Länger arbeiten: Unternehmer sind Vorbild
Das österreichische Pensionssystem gerät zunehmend unter Druck. Experten fordern mehr Nachhaltigkeit, etwa durch ein automatisch steigendes Pensionsantrittsalter. Für viele Selbstständige ist länger arbeiten bereits normal
Lesedauer: 5 Minuten
Zwischen 2005 und 2022 wurde das heimische Pensionsrecht bereits 29-mal maßgeblich geändert, berichtet der Rechnungshof. Die nächste Änderung könnte auf Österreich nach der Nationalratswahl zukommen, die am 29. September stattfindet. Denn die Österreicher werden immer älter, immer mehr Menschen sind dadurch immer länger in Pension. Die Zahl der Erwerbstätigen, die die Pensionen finanzieren, kann mit dieser Entwicklung nicht mithalten. Ganz im Gegenteil: Bis 2060 wird die Zahl der 20- bis 65-Jährigen in Österreich von 5,56 Millionen auf 5,22 Millionen zurückgehen, während die Zahl der über 65-Jährigen von 1,80 Millionen auf 2,87 Millionen massiv zulegt, so die aktuelle Bevölkerungsprognose der Statistik Austria (siehe Grafik Seite 7). Auch die Bemühungen der vergangenen Jahrzehnte, das reale Pensionsantrittsalter näher an das gesetzliche heranzuführen, fruchten nur unzureichend: Seit 2018 ist es im Schnitt um lediglich 0,7 Jahre auf 61,1 Jahre gestiegen. Einen weiteren Anstieg wird nun die schrittweise Angleichung des gesetzlichen Antrittsalters für Frauen an jenes der Männer bringen: Bis 2034 steigt es jährlich um ein halbes Jahr. Doch danach wird das reale Antrittsalter in Österreich wieder stagnieren, zeigen Prognosen.
Selbstständige arbeiten länger
Wirtschaftstreibende gehen heute schon im Schnitt um 1,5 Jahre später in Pension als Arbeitnehmer, und zwar mit 62,3 Jahren. Und: Auch mit dem Pensionsantritt ist für viele nicht Schluss - sie arbeiten weiter. Einer von ihnen ist der Wiener Optiker-Meister Thomas Scheibl. Er ist Unternehmer, seitdem er 23 Jahre alt ist - heute ist er stolze 75 Jahre. Angefangen hat er mit einer zentralen Werkstätte, die für Optiker Brillengläser in Fassungen einarbeitet. Später hat er einen florierenden Handel mit optischen Instrumenten aufgebaut, die Optiker und Augenärzte brauchen. „Wir hatten einen großen Marktanteil in Österreich und Kunden in Deutschland, Frankreich, Italien und in den USA”, sagt Scheibl. Doch mit dem österreichischen EU-Beitritt wurde es schwierig, der Konkurrenzdruck aus Deutschland zu stark. „Wir sind dann nach Osteuropa gegangen, vor allem Tschechien war ein sehr guter Markt für uns. Dort gab es damals noch keine Anbieter wie uns, und sie brauchten alles”, erinnert sich der Unternehmer. Ein paar Jahre später war der Handel mit den optischen Geräten auch in Tschechien nicht mehr sehr lukrativ, Scheibl baute daher mehrere Augenoptik-Fachgeschäfte in Tschechien auf und 2009 seinen technischen Schauraum in Meidling zu einem Optiker-Geschäft um, das er gemeinsam mit seiner Frau bis heute betreibt. Der Handel mit optischen Geräten läuft österreichweit und in Tschechien unter der Marke TS Optik indes weiter. An zwei Tagen in der Woche arbeitet er in Wien, an drei Tagen in seiner letzten tschechischen Filiale in Brünn. Neuentwicklungen faszinieren ihn immer noch, Messen besucht er weiterhin laufend. „Ich wollte mit 65 nicht aufhören, weil das Interesse noch da war. Aber ich laufe nicht mehr jedem Geschäft um jeden Preis nach, ich mache mehr Urlaub und sperre dann einfach zu”, sagt Scheibl. Wenn die Nachfolge passt, will er seinen Betrieb, seine Stammkunden, sein internationales Netzwerk und sein Fachwissen übergeben. Eilig hat er es nicht.
Solange es Spaß macht
Auch mit 80 Jahren noch nicht Schluss machen möchte Herta Schlemmer, Kaffeehaus-Betreiberin mit 44 Sitzplätzen und eine wahre Institution in Währing. „Mit 60 Jahren in Pension gehen, hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich bin mit meinem Kaffeehaus sehr glücklich”, sagt die Unternehmerin, die seit 1968 an diesem Standort ist. Früher war es ein Kaffeehaus und eine Konditorei mit eigener Produktion, für die einst ihr Mann gesorgt hat. Heute gibt es hier Kaffee und Konversation: Hier trifft man einander in einer charmanten, gut gepflegten Wohnzimmer-Atmosphäre aus einer früheren Zeit, umrahmt von schönem Geschirr und Gemälden, die ein fachkundiger Altwarenhändler ausstellt. Schlemmer selbst genießt die Gespräche mit interessanten Menschen, oft Hochgebildete, die sie sehr bereichern, wie sie sagt. Ebenso gerne erinnert sie sich an die vielen Schüler, die in früheren Jahrzehnten bei ihr die Freizeit verbrachten und heute als Eltern oder Großeltern immer noch zu ihr kommen. Früher war hier mehr los, heute schätzt es die Unternehmerin, wenn es nicht zu viel wird. „Es ist für mich ein Hobby geworden, ich mache ja alles alleine”, sagt Schlemmer. Von Montag bis Freitag hat sie von 9 Uhr bis 17 Uhr geöffnet, am Abend zahlt sie ihre Rechnungen über das Internet. „Die Bank hat ja nur offen, wenn ich offen habe”, erklärt Schlemmer. Auch am Wochenende gönnt sie sich keine Ruhe - da ist Gartenarbeit angesagt. „Bei mir ist auch sehr viel Selbstdisziplin dabei. Je weniger man sich bewegt, desto früher wird man alt.”
Begeisterung für Technik hält jung
Mit Tatendrang und Leidenschaft am Werk ist auch Nähmaschinen-Mechanikermeister Manfred Bruckner. Der 77-Jährige ist seit 1968 in diesem Beruf selbstständig, hat damals den Betrieb seines Vaters übernommen und davor bei einer Industrienähmaschinen-Firma gelernt. Diese hochwertige Ausbildung ermöglichte ihm in den folgenden Jahrzehnten, nicht nur Nähmaschinen für den Privatbedarf zu reparieren, sondern auch große Anlagen, die etwa in der Textilindustrie verbaut sind, oder auch Bügel- und Dampfanlagen in Wäschereien, Anlagen bei Polsterherstellern, Segelmachern, Stoffhändlern und Teppichhändlern. Heute ist er als Ein-Mann-Unternehmen mit seinem Geschäft im 10. Bezirk weiterhin darauf spezialisiert, Nähmaschinen für Haushalt und Industrie zu reparieren, zu warten und zu verkaufen. „Die Arbeit hält mich fit, an mir wurde noch nichts erneuert”, scherzt Bruckner. „Ich werde weitermachen, solange es mir Spaß macht und ich gesund bin. Denn mich interessiert nach wie vor der Erfolg, wenn ich etwas geschafft habe”, sagt der technikbegeisterte, computerfitte Unternehmer, der die Komplexität von Nähmaschinen in- und auswendig kennt. Und er schätzt den Kontakt zu seinen Kunden: „Viele sind froh, dass es mich gibt, und fragen mich, wohin sie sich wenden sollen, wenn ich eines Tages nicht mehr da bin”, sagt Bruckner. Einfach ist die Antwort nicht gerade: Einen potenziellen Nachfolger für seinen Betrieb gibt es nicht.
Weitere Reformen unumgänglich
Um die Finanzierung des heimischen Pensionssystems langfristig abzusichern und den Staatshaushalt nicht zu überlasten, spricht sich die Wirtschaftskammer seit Jahren für Anpassungen aus. Etwa zusätzliche Anreize für längeres Arbeiten, mehr Vollzeitarbeit statt Teilzeitarbeit sowie eine gezielte Zuwanderung von Arbeitskräften, die die Zahl der Erwerbstätigen steigern könnte. Der Fachverband der Pensions- und Vorsorgekassen in der WKÖ wiederum fordert weitere Anreize für den Aufbau der zweiten Säule des Pensionssystems, also der betrieblichen Pensionsvorsorge neben der staatlichen Pension und der privaten Vorsorge.
Mögliche Maßnahmen gegen die Pensionskrise
Weil die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter in Österreich sinkt und die Zahl der Pensionsempfänger dramatisch steigt, droht das Pensionssystem in der derzeitigen Form überlastet zu werden. Um einen Verfall der staatlichen Pensionshöhen zu vermeiden, können Maßnahmen kombiniert werden, die darauf abzielen, die Zahl der Beitragszahler zu steigern. Ergänzend können die betriebliche und private Vorsorge forciert werden.
- Qualifizierter Zuzug
Durch den vernünftig angelegten Zuzug von qualifizierten Menschen im erwerbsfähigen Alter aus dem Ausland gibt es mehr Beitragszahler. - Länger Arbeiten
Durch die Anhebung des realen
Pensionsantrittsalters gibt es mehr Beitragszahler und weniger (reine) Pensionsempfänger. - Höhere Erwerbsquote
Durch weniger Teilzeit- und mehr
Vollzeitbeschäftigung sowie durch Aktivierung von mehr Erwerbsfähigen gibt es mehr Beitragszahler. - Nachhaltiges System
Es gilt, ein funktionierendes System der kontinuierlichen Anpassung, das einer einheitlichen und langfristigen Strategie folgt, zu etablieren.