Kündigung von Auslands-Arbeitgebern: Das ist zu beachten!
Der OGH bestätigt: Kollektivvertragliche Kündigungsbestimmungen gelten für Arbeitnehmer:innen nur dann, wenn der Arbeitgeber überhaupt einem österreichischen Kollektivvertrag unterliegt. Bei ausländischen Unternehmen ohne Niederlassung in Österreich sind KV-Regeln - trotz Günstigkeitsvergleich und Rom I-VO - nicht anzuwenden.
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Der Kläger war seit dem Jahr 2016 für das in Deutschland ansässige beklagte Unternehmen als Außendienstmitarbeiter für den Vertrieb von Fahrrädern in Österreich tätig. Er betreute dieses Gebiet von seinem Wohnort in Österreich aus und reiste nur alle paar Monate für Besprechungen zum Unternehmensstandort nach Deutschland. Wäre die Arbeitgeberin in Österreich ansässig, wäre der Kollektivvertrag für Handelsangestellte anwendbar. Im schriftlichen Arbeitsvertrag wurde auf deutsche Rechtsvorschriften Bezug genommen und eine Kündigungsfrist von 2 Monaten zum Monatsletzten vereinbart. Am 18.10.2023 kündigte die Arbeitgeberin das Dienstverhältnis zum 31.1.2024.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger 19.881,13 EUR an Kündigungsentschädigung. Das Dienstverhältnis unterliege nach Art 8 Abs 2 Rom I-VO dem österreichischen Arbeitsrecht. Selbst für den Fall, dass die Anwendung deutschen Rechts vereinbart worden wäre, kämen nach dem Günstigkeitsprinzip in Art 8 Abs 1 Rom I-VO die zwingenden Bestimmungen des österreichischen Arbeitsrechts zur Anwendung. Darüber hinaus sei der KV-Handelsangestellte eine Eingriffsnorm iSd Art 9 Rom I-VO. Nach dem KV-Handelsangestellte wäre das Dienstverhältnis lediglich zum Ende des Quartals kündbar gewesen, sodass dem Kläger eine Kündigungsentschädigung gebühre. Zudem habe der Kläger nach § 3 Abs 2 LSD-BG Anspruch auf das kollektivvertragliche Entgelt, das am Arbeitsort Arbeitnehmern von vergleichbaren Arbeitgebern gebühre, sodass die Beklagte auch die kollektivvertraglichen Lohnerhöhungen für die Jahre 2023 und 2024 schulde.
Das Erstgericht sprach dem Kläger die begehrte Kündigungsentschädigung zu, ein Anspruch auf überkollektivvertragliche Entgelte könne jedoch aus § 3 Abs 2 LSD-BG nicht abgeleitet werden, sodass der Kläger keine kollektivvertragliche Lohnerhöhung beanspruchen könne. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass das Klagebegehren zur Gänze abgewiesen wurde.
Der OGH ließ die Revision mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Berücksichtigung von Kollektivverträgen im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs nach Art 8 Abs 1 Rom I-VO zu, bestätigte in der Sache aber die Abweisung der Klage durch das Berufungsgericht:
Nach Art 8 Abs 1 Rom I-VO unterliegen Individualarbeitsverträge dem von den Parteien gewählten Recht. Diese Rechtswahl muss nicht ausdrücklich erfolgen, sondern kann sich auch aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falls ergeben. Im vorliegenden Fall ist nicht mehr strittig, dass eine schlüssige Rechtswahl zugunsten des deutschen Rechts erfolgte. Die Rechtswahl darf nach Art 8 Abs 1 Rom I-VO jedoch nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch Bestimmungen gewährt wird, von denen nach dem Recht, das nach den Absätzen 2, 3 und 4 des Art 8 Rom I-VO mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre, nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf.
Mangels einer Rechtswahl unterliegt der Arbeitsvertrag nach Art 8 Abs 2 Rom I-VO dem Recht des Staats, in dem oder andernfalls von dem aus der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Da der Kläger seine Arbeit als Außendienstmitarbeiter in Österreich leistete, wäre auf das Vertragsverhältnis mangels Rechtswahl österreichisches Recht anzuwenden.
Nach § 20 Abs 2 und 3 AngG kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nach dem vollendeten 5. Dienstjahr mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten lösen, wobei aber vereinbart werden kann, dass die Kündigungsfrist am Letzten eines Kalendermonats endet. Da im vorliegenden Fall eine solche Vereinbarung getroffen und eine 3-monatige Kündigungsfrist eingehalten wurde, entsprach die Kündigung des Klägers zum Monatsletzten den Vorgaben des § 20 Abs 2 und 3 AngG.
Der Kläger beruft sich aber auch auf den Kollektivvertrag für Handelsangestellte, wonach eine Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, das länger als 5 Jahre gedauert hat, nur unter Einhaltung einer Frist von 3 Monaten zum Ende eines Kalenderviertels möglich ist. Dem Kläger ist dahin zuzustimmen, dass nach ganz herrschender Auffassung auch kollektivvertragliche Regelungen in den Günstigkeitsvergleich nach Art 8 Abs 1 Rom I-VO einzubeziehen sind. Die Notwendigkeit der Einbeziehung kollektivvertraglicher Regelungen in den Günstigkeitsvergleich des Art 8 Abs 1 Rom I-VO ergibt sich schon aus dem Zweck der Regelung, die verhindern will, dass dem Arbeitnehmer durch die Rechtswahl der Schutz zwingender Bestimmungen des nationalen Rechts entzogen wird. Eine Berücksichtigung von Kollektivverträgen im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs nach Art 8 Abs 1 Rom I-VO setzt aber voraus, dass das Arbeitsverhältnis ohne Rechtswahl dem jeweiligen Kollektivvertrag unterliegen würde. Unter keinen Umständen kann die Anwendung der kollisionsrechtlichen Vorschrift in Art 8 Abs 1 Rom I-VO nämlich dazu führen, dass der Arbeitnehmer Ansprüche erwirbt, die ihm nach der nationalen Rechtsordnung gar nicht zustehen.
Für das österreichische Recht gilt, dass nach § 8 ArbVG grundsätzlich nur jene Arbeitgeber kollektivvertragsangehörig sind, die zur Zeit des Abschlusses des Kollektivvertrags Mitglieder der am Kollektivvertrag beteiligten Parteien waren oder später werden. Eine Außenseiterwirkung ist in § 12 ArbVG nur für Arbeitnehmer, nicht aber für Arbeitgeber vorgesehen. Arbeitgeber ohne Niederlassung in Österreich unterliegen deshalb nur den gesetzlichen Vorschriften, nicht jedoch den kollektivvertraglichen Regelungen. Auch die beklagte Arbeitgeberin, die keine Niederlassung in Österreich hat, ist daher nicht dem österreichischen KV-Handelsangestellte unterworfen. Da der Kläger sich selbst dann nicht auf den KV-Handelsangestellte berufen könnte, wenn mangels Rechtswahl österreichisches Recht anwendbar wäre, sind die dort enthaltenen Regelungen über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs nach Art 8 Abs 1 Rom I-VO nicht zu berücksichtigen.
Nach § 3 Abs 2 LSD-BG hat ein Arbeitnehmer mit gewöhnlichem Arbeitsort in Österreich, dessen Arbeitgeber seinen Sitz nicht in Österreich hat und nicht Mitglied einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft in Österreich ist, zwingend Anspruch auf jenes gesetzliche, durch Verordnung festgelegte oder kollektivvertragliche Entgelt, das am Arbeitsort vergleichbaren Arbeitnehmern von vergleichbaren Arbeitgebern gebührt.
Der Wortlaut des § 3 Abs 2 LSD-BG betrifft ausschließlich Entgeltansprüche von Arbeitnehmern, nicht aber sonstige kollektivvertragliche Regelungen. Dies entspricht auch dem Zweck der Vorschrift, die eingeführt wurde, um auch Arbeitnehmern von ausländischen Arbeitgebern das gesetzliche oder kollektivvertragliche Mindestentgelt zu garantieren und damit der Gefahr von Sozialdumping entgegenzuwirken. Eine analoge Anwendung auf kollektivvertragliche Kündigungsvorschriften kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil § 2 Abs 3 LSD-BG auch im Fall der Entsendung von Arbeitnehmern die Anwendung kollektivvertraglicher Vorschriften ua über die Beendigung des Arbeitsvertrags ausdrücklich ausschließt, sodass keine planwidrige Lücke vorliegt. Im Übrigen wird die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach der Kläger aus § 3 Abs 2 LSD-BG keinen Anspruch auf Lohnerhöhungen ableiten könne, die über das kollektivvertragliche Mindestentgelt hinausgehen, in der Revision nicht mehr bekämpft.
Der Kläger macht geltend, dass die Kündigungsbestimmungen des KV-Handelsangestellte aufgrund des dahinterstehenden öffentlichen Interesses als Eingriffsnormen zu qualifizieren seien und deshalb jedenfalls anzuwenden wären.
Nach Art 9 Abs 1 Rom I-VO gelten die Regelungen der Verordnung nicht für solche zwingenden Vorschriften des nationalen Rechts, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen. Mit seinen allgemeinen Ausführungen im Zusammenhang mit der "Qualifizierung von Kollektivverträgen als Eingriffsnorm" vermag der Kläger nicht aufzuzeigen, inwiefern die Ausformung konkreter Vorschriften über Kündigungsfristen und -termine die zuvor genannten Kriterien erfüllen soll.