Global Insights: Wirtschaftliche Sicherheit
Analysen zu aktuellen sicherheitspolitischenEntwicklungen und ihren Auswirkungen auf Österreich und Europa
Lesedauer: 7 Minuten
Die aktuellen geopolitischen Umbrüche – allen voran der Krieg in der Ukraine, die Konflikte im Nahen Osten, wachsende Spannungen im indopazifischen Raum und eine zunehmend fragmentierte Weltordnung - haben den Diskurs über Sicherheit und Verteidigung tiefgreifend verändert. Gleichzeitig haben sie bestehende Abhängigkeiten in Lieferketten – etwa im Energiebereich oder bei Rohstoffen – ebenso wie technologische Abhängigkeiten im Sicherheits- und Verteidigungssektor deutlich offengelegt und dadurch die Themen Sicherheit und Verteidigung in den Fokus der österreichischen und europäischen Politik gerückt. Primär ist es vor allem für die Sicherheit und Resilienz eines Staates von höchster Relevanz, für die Sicherheit und Verteidigung relevante Unternehmen im eigenen Land zu halten. Aber auch für den Wirtschaftsstandort selbst sind die meist hochtechnologische Unternehmen essentiell, tragen sie doch bedeutend zu Innovation und Investitionen bei.
Im Rahmen der umfassenden Landesverteidigung – dem grundlegenden Sicherheitskonzept der Republik Österreich – hat vor dem Hintergrund der aktuellen geopolitischen Unsicherheiten auch der Teilbereich der wirtschaftlichen Landesverteidigung massiv an Bedeutung gewonnen. In Krisenzeiten trägt sie essentiell dazu bei, die Stabilität eines Landes zu gewährleisten, indem sie die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Funktionsfähigkeit und die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern wie Energie, Lebensmitteln und Medikamenten sicherstellt. In diesem Zusammenhang spielt die Resilienz von Unternehmen, also ihre Widerstandsfähigkeit in Krisenzeiten, eine zentrale Rolle, weshalb auf europäischer wie auch auf österreichischer Ebene Initiativen zur Stärkung dieser Resilienz gesetzt werden.
Initiativen auf EU-Ebene
Die Europäische Union hat auf die geopolitischen Entwicklungen unter anderem mit der erstmaligen Schaffung eines eigenen EU-Kommissars für Verteidigung und Weltraum reagiert und zeigt mit den zuletzt in diesem Bereich präsentierten Initiativen und Strategien, dass die Sicherheit Europas ein zentrales gemeinsames Ziel ist und die eigene strategische Souveränität – vor allem im Bereich der Verteidigung - durch mehr Autarkie und Unabhängigkeit von anderen Regionen gestärkt werden soll. Zudem sollen mit den gestarteten Initiativen neben der militärischen Verteidigungsfähigkeit auch die Wettbewerbsfähigkeit und Resilienz der europäischen Wirtschaft gestärkt werden, wodurch wiederum die heimische Wirtschaft profitieren kann.
Mehrere Studien zu diesem Thema (u.a. der London School of Economics und dem Institut für Weltwirtschaft Kiel) zeigen, dass durch eine Steigerung der Militärausgaben von 2% auf 3,5% der Wirtschaftsleistung zwischen 0,9% und 1,5% an zusätzlichem Wachstum generiert werden kann. Auch der Forschungs- und Entwicklungsbereich könnte von höheren Verteidigungsausgaben profitieren.
White Paper for European Defence – Readiness 2030
Das im März 2025 von der EU-Kommission vorgestellte „White Paper for European Defence – Readiness 2030“ zielt darauf ab, Europa bis 2030 krisenfester und verteidigungsfähiger zu machen. Ein zentraler Baustein ist dabei die geplante Erhöhung der Verteidigungsfinanzierung und der finanziellen Flexibilität der Mitgliedsstaaten, was durch die Aktivierung der nationalen Ausweichklausel des Stabilitäts- und Wachstumspakts, eines neuen, mit 150 Mrd. EUR ausgestatteten Darlehensinstrument („Sicherheitsmaßnahmen für Europa – SAFE“), sowie durch zusätzliche Mittel seitens der Europäischen Investitionsbank und der Mobilisierung von privatem Kapital erreicht werden soll. Insgesamt erhofft sich die EU-Kommission durch diese Maßnahmen Investitionen in die Verteidigungswirtschaft in Höhe von rd. 800 Mrd. Euro.
Die genaue Umsetzung ist allerdings noch nicht geklärt und es wird u.a. von den Regierungen der Mitgliedstaaten selbst abhängen, wie sehr sie sich an den jeweiligen Programmen beteiligen.
Mit dem im Juni präsentiertem „Defence Omnibus“ hat die Europäische Kommission zudem ein Instrument zur Entbürokratisierung der regulatorischen Rahmenbedingungen auf EU-Ebene angekündigt, das Erleichterungen für die europäische Verteidigungsindustrie bringen soll. Zentrale Bestandteile des Defence Omnibus sind Anpassungen bei der Beschaffung von Verteidigungsgüter, Vereinfachungen bei der Verbringung von Verteidigungsgütern innerhalb der EU sowie Nachjustierungen beim European Defence Fund. Darüber hinaus sollen Genehmigungsverfahren auf nationaler Ebene durch die Schaffung eines Single Point of Contact sowie die Straffung bestehender Genehmigungsfristen beschleunigt werden.
Preparedness Union Strategy
Ebenfalls im März 2025 präsentierte die EU die „Preparedness Union Strategy“, die durch einen ganzheitlichen Ansatz die Krisenvorsorge und Resilienz der Union bis 2030 stärken soll. Berücksichtigt werden zentrale Risiken wie Naturkatastrophen, menschengemachte Katastrophen, hybride Bedrohungen und geopolitische Krisen. Zur Bewältigung setzt die EU auf Maßnahmen in sieben Bereichen: Vorausschau & Antizipation, Resilienz lebenswichtiger gesellschaftlicher Funktionen (u.a. strategische Vorratshaltung), Vorbereitung der Bevölkerung, öffentlich-private und zivil-militärische Zusammenarbeit, Krisenreaktion sowie Resilienz durch externe Partnerschaften.
ProtectEU
Mit „ProtectEU“ stellte die EU-Kommission im April 2025 eine Strategie zur Stärkung der inneren Sicherheit vor, um Europa besser vor hybriden Bedrohungen, Terrorismus, organisierter Kriminalität und Cyberangriffen zu schützen – insbesondere im Kontext zunehmender geopolitischer Spannungen. Im Mittelpunkt stehen dabei eine bessere Einschätzung und frühzeitige Erkennung von Sicherheitsbedrohungen, die Stärkung der Fähigkeiten von Polizei und Behörden, der Ausbau der Widerstandsfähigkeit gegenüber hybriden Gefahren, der entschlossene Kampf gegen organisierte Kriminalität und Terrorismus sowie die stärkere Positionierung der EU als bedeutender Akteur in internationalen Sicherheitsfragen.
EU-Rätspräsidentschaft Dänemark
Schließlich legt auch Dänemark im Zuge seines Vorsitzes der EU-Ratspräsidentschaft (unter dem Motto „Ein starkes Europa in einer Welt im Wandel“) einen Fokus auf das Thema Sicherheit: Ziel ist, die EU widerstandsfähiger und resilienter zu machen, mit größerer Verantwortung für ihre eigene Sicherheit. Die EU soll geopolitisch stärker auftreten, ihre Verteidigungswirtschaft schneller ausbauen und ihre Resilienz gegenüber hybriden Bedrohungen sowie wirtschaftlichen Risiken durch sichere kritische Infrastrukturen und stabile Lieferketten stärken.
Bedeutung für Österreich und die heimischen Unternehmen
Auch in Österreich sind Sicherheit und Verteidigung verstärkt in den Fokus der Politik und des öffentlichen Diskurses gerückt. Dies zeigt sich nicht zuletzt an dem erhöhtem Verteidigungsbudget für 2025/2026 (2025: 4,740 Mrd. Euro; 2026: 5,184 Mrd. Euro), sowie dem 2022 beschlossenen Aufbauplan 2032+ des Bundesheeres, der bis 2032 Investitionen von rd. 16,6 Mrd. Euro zur Stärkung der militärischen Landesverteidigung vorsieht, woraus sich ein entsprechendes Potenzial an nationaler Wertschöpfung für die österreichische Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft (inkl. Zulieferbetriebe) ergibt. Zudem können die Unternehmen auch von den EU- Initiativen profitieren, vorausgesetzt die angekündigten Maßnahmen werden entsprechend umgesetzt.
Eine nationale Technologiebasis im Sicherheits- und Verteidigungsbereich ist ein zentraler Sicherheitsfaktor für den Standort Österreich, weshalb es essentiell ist, dass die Wertschöpfung in Europa stattfindet und die produzierende Industrie aus dem Sicherheits- und Verteidigungssektor in Österreich bzw. in Europa bleibt. Wenn österreichische bzw. europäische Produkte beschafft werden, erhöht dies die eigene Resilienz und trägt bedeutend zur Krisensicherheit bei. Es muss daher Ziel sein, möglichst viel des Bedarfs des österreichischen Bundesheeres durch Produkte und Services heimischer Anbieter zu decken und somit zum Erhalt und zur Weiterentwicklung des Sektors beizutragen. Dass dies möglich ist, zeigt der im Landesverteidigungsbericht kommunizierte Investitionsbedarf, der - wenn man Systeme und Komponenten betrachtet - zum Großteil mit in Österreich verfügbaren Technologien und wirtschaftlichen Kompetenzen abgedeckt werden könnte. Nur so kann langfristig essentielles sicherheitstechnologisches Know-how in Österreich bzw. Europa gehalten werden.
Abdeckungsgrad des Investitionsbedarfs auf Systemebene durch österreichische Wertschöpfung*
In diesem Zusammenhang bedarf es zudem der Umsetzung und Formalisierung von industrieller Kooperation in Government-to-Government (G2G) Beschaffungsprozessen in Österreich. Dies gilt als international übliches Konzept für die Aufnahme von heimischen Unternehmen in die Lieferkette ausländischer Lieferanten - mittels vertraglicher Vereinbarung. Durch die Aufnahmen von heimischen Unternehmen in internationale Lieferketten wird sichergestellt, dass die Unternehmen weiterhin im eigenen Land produzieren, die nationalen technologischen Fähigkeiten erhalten und die Sicherheitsinteressen gewahrt bleiben. Gleichzeitig können so bei einer Beschaffung des österreichischen Bundesheeres bis zu 70% der Beschaffungsvolumina als Wertschöpfung direkt zurück in die heimische Industrie fließen, was nicht nur zur Sicherheit und Resilienz des eigenen Staates beiträgt, sondern auch Arbeitskräfte und Technologie im Land hält.
Zudem braucht es für diesen Sektor, der eine Exportquote von über 90% aufweist, eine Exportkontrolle, die die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Unternehmen im Auge behält.
Ein weiterer wichtiger Bereich ist die Sicherheits- und Verteidigungsforschung, denn bereits jetzt ist die österreichische Sicherheit- und Verteidigungswirtschaft von einer großen Anzahl an High-Tech Unternehmen mit hohem Innovationspotential geprägt. Um den Sektor auch in Zukunft am europäischen Markt wettbewerbsfähig zu halten, müssen die Mittel für nationale Forschungsförderungs- und Entwicklungsprogramme (z.B. KIRAS und FORTE) gesteigert werden. Dabei soll auch die Zusammenarbeit von Unternehmen und Bundesheer in der Entwicklungsphase von Produkten verstärkt werden. Damit verbunden bedarf es ebenfalls einer Steigerung der nationalen Kofinanzierung für den European Defence Fund (EDF) und eine aktive Nutzung der anderen Verteidigungsfinanzierungsprogramme der EU. Denn der Großteil der Gelder des mit einer Gesamtsumme von rund 8 Mrd. (2021-2027) dotierten EDF ist an eine nationale Kofinanzierung geknüpft, für die Österreich derzeit nur wenige Mittel vorgesehen hat.
Vor dem Hintergrund der aktuellen europäischen Initiativen ist auch in Österreich eine gezielte Anpassung erforderlich, um der Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft einen besseren Zugang zum österreichischen Finanzmarkt („access to finance“) zu ermöglichen. Der derzeitige eingeschränkte Zugang betrifft dabei sowohl große Systemhersteller wie auch österreichische Zulieferbetriebe (v.a. KMU) und bremst dadurch Innovation und Investition in diesem Sektor.
Hier bedarf es einerseits weitere Schritte der EIB für eine Öffnung gegenüber dem Sektor, aber insbesondere auch nationale Finanzinstitute sollten ihre Bedenken gegenüber dem Sektor abbauen.
Die Stabstelle Krisenmanagement und Sicherheitsvorsorge mit ihren beiden Arbeitsgemeinschaften zu Sicherheit & Wirtschaft (ASW) und Industrieller Kooperation & Luftfahrttechnologie (AICAT) ist innerhalb der Wirtschaftskammer Österreich für die Thematik der wirtschaftlichen Sicherheit und des Krisenmanagements zuständig. Sie ist zentrale Schnittstelle zwischen Unternehmen und nationalen wie auch internationalen Behörden, vertritt die Interessen der Unternehmen im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungswirtschaft, wie auch der Luftfahrttechnologie und ist erste Anlaufstelle und Serviceeinheit für Unternehmen aus diesen Sektoren.