staaten weitere Maßnahmen zur Limitierung der Markteinnahmen einführen. Diese müssen allerdings verhältnismäßig sein, dürfen keine Beeinträchtigung der Funktionsweise des Strommarktes darstellen und keine Investitionssignale gefährden. Unterstützungsmaßnahmen, z.B. in Form einer Direktüberweisung an Endstromkunden, sollen zur Abgeltung der hohen Strompreise mit den Einnahmen finanziert werden.
Solidaritätsbeitrag zur Entlastung von Endverbrauchern
Weiters sieht der Kommissionsvorschlag vor, dass Unternehmen, die Mehrgewinne aus Aktivitäten im Öl-, Gas-, Kohle- und Raffineriesektor erzielen, einen Solidaritätsbeitrag leisten. Dieser soll auf der Grundlage jener steuerpflichtigen Gewinne 2022 abgeschöpft werden, die 20 % über den durchschnittlichen Gewinnen der vorangegangenen drei Jahre liegen. Der Solidaritätsbeitrag soll bis spätestens 31. Dezember 2022 von den Mitgliedsstaaten eingeführt werden und soll nur für das Wirtschaftsjahr, das mit oder nach dem 1. Jänner 2022 begonnen hat, gelten. Diese Einnahmen sollen dann zur finanziellen Unterstützung von Endverbrauchern, wie der energieIntensiven Industrie, verwendet werden. Darüber hinaus sollen mit den Einnahmen auch Investitionen in Erneuerbare durch Endenergiekunden oder strukturelle Energieeffizienzmaßnahmen durchgeführt werden.
Kein Preisdeckel für russische Erdgasimporte
Anfang September schien Kommissionspräsidentin von der Leyen noch fest entschlossen russische Erdgasimporte mit einem Preisdeckel zu belegen. Im Verordnungsvorschlag rückt die Europäische Kommission von diesen Plänen ab. Der Grund dafür war, dass beim außerordentlichen Treffens der EU-Energieminsister am 9. September 2022 klar wurde, dass es zu dieser möglichen Maßnahme unterschiedliche Meinungen bzw. gänzliche Ablehnung gibt. Nun soll eine Task-Force mit ExpertInnen der Mitgliedsstaaten eingerichtet werden, um Vorschläge dafür auszuarbeiten.
Notfallmaßnahmen mit Ablaufdatum
Die zuständigen Behörden in den Mitgliedsstaaten sollen die Umsetzung der Maßnahmen überwachen und der EU-Kommission über geplante und umgesetzte Maßnahmen, die erreichte Nachfragereduktion, generierte Einkommensüberschüsse, Maßnahmen zur Abfederung der hohen Strompreise für Endkunden, staatliche Eingriffe in die Preisbildung, den Solidarbeitrag und die Verwendung der daraus resultierenden Einnahmen berichten.
Die Maßnahmen zur Umsatzdeckelung und zur Verbrauchsreduktion sind bis März 2023 beschränkt und sollen dann in ihrer Wirkung beurteilt werden. Die Verordnung soll noch im September beschlossen werden. Die Kommission kann dann die Anwendung der Verordnung verlängern oder abändern. Die Anwendung der Solidaritätsabgabe ist auf ein Jahr beschränkt.
Industrie sieht Vorschläge kritisch
Der geplante Preiscap und der Solidaritätsbeitrag setzen am falschen Punkt im System, nämlich nachgelagert, an. Damit würden zwar überschießende Erträge bzw. Profite vermieden, jedoch ändert sich nichts am Großhandelspreis. Damit abschöpfbare Profite und Erträge entstehen, mussten die Endkunden den Strom bereits zu überdurchschnittlich hohen Preisen bezahlt haben. Somit bleibt Liquidität gebunden, und für Unternehmen ergibt sich daher kein direkter positiver Effekt.
Grundsätzlich sind Unterstützungen beim Endkundenpreis schon jetzt möglich. Es besteht die Gefahr, dass manche Endkunden-Segmente bei Förderungen benachteiligt werden. Da die Wirtschaft als großer Stromverbraucher auch für einen Großteil der Übergewinne aufkommt, müssten diese zur Preisdämpfung breitflächig an die Unternehmen zurückgegeben werden. Weiterer kritischer Effekt: mit dem Fokus auf Förderungen auf Ebene der Mitgliedstaaten werden eine Zerstückelung des europäischen Markts und Wettbewerbsverzerrungen riskiert, denn die Mitgliedsstaaten werden ihre Endkundensegmente unterschiedlich stark unterstützen. Damit können Wirtschaftssektoren in einem Mitgliedstaat vorübergehend Vorteile gegenüber anderen erhalten.
Energieeffizienzmaßnahmen werden in Unternehmen aufgrund der hohen Preise bereits umgesetzt, sofern diese Maßnahmen überhaupt noch leistbar sind. Wenn nun aber weiterer Druck zur Verbrauchssenkung, ohne entsprecherndes Balancing der Maßnahmen, hinzukommt, könnten Produktionsstopps das Ergebnis sein - das muss unbedingt verhindert werden. Die Einführung eines Strom-Einsparziels birgt die Gefahr einer Verunsicherung der Endkunden, denn der erst kürzlich beschlossene Gasnotfallplan motiviert zur Senkung des Gasverbrauchs - eine Möglichkeit hierzu stellte der Wechsel zu anderen Energieträgern, wie etwa auch Strom, dar.
Eingriffe in Merit Order und Emissionshandel offen
Das Merit-Order-System zeigt aktuell seine Schwächen. Eine wichtige Maßnahme wäre daher eine befristete Anpassung der Preisbildung im Strommarkt, also eine Entkoppelung von Strom- und Gaspreis. Damit kann eine direkte Entlastung sowohl für Haushalte als auch für Unternehmen erreicht werden. Auch ein vorübergehendes Aussetzen des EU-Emissionshandels wäre eine mögliche Maßnahme: das Ziel der CO2-Bepreisung ist das Erreichen eines Lenkungseffekts, um einerseits einen Wechsel von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern anzureizen, andererseits auch Effizienzmaßnahmen wirtschaftlicher zu machen. In der aktuellen Situation haben die Preise allein bereits eine deutliche Lenkungswirkung. Um die Industrie von den hohen CO2-Preisen zu entlasten, wäre ein zeitlich limitiertes Aussetzen der CO2-Bepreisung auf EU- und nationaler Ebene notwendig.
Die Energieministerinnen und -minister treffen sich am 30. September erneut in Brüssel, um dann über die Gesetzesvorschläge der EU-Kommission zu entscheiden.
Autor:
DI Oliver Dworak
E-Mail: oliver.dworak@wko.at