Personenberatung und Personenbetreuung, Fachgruppe

Für eine sozial- und gesundheitspolitische Neuverortung professioneller psychosozialer Beratung

Beratung will gelernt sein!

Lesedauer: 4 Minuten

08.08.2023

„Beratung“ wird im psychosozialen Bereich als Begriff oft sehr unspezifisch verwendet und als Kompetenz und Tätigkeit von AbsolventInnen verschiedener Studien und Ausbildungen wie selbstverständlich beansprucht. Die Ausbildung für das konzessionierte Gewerbe der Lebens- und Sozialberatung erfolgte bisher bei verschiedensten Anbietern unterschiedlicher Qualität. Als professionelle Tätigkeit erfordert Beratung jedoch eine spezifische Methodenexpertise sowie bestimmte Haltungen und Regeln, die darin nicht oder kaum vermittelt werden. Diese Herangehensweisen, die verschiedenen human- und sozialwissenschaftlichen Ansätzen folgen (systemisch, tiefenpsychologisch etc.) und bestimmten Problembereichen und Lebenslagen gewidmet sind (z. B. Erziehungs- oder Paarberatung), bedürfen eines eigenständigen Berufs- und Ausbildungsprofils.

Neue Ausbildungsverordnung – auf dem Weg zur Professionalisierung

Dies geschieht zurzeit mit einer Verordnung für „das reglementierte Gewerbe der Lebens- und Sozialberatung (Lebens- und Sozialberatungsverordnung)“.² Darin wird das Bemühen sichtbar, den Berufsstand mittels akademisch-universitärer Ansprüche und einer staatlichen, einem Bachelor-Grad gleichwertigen Befähigungsprüfung (EQR/NQR Level VI) auf eine neue professionelle Basis zu stellen – in dreifacher Weise:

  1. betreffend die Gleichwertigkeit der psychosozialen Beratung gegenüber anderen beratenden Berufen, die sich mit psychischer Gesundheit beschäftigen;
  2. betreffend eine inhaltlich eigenständige Abgrenzung zur Psychotherapie und weiteren mit psychischen Problemen befassten Berufsgruppen und
  3. betreffend die Absicherung der Qualität von Beratung als wichtigen Schritt der Verankerung von Prävention als vierte Säule des Gesundheitssystems, womit psychosoziale Beratung bei Sozialversicherungen und anderen Institutionen als zu fördernde Sozial- und Gesundheitsleistung etabliert wird.

Die neue Ausbildungsverordnung setzt mit dem Bachelor Professional bzw. durch das mit der gleichwertigen Befähigungsprüfung verbundene Curriculum zugleich einen neuen Standard für Beratungskompetenz generell. Das bedeutet, dass auch AbsolventInnen von fachverwandten Studien und Ausbildungen (wie Psychologie und soziale Arbeit) ergänzend zu ihrem fachwissenschaftlichen Hintergrund berufspraktische Fertigkeiten und Feldkompetenzen erlernen müssen, um professionell beraten zu können, wie es sich bereits in den für sie festgelegten Anforderungen für einen Abschluss in Psychosozialer Beratung zeigt.

Abgrenzung zur Psychotherapie

Eine der wichtigsten Unklarheiten bestand bisher in der Abgrenzung gegenüber anderen Professionen, v. a. gegenüber der Psychotherapie und der (klinischen) Psychologie. Der Unterschied zwischen beiden wird schon allein dadurch evident, dass die Aufnahme einer Psychotherapie, will sie durch die Krankenkasse bezuschusst oder finanziert werden, streng genommen eine sogenannte krankheitswertige Störung verlangt, da die Sozialversicherung nur eine Krankenbehandlung finanzieren darf. Auch Fachleute betonen, wie wichtig es sei, „zwischen Leidens- und Lebenskrisen, mit denen man umgehen kann, und solchen, die das natürliche Anpassungs- und Bewältigungsvermögen übersteigen, mit denen man also nicht mehr selbst zurechtkommt, zu unterscheiden“.³ Dann ist Psychotherapie indiziert. Nicht jede Lebenskrise ist aber eine krankheitswertige Störung.

Eine genauere Trennlinie zwischen den Zuständigkeitsbereichen von Therapie und Beratung wird je nach theoretischem Standpunkt unterschiedlich argumentiert, wesentlich sind je[1]doch unterschiedliche Zielfokussierungen und damit auch Indikationen: Psychotherapie konzentriert sich auf die langfristige Veränderung von verfestigten intrapsychischen Mustern mit dem Ziel, die daraus resultierenden Deutungs-, Erlebens- und Verhaltensweisen zu verändern. Psychosoziale Beratung hingegen fokussiert klarer abgesteckte Problem- bzw. Entwicklungsbereiche, adressiert gezielter problemrelevante psychische, aber ebenso soziale bzw. Lebensweltfaktoren sowie die Schnittstellen zwischen diesen Bereichen und zielt auf eine raschere Veränderung derer im Dienste der konkreten Problembewältigung und der Stärkung von Problemlösekompetenz ab, agiert also lebenswelt- und chancenorientiert.

Für die Etablierung eines neuen Berufsbildes von Beratung in Österreich

Nun zeigen berufliche und kollegiale Erfahrungen, dass auch hierzulande Lebensprobleme wie Unzufriedenheit mit der Partnerschaft, im Beruf, mangelnde Sinngebung oder Zukunftsunsicherheit häufig Anmeldegründe bei PsychotherapeutInnen sind, was eine ethisch und fachlich problematische Therapeutisierung und Pathologisierung psychosozialer Problemlagen darstellt. Dies ist auch eine Frage der Kosten für die öffentliche Hand, weil psychotherapeutische Behandlungen länger dauern und kostengünstigere Beratungsleistungen versäumt werden. Besonderheiten psychosozialer Beratung gegenüber anderen Interventionen sind:

Frühe Intervention: Frühe Interventionen sind nützlich zur Verhinderung längerer Krankenstände sowie zur Bewältigung von Lebensproblemen wie Alkoholismus, Fehlernährung, pathogenen Arbeitskonflikten etc.

  1. Prävention: Frühe Interventionen dienen auch der Prävention, sodass sich anbahnende psychische Störungen gar nicht erst entstehen. Es geht also nicht nur um Einsparungen, sondern auch um die Verhinderung der Notwendigkeit von Psychotherapien.
  2. Resilienz: Dies dient nicht nur der Prävention, sondern auch der Förderung der Resilienz, hat also einen emanzipatorischen Aspekt, der die Menschen fähiger macht, sich selbst mit bedrohlichen oder leidensverursachenden Situationen auseinanderzusetzen (vgl. Naaf, 1987, S. 239).
  3. Entlastung des Gesundheitssystems: Diese ergibt sich folgerichtig aus a) und b), weil KlientInnen von Beratung aufgrund der frühen, präventiv wirksamen Intervention oft gar nicht mit anderen Einrichtungen des Gesundheitssystems in Berührung kommen müssen. Dies zeigen z. B. Erfahrungen der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e. V., wonach Beratung im Anfangsstadium einer psychosomatischen Erkrankung den Krankheitsverlauf verkürzen und eine Chronifizierung der Probleme verhindern kann: So „werden Klinikaufenthalte und teure Langzeitbehandlungen vermieden“ (1995). Die Bildung von Symptomen kann durch den kompetenteren Umgang mit den eigenen Problemen verhindert werden (ebd., S. 46). Die durch Beratung geförderte „Entwicklung und Differenzierung eigener Möglichkeiten und Ressourcen schafft zugleich bessere Voraussetzungen für den Umgang mit möglichen zukünftigen Problemen“, wodurch in vielen Fällen etwa auch das Aufsuchen verschiedener Ärzte, wie es oft zu beobachten ist, vermindert wird (ebd.).

Ein präventives, resilienzförderndes Hilfsangebot – und das für alle

Das Berufsbild der psychosozialen Beratung muss also weg von einer Art zweitklassigen „Hilfsfunktion“ im Vergleich zur Psychotherapie. Erklärtes Ziel der Sozial- und Gesundheitspolitik muss es schließlich auch sein, den Menschen ein ausreichendes An[1]gebot an niederschwelligen Hilfen zu gewährleisten. Wir wissen um die Auslastung, ja Überbelegung institutioneller Beratungsstellen und deren ständigen Ruf nach mehr Mitteln
und Personal. Eine Förderung Ratsuchender in niedergelassenen Beratungspraxen könnte dabei institutionelle Mehr- und Verwaltungskosten einsparen helfen. Mit der neuen Ausbildungsverordnung und der damit einhergehenden Professionalisierung ist die Grundlage dafür geschaffen, psychosoziale Beratung als wesentliche vierte Säule im Kontext des Umgangs mit psychosozialen Problemen zu etablieren.

© Selina Steiner, BA, MA
© Univ.-Prof. i. R. DDr. Josef Christian Aigner