Kärntens Industrie zwischen Aufbruch und Anspruch
Spartenobmann Michael Velmeden über Infrastruktur, Verantwortung, Regulierungsdruck und seine Vision für den Industriestandort im Jahrt 2030.
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Wenn der Jahresbericht erscheint, wird die Koralmbahn bereits in Betrieb sein. Werden Sie bis dahin schon in ihr gesessen haben?
Michael Velmeden: Ganz sicher. Das ist mein erster und größter Wunsch. Ich glaube, vielen ist gar nicht bewusst, welch enormes Projekt hier umgesetzt wurde. Die Koralmbahn ist ein echter Meilenstein – eine Infrastrukturmaßnahme, die nur mit staatlicher Unterstützung realisierbar ist. Infrastruktur gehört zu den zentralsten staatlichen Aufgaben. Und dieses Projekt verbindet zwei Bundesländer, schafft einen großen gemeinsamen Wirtschaftsraum – fantastisch. Natürlich wird das nicht von selbst funktionieren, aber mit der Bahn haben wir nun einen starken neuen Konnex.
Hat Kärnten denn die nötigen Hausaufgaben erledigt?
Fangen wir hinten an: Nein, Kärnten hat die Hausaufgaben nicht vollständig erledigt. Die Steiermark war deutlich schneller und weiter. Sowohl wir in der Sparte Industrie als auch die Wirtschaftskammer und andere Akteure haben das mehrfach betont. Es geht dabei um vermeintlich langweilige, mühsame Aufgaben – um Struktur und Wirtschaftspolitik. Man muss sich im Vorfeld Gedanken machen: Wie soll die Raumordnung aussehen? Welche Bedeutung sollen die einzelnen Orte entlang der Strecke erhalten? Hier hat Kärnten noch Nachholbedarf. Aber das Bewusstsein dafür ist inzwischen vorhanden, und das ist entscheidend. Es handelt sich schließlich um ein Jahrhundertprojekt. Das ist kein Grund zu verzagen, sondern ein Auftrag, endlich zu starten.
Wie wird sich Kärnten durch die Koralmbahn entwickeln?
Am Anfang wird gar nichts passieren – es ist schließlich „nur“ eine Eisenbahn, eine neue Bahnstrecke. Die Erwartung eines sofortigen großen Effekts ist unrealistisch. Aber nach und nach werden die Menschen das Potenzial erkennen. Vor allem junge Menschen, die Abenteuer suchen, werden die neue Verbindung nutzen: Sie könnten auspendeln, einpendeln, zwischen Graz und Klagenfurt pendeln. Das wird sich auch auf die Studienplatzwahl auswirken. Man kann künftig in beiden Regionen wohnen, ohne dort studieren zu müssen. Der Pendelweg wird plötzlich einfach – das ist ein riesiger Vorteil.
Was sind die größten Chancen für die Kärntner Industrie?
Für die Industrie ist die verbesserte Erreichbarkeit die größte Chance. Wir diskutieren seit Jahren über Erreichbarkeit – über Straßenöffnungen, über Flugverbindungen. Die Bahn eröffnet uns nun einen zusätzlichen, schnellen Zugang aus vielen Regionen. Und man darf nicht vergessen: Die Bahn endet nicht in Kärnten. Sie ist ein Hebel, der auch den Adria-Raum indirekt mitanbindet. Damit entsteht ein durchgängiges, attraktives Verkehrssystem. Kärnten ist nicht mehr „Endpunkt“, sondern wird Teil einer offenen Achse. Und jedes Gebiet, das zunächst als Durchzugsregion wahrgenommen wird, kann zur Ansiedlungsregion werden.
Ist das auch eine Chance für den Flughafen Klagenfurt?
Die Koralmbahn wird im Zweifel auch nicht am Flughafen in Annabichl stehen bleiben – das gilt für Graz ebenso. Das Flughafenthema muss man separat betrachten. Aus meiner Sicht hat Kärnten die richtigen Entscheidungen getroffen, den Flughafen nicht aufzugeben. Rechte auf Infrastruktur hat man – und man sollte sie nicht leichtfertig weggeben. Alles Weitere wird die Zukunft zeigen. Klar ist: Auf kurzen Distanzen wird die Bahn eine starke Alternative sein. Und wir müssen bereits an die nächsten Entwicklungen denken. Der Semmering-Basistunnel wird kommen – und die Bahn dadurch noch attraktiver. Das ist gut so.
2025 war auch Wirtschaftskammerwahl, Sie wurden wieder als Obmann bestätigt. Wofür möchten Sie sich in der kommenden Periode besonders einsetzen?
Wir sind beim Thema Energie noch lange nicht durch. Wir haben Energieeffizienzgespräche geführt – ein extrem wichtiges Thema. Die Energiekosten sind weiterhin zu hoch, auch im europäischen Vergleich. Sie setzen sich aus vielen Faktoren zusammen. Was wir besonders kritisieren: Auf Energie – einem strategisch zentralen Faktor – liegen zahlreiche Gebühren und Abgaben, die sie noch teurer machen. Hier liegt großes Potenzial. Gleichzeitig steht der Ausbau der 380-kV-Leitung und der verbundenen 110-kV-Leitung an. Diese Leitungen sichern die Grundversorgung für Kärnten und Österreich. Viele vergessen: Die 380-kV-Leitung schließt eine Lücke im Netz und ermöglicht eine flächendeckende Versorgung. Das schafft die Basis dafür, dass andere Formen der Energieerzeugung attraktiver werden. Eine gute Stromverteilung verbessert die Nutzungsmöglichkeiten – und mittelfristig muss sich das auch in den Energiekosten widerspiegeln.
Was sagen Sie jemandem, der die 380-kV-Leitung zwar grundsätzlich befürwortet, aber „nicht durch mein Gebiet“?
Dieses Interesse ist verständlich. Niemand will leichtfertig belastet werden. Aber die Trassenwahl berücksichtigt genau das – heute viel stärker als früher. Ja, landwirtschaftliche und natürliche Flächen werden beeinträchtigt, aber möglichst schonend. Ohne solche Eingriffe würden wir heute nicht so leben, wie wir leben. Man muss mit großer Sorgfalt vorgehen, ohne Bashing in die eine oder andere Richtung. Was ich aber kritisch sehe, ist, wenn man Energie künstlich verteuert, indem man ausschließlich monetäre Forderungen in den Vordergrund stellt. Wir profitieren bereits dadurch, dass wir Teil dieser Infrastruktur sind – das allein ist ein riesiger Gewinn. Zusätzliche Forderungen sollte man sehr vorsichtig formulieren.
Was waren die wichtigsten Erfolge des Jahres 2025?
Eigentlich muss man 2024 dazunehmen, weil solche Prozesse nie in einem Jahr abgeschlossen sind. Sehr wichtig war das Thema Energie. Es ist gelungen, Genehmigungen für Freiflächenanlagen zu bekommen, besonders auf industriell gewidmeten Flächen. Es gibt tolle Beispiele: die Dreibacher Industrie, jüngst die Treibacher Industrie AG, und zuletzt Donau Chemie mit einer riesigen Freiflächenanlage. Das ist ein großer Schritt Richtung Autarkie – und für manche Betriebe überhaupt die Voraussetzung, weiterhin in Kärnten produzieren zu können. Dazu gehört auch die offene Diskussion über die 380-kV- und 110-kV-Leitungen. Auch die Lehrlingsausbildung war ein zentraler Erfolg. Trotz aller Schwierigkeiten ist sie stabil geblieben. Wir haben großartige Ausbildungsbetriebe und engagierte Ausbildende. Die Erfolge zeigen sich bei Wettbewerben – etwa im Bereich Softwareentwicklung beim Hackathon, sowohl in Kärnten als auch österreichweit, oder jüngst bei den Austrian Skills, wo Industrie und Gewerbe gleichermaßen starke Leistungen gezeigt haben. Das ist für uns ein Kernauftrag.
Lehrlingsausbildung zahlt sich also aus?
Jede Form von Ausbildung zahlt sich aus – besonders die Lehrlings- und Grundausbildung. Deshalb setzen wir uns dafür ein, MINT-Themen stärker an die Grundschulen zu bringen. Die Industriellenvereinigung hat mit Programmen wie SUMSI bereits in Kindergärten vorgelegt. Nun gibt es auch „Spürnasenecken“ für Grundschulen. Es geht darum, nicht nur zu jammern, sondern etwas zu tun. Die Grundbildung ist essenziell; der Rest verändert sich in einem unglaublichen Tempo, da muss jeder selbst am Ball bleiben.
Ist künstliche Intelligenz Fluch oder Segen für die Industrie?
Sie ist zunächst einmal das, was sie ist: eine neue Form des Zugangs zu Wissen, seiner Anwendung und seiner Möglichkeiten. Der Umgang damit erfordert Know-how – wir sind wieder bei den MINT-Fächern. KI bringt Erleichterungen, aber auch Risiken. Das ist bei jeder Technologie so. Als das Auto erfunden wurde, waren die Menschen skeptisch. Bei Computern genauso. Bei Smartphones ebenso. Mit KI wird es nicht anders sein. Verantwortungsvoller Umgang ist entscheidend. Was mir jedoch Sorgen macht: Europa hat die Tendenz, Technologien schon regulieren zu wollen, bevor man sie überhaupt verstanden hat. Wir schaffen riesige Regulierungsapparate im Voraus. Sinnvoller wären grobe Rahmenbedingungen – vieles davon steht ohnehin bereits in der Verfassung, etwa der Schutz der Persönlichkeitsrechte. Man muss nicht alles zehnmal doppelt regeln. Und regulieren, bevor man weiß, was man regulieren will, halte ich für kritisch.
Europa liegt im KI-Wettbewerb hinter China und den USA. Welche Rolle bleibt uns?
Eine schwierige Frage – und wenn ich die Antwort wüsste, würde ich sie sofort geben. Aber so viel ist klar: Wir müssen aufholen. Der erste Schritt ist das Bewusstsein, dass wir nicht mehr vorne sind. Daraus resultieren Maßnahmen und Arbeitsaufträge. Unternehmen arbeiten daran, aber ich frage mich, ob die Politik sich dessen ebenso bewusst ist oder ob sie sich zu sehr auf Verwaltung konzentriert. Wir brauchen gute Bildung, Offenheit für Innovation und vor allem Geschwindigkeit. Doch statt umzusetzen, regulieren wir – und das hemmt uns. Das bereitet mir tatsächlich Sorge.
Was wünschen Sie sich beim Thema Regulierung?
Wir haben vieles artikuliert, und einiges ist bereits passiert. Auf EU-Ebene gibt es die Omnibusverordnung, die etwa das Lieferkettengesetz an die Realität anpasst. Auch andere Entlastungsverordnungen zeigen Richtung Praktikabilität. Es ist nicht alles schlecht – entscheidend ist, dass Regeln angemessen und umsetzbar sind. Gleichzeitig müssen wir auch regional schauen, wie viele Gesetze wir ständig neu erfinden. Die Anzahl der Wörter in Gesetzestexten wächst exponentiell. Heute wurde ein Maßnahmenpaket vorgestellt, das die Regulierungswut eindämmen soll. Ob es gelingt, wird man sehen. Fakt ist: Wir brauchen mehr Unternehmertum und Innovationsfreiheit – und weniger Detailregulierung.
Und Mercosur – Chance oder Risiko?
Wir haben unterschiedliche Interessen, und die muss man respektieren. Aber eines ist klar: Wenn wir global tätig sein wollen, brauchen wir Partner. Die USA sind aufgrund ihrer Zölle und der Unberechenbarkeit ein schwieriger Handelspartner geworden. Unsicherheit ist Gift für die Wirtschaft. Deshalb müssen wir alternative Märkte erschließen. Und wenn wir verhandeln, müssen wir bereit sein, Verträge abzuschließen. Mercosur wäre einer davon. Wenn wir das nicht tun, isolieren wir uns. Dann werden wir auf der einen Seite von chinesischen Produkten überrollt, weil die USA sie nicht aufnehmen, und wir selbst bekommen unsere Produkte nicht mehr in unsere traditionellen Märkte. Die Frage stellt sich also nicht – die Antwort liegt auf der Hand.
Nach dem Rücktritt von Präsident Mahrer stand die Wirtschaftskammer in der Kritik. Warum braucht es sie dennoch?
Weil wir zahlreiche Bereiche haben, in denen die Wirtschaftskammer treibende Kraft ist – von der beruflichen Bildung über die Außenwirtschaft bis hin zur Unterstützung mittelständischer Betriebe. Und weil wir in Kärnten anders agiert haben als jene Stellen, die kritisiert wurden. Unser Präsident und das Wirtschaftsparlament haben eine völlig andere Position vertreten. In Kärnten wurden Funktionärsentschädigungen nicht erhöht – sie liegen sogar im unteren Bereich. Trotzdem muss die Wirtschaftskammer offen für Reformen bleiben. Wir als Sparte Industrie werben dafür. Man darf nicht nur auf die Spitze des Eisbergs schauen, sondern dort ansetzen, wo echte Veränderungen möglich sind.
Abschließend: Was ist Ihre Vision für den Industriestandort Kärnten 2030?
Ich hoffe, dass wir unsere Position als Zulieferindustrie mit vernünftiger Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen. Dafür brauchen wir Innovationskraft und ein Umfeld, das Innovation fördert. Wir müssen unseren Bildungsstandard halten und steigern – auch die HTL ist hier zentral. Lebenslanges Lernen bleibt entscheidend. Wettbewerbsfähigkeit bedeutet ebenso, unsere Regulierungskosten dem Umfeld anzupassen. Und wir sollten unsere Chancen nutzen: Österreich erzeugt Energie aus nachhaltigen Quellen. Eigentlich müssten wir niedrigere Energiekosten haben. Manchmal hinterfrage ich ihre Höhe. Strom wird ein treibender Faktor der Zukunft sein. Ohne Innovationskraft wird es nicht gehen. Das Umfeld wird uns nicht retten – wir können uns nur selbst helfen.