Person blickt auf Tablet in Warenlagerhalle
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Vertikale Wett­­bewerbs­be­schränkungen - Vertriebs­­­bindungen

Vertragliche Vertriebssysteme als wesentlicher Bestandteil in der Wirtschaftspraxis

Lesedauer: 8 Minuten

Vertragliche Vertriebssysteme stellen einen wesentlichen Bestandteil des Wirtschaftslebens dar. Vom Begriff „vertikale Vertriebsbindung“ umfasst sind nicht nur spezielle Formen wie „Franchisingverträge“ sondern alle vertriebsspezifischen Vereinbarungen zwischen Lieferanten und Wiederverkäufern im weiteren Sinn. Ob ein solches Vertriebsverhältnis wettbewerbsbeschränkende Elemente enthält, muss im Einzelfall festgestellt werden. Demgegenüber sind für eine faktische Beurteilung einer Vertriebsform grundsätzlich immer zwei Fragen getrennt zu beantworten:

  • Ist diese in Hinblick auf ihre wettbewerbsbeschränkende Wirkung rechtlich zulässig?
  • Welche Möglichkeiten der rechtlichen Durchsetzung bestehen?

Von einer vertikalen Vereinbarung im Rechtssinn spricht man bei Vereinbarungen oder bei aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zwischen zwei oder mehr Unternehmen, von denen jedes zwecks Durchführung der Vereinbarung auf einer unterschiedlichen Produktions- oder Vertriebsstufe tätig ist, und welche die Bedingungen betreffen, zu denen die Parteien bestimmte Waren oder Dienstleistungen beziehen, verkaufen oder weiterverkaufen können.

Grundsätzlich besagt das Kartellverbot des AEU-Vertrages, dass alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche  den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind. Dies gilt gleichermaßen für horizontale und vertikale Wettbewerbsbeschränkungen. 

Wettbewerbsbeschränkungen in Vertriebsverträgen haben aber – neben ihren negativen Wirkungen – häufig überwiegend positive Effekte auf das Funktionieren der Märkte. In Anerkennung dieser Vorteile für die Volkswirtschaft hat die EU – Kommission (EK) für den gesamten Bereich der Vertriebssysteme eine einheitliche Bestimmung erlassen, welche die Bedingungen für die kartellrechtliche Freistellung von Vertriebssystemen vom allgemeinen Kartellverbot festsetzt (sog. Schirm-Gruppenfreistellungs-VO - GVO „vertikaler Vertrieb“).

Nähere Erläuterungen zu diesen Regelungen finden sich in den Leitlinien für vertikale Beschränkungen. Für eingeschränkte Fragen des KFZ-Vertriebs existiert eine spezielle GVO ,deren Gültigkeit bis zum 31.5.2028 verlängert worden ist. Seit 1.6.2013 gilt im Bereich es KFZ-Verkaufs ebenfalls die allgemeine GVO. Zu Fragen des KFZ-Vertriebs hat die BWB einen eigenen Standpunkt auf ihrer Homepage veröffentlicht.

Tipp: Die neue Schirm-GVO ist mit 01.06.2022 (VO Nr. 2022/720 Abl. L. 134 vom 10.5.2022) in Kraft getreten; Altverträge mussten bis 31.05.2023 an die neue Rechtslage angepasst werden.

Vertriebsbindungen sind in der wirtschaftlichen Realität sehr unterschiedlich gestaltet; nicht jede Vertriebsbindung fällt automatisch in den Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechtes. Sogenannte rein qualitative Selektivverträge enthalten regelmäßig keine Wettbewerbsbeschränkungen, da diese gegenüber ihren ausgewählten Vertragspartnern rein objektive und nichtdiskriminierende Qualitätskriterien für den Abschluss des Vertrages festlegen. 

Abgrenzung des Markts und Berechnung des Marktanteils

Die Wirkung vertikaler Vertriebssysteme hängt wesentlich von der wirtschaftlichen Bedeutung der beteiligten Unternehmen ab; diese wird – vereinfacht – in den Marktanteilen gemessen. Zur Bestimmung der Marktanteile ist zuerst der im gegenständlichen Fall sachlich und räumlich relevante Markt festzustellen. Dafür hat die EK eine eigene Bekanntmachung erlassen (Bekanntmachung „relevanter Markt“, ABl 1997 C 372), die gegenwärtig überarbeitet wird. 

Tipp: Die Feststellung des relevanten Marktes ist eine der schwierigsten Aufgaben bei der Beurteilung wettbewerbsrechtlicher Fälle; zu den allgemeinen Ausführungen in der Kommissionsbekanntmachung sind auch vergleichbare Entscheidungen der Kommission für eine Beurteilung zu berücksichtigen

Eine Vermutung, dass keine EU-rechtswidrige Wettbewerbsbeschränkung vorliegt, kann angestellt werden, wenn weder der Anteil des Anbieters noch der des Abnehmers am relevanten Markt 30 % überschreitet. 

Bei einem Marktanteil von 15 % und darunter, wird das EU-Wettbewerbsrecht regelmäßig nicht mehr angewendet (de minimis), außer es handelt sich um schwerwiegende Verstöße (z.B. Preisbindungen). Wenn der Markt durch die Existenz einer Vielzahl gleichartiger Verträge gekennzeichnet ist (Netzwerk), dann ist für die Berechnung der Marktanteile das gesamte Netzwerk heranzuziehen.  

Entzug des Rechtsvorteiles im Einzelfall

Trotz grundsätzlicher Erfüllung der Freistellungsvoraussetzungen können die Wettbewerbsbehörden im Einzelfall einer vertikalen Vereinbarung den Rechtsvorteil der gruppenweisen Freistellung entziehen, wenn sich herausstellt, dass diese dennoch Wirkungen hat, die mit den allgemeinen Grundsätzen der Freistellung nach Art. 101 (3) AEUV unvereinbar sind.

Kernbeschränkungen gemäß Artikel 4 GVO

Vereinbarungen, die nachfolgende Bestimmungen enthalten, sind zur Gänze untersagt.  

  • Die Beschränkung der Möglichkeit des Abnehmers, seinen Verkaufspreis selbst festzusetzen; dies gilt unbeschadet der Möglichkeit des Anbieters, Höchstverkaufspreise festzusetzen oder Preisempfehlungen auszusprechen, sofern sich diese nicht infolge der Ausübung von Druck oder der Gewährung von Anreizen durch eines der beteiligten Unternehmen tatsächlich wie Fest- oder Mindestverkaufspreise auswirken (unverbindliche Preisempfehlung);
  • wenn der Anbieter ein Alleinvertriebssystem betreibt, die Beschränkung des Gebiets oder der Kunden, in das bzw. an die der Alleinvertriebshändler die Vertragswaren oder -dienstleistungen aktiv oder passiv verkaufen darf, mit Ausnahme
    • der Beschränkung des aktiven Verkaufs durch den Alleinvertriebshändler und durch seine Direktkunden in ein Gebiet oder an eine Kundengruppe, das bzw. die dem Anbieter vorbehalten ist oder von dem Anbieter höchstens fünf weiteren Alleinvertriebshändlern exklusiv zugewiesen wurde,
    • der Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs durch den Alleinvertriebshändler und durch seine Kunden an nicht zugelassene Händler in einem Gebiet, in dem der Anbieter ein selektives Vertriebssystem für die Vertragswaren oder -dienstleistungen betreibt,
    • der Beschränkung des Niederlassungsorts des Alleinvertriebshändlers,
    • der Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher durch einen Alleinvertriebshändler, der auf der Großhandelsstufe tätig ist,
    • der Beschränkung der Möglichkeit des Alleinvertriebshändlers, Teile, die zur Weiterverwendung geliefert werden, aktiv oder passiv an Kunden zu verkaufen, die diese Teile für die Herstellung derselben Art von Waren verwenden würden, wie sie der Anbieter herstellt;
    • wenn der Anbieter ein selektives Vertriebssystem betreibt, die Beschränkung der Gebiete oder Kunden, in bzw. an die die Mitglieder des selektiven Vertriebssystems die Vertragswaren oder -dienstleistungen aktiv oder passiv verkaufen dürfen, mit Ausnahme
      • der Beschränkung des aktiven Verkaufs durch Mitglieder des selektiven Vertriebssystems und durch ihre Direktkunden in ein Gebiet oder an eine Kundengruppe, das bzw. die dem Anbieter vorbehalten ist oder von dem Anbieter höchstens fünf Alleinvertriebshändlern exklusiv zugewiesen wurde,
      • der Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs durch Mitglieder des selektiven Vertriebssystems und durch ihre Kunden an nicht zugelassene Händler in dem Gebiet, in dem das selektive Vertriebssystem betrieben wird,
      • der Beschränkung des Niederlassungsorts der Mitglieder des selektiven Vertriebssystems,
      • der Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher durch auf der Großhandelsstufe tätige Mitglieder des selektiven Vertriebssystems,
      • der Beschränkung der Möglichkeit, Teile, die zur Weiterverwendung geliefert werden, aktiv oder passiv an Kunden zu verkaufen, die diese Teile für die Herstellung derselben Art von Waren verwenden würden, wie sie der Anbieter herstellt;
    • wenn der Anbieter ein selektives Vertriebssystem betreibt, die Beschränkung von Querlieferungen zwischen Mitgliedern des selektiven Vertriebssystems, die auf derselben Handelsstufe oder unterschiedlichen Handelsstufen tätig sind;
    • wenn der Anbieter ein selektives Vertriebssystem betreibt, die Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher durch auf der Einzelhandelsstufe tätige Mitglieder des selektiven Vertriebssystems (Ausnahme: Vorbehaltsgebiete, Beschränkung des Niederlassungsortes)
    • wenn der Anbieter weder ein Alleinvertriebssystem noch ein selektives Vertriebssystem betreibt, die Beschränkung der Gebiete oder Kunden, in bzw. an die der Abnehmer die Vertragswaren oder -dienstleistungen aktiv oder passiv verkaufen darf, mit Ausnahme
      • der Beschränkung des aktiven Verkaufs durch den Abnehmer und durch seine Direktkunden in ein Gebiet oder an eine Kundengruppe, das bzw. die dem Anbieter vorbehalten ist oder von dem Anbieter höchstens fünf Alleinvertriebshändlern exklusiv zugewiesen wurde,
      • der Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs durch den Abnehmer und durch seine Kunden an nicht zugelassene Händler in einem Gebiet, in dem der Anbieter ein selektives Vertriebssystem für die Vertragswaren oder -dienstleistungen betreibt,
      • der Beschränkung des Niederlassungsorts des Abnehmers,
      • der Beschränkung des aktiven oder passiven Verkaufs an Endverbraucher durch einen Abnehmer, der auf der Großhandelsstufe tätig ist,
      • der Beschränkung der Möglichkeit des Abnehmers, Teile, die zur Weiterverwendung geliefert werden, aktiv oder passiv an Kunden zu verkaufen, die diese Teile für die Herstellung derselben Art von Waren verwenden würden, wie sie der Anbieter herstellt;
    • die Verhinderung der wirksamen Nutzung des Internets zum Verkauf der Vertragswaren oder -dienstleistungen durch den Abnehmer oder seine Kunden, da dies eine Beschränkung des Gebiets oder der Kunden, in das bzw. an die die Vertragswaren oder -dienstleistungen verkauft werden dürfen, darstellt, unbeschadet der Möglichkeit, dem Abnehmer Folgendes aufzuerlegen:
      • andere Beschränkungen des Online-Verkaufs oder
      • Beschränkungen der Online-Werbung, die nicht darauf abzielen, die Nutzung eines ganzen Online-Werbekanals zu verhindern;
    • die zwischen einem Anbieter von Teilen und einem Abnehmer, der diese Teile weiterverwendet, vereinbarte Beschränkung der Möglichkeit des Anbieters, die Teile als Ersatzteile an Endverbraucher, Reparaturbetriebe, Großhändler oder andere Dienstleister zu verkaufen, die der Abnehmer nicht mit der Reparatur oder Wartung seiner Waren betraut hat.

Individuelle Nichtigkeit gemäß Artikel 5 GVO

Einzelne Bestimmungen vertikaler Vereinbarungen sind nichtig, während der übrige Teil der Vereinbarung weiter gelten kann, wenn sich die fragliche Verpflichtung abtrennen lässt (hängt von den Bestimmungen des anwendbaren nationalen Zivilrechts ab). Es gelten wesentliche Ausnahmen.

  • Unmittelbare oder mittelbare Wettbewerbsverbote, die für eine unbestimmte Dauer oder für eine Dauer von mehr als 5 Jahren gelten,
    • wobei die Begrenzung auf fünf Jahre nicht gilt, wenn die Vertragswaren oder -dienstleistungen vom Abnehmer in Räumlichkeiten und auf Grundstücken verkauft werden, die im Eigentum des Anbieters stehen oder von diesem von nicht mit dem Abnehmer verbundenen Dritten gemietet oder gepachtet worden sind, und das Wettbewerbsverbot nicht über den Zeitraum hinausreicht, in dem der Abnehmer diese Räumlichkeiten und Grundstücke nutzt.
    • Unmittelbare oder mittelbare Verpflichtungen, die den Abnehmer veranlassen, Waren oder Dienstleistungen nach Beendigung der Vereinbarung nicht herzustellen, zu beziehen, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen,
      • wobei dies nicht gilt, wenn sich die Verpflichtungen auf Waren oder Dienstleistungen beziehen, die mit den Vertragswaren oder -dienstleistungen im Wettbewerb stehen, die Verpflichtungen sich auf Räumlichkeiten und Grundstücke beschränken, von denen aus der Abnehmer während der Vertragslaufzeit seine Geschäfte betrieben hat, das Wettbewerbsverbot unerlässlich ist, um Know-how, das dem Abnehmer vom Anbieter übertragen wurde, zu schützen und die Dauer der Verpflichtungen auf höchstens ein Jahr nach Beendigung der Vereinbarung begrenzt ist. Diese Voraussetzungen müssen gleichzeitig erfüllt werden. Die Nutzung und Offenlegung von nicht allgemein zugänglichem Know-how kann unbefristet beschränkt werden.
    • unmittelbare oder mittelbare Verpflichtungen, die die Mitglieder eines selektiven Vertriebssystems veranlassen, Marken bestimmter konkurrierender Anbieter nicht zu verkaufen,
    • unmittelbare oder mittelbare Verpflichtungen, die einen Abnehmer von Online-Vermittlungsdiensten veranlassen, Endverbrauchern Waren oder Dienstleistungen nicht über konkurrierende Online-Vermittlungsdienste zu günstigeren Bedingungen anzubieten, zu verkaufen oder weiterzuverkaufen (weite Ratenparitätsklausel).

Österreichisches Kartellrecht

Seit 1.1.2006 müssen Vertriebsverträge in Österreich nicht mehr bei den Wettbewerbsbehörden angezeigt werden. Generell können die Wertungen des EU-Rechtes übernommen werden. Spezielle Regelungen gibt es beispielsweise für Empfehlungskartelle und die Preisbindung von Büchern. Mehr Details zum Kartellrecht

Tipp: Zum Spezialthema der „vertikalen Preisbindungen“ hat die Bundeswettbewerbsbehörde einen eignen Standpunkt betreffend der für diesen Bereich anwendbaren Regeln auf ihrer Homepage veröffentlicht.

Stand: 22.01.2024

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