Kein Aufschwung ohne Industrie
Informationen der Bundessparte Industrie
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Jüngste Konjunkturprognosen für Österreich erwarten im Zeitraum 2026/30 ein durchschnittliches Wirtschaftswachstum von 1,1 %, was noch unter den – ebenfalls verhaltenen – Prognosen für den Euroraum liegt. Entscheidend für das schwache Wachstum sind der Wettbewerbsnachteil der österreichischen Industrie infolge überdurchschnittlich gestiegener Energie- und Lohnstückkosten und die daraus folgende Investitionszurückhaltung.
Die österreichische Wirtschaft erholt sich von der Rezession, die vom Energiepreisschock im Jahr 2022 ausgelöst worden war: Angesichts eines erwarteten Wachstums von bloß 0,3 % im laufenden Jahr und einer sehr verhaltenen Beschleunigung auf 1,1 % im kommenden Jahr hat das Wirtschaftsforschungsinstitut WIFO seiner jüngsten Prognose eine drastische Überschrift verliehen: „Österreich schleppt sich aus der Rezession“. Getragen wird dieser schwunglose Aufschwung gegenwärtig vom privaten Konsum, wogegen (Industrie-) Exporte und (Industrie-) Investitionen auch im Jahr 2025 weiter schrumpfen.
Die vorliegenden Konjunkturdaten der Statistik Austria für die ersten sechs Monate des Jahres 2025 zeigen eine minimale Steigerung (+ 0,4 %) der abgesetzten Produktion der Industrie gegenüber dem (schwachen) Vergleichswert des Vorjahres. Die Hälfte der Industriefachverbände haben das Produktionsniveau des Vorjahres nicht erreicht, absolute Rückgänge gab es, neben der Mineralölindustrie, insbesondere in der Fahrzeugindustrie sowie im Bereich der Bergwerke und Stahlindustrie. Der Personalabbau in der österreichischen Industrie hat sich in den ersten sechs Monaten des Jahres 2025 fortgesetzt, sodass sich nunmehr seit zwei vollen Jahren (seit September 2023) kein einziger Monat mit Zuwächsen beim Personalstand der Industrie ergeben hat.
Aktuelle Umfragedaten aus der österreichischen Industrie im Frühherbst (September 2025) weisen keine Festigung der Industriekonjunktur aus – eher das Gegenteil: Der WIFO-Konjunkturtests zeigt für die Industrie – ebenso wie im Bau – eine verhaltene Konjunkturstimmung und eine Eintrübung der Lageeinschätzung. Das IV-Konjunkturbarometer, das nach fast zwei Jahren im negativen Bereich im zweiten und dritten Quartal leicht über der Nulllinie lag, ist vor allem aufgrund verschlechterter Geschäftserwartungen wieder in den deutlich negativen Bereich abgerutscht. Die Einschätzung der Konjunkturlage der österreichischen Industrie (Sachgütererzeugung) laut EU „Business and Consumer Survey“ hat insgesamt sowie speziell hinsichtlich der Produktionserwartung und der Auftragsbestände im September den bislang schlechtesten Jahreswert ausgewiesen. Auch die Konjunkturerhebungen der Bank Austria zeigen eine Verschlechterung: „Die Erholungsansätze des Sommers haben sich mit Beginn des Herbsts verflüchtigt“, heißt es mit Bezug auf die österreichische Industrie in der jüngsten Publikation zum UniCredit Bank Austria EinkaufsManagerIndex.
Bei der Präsentation der WIFO-Konjunkturprognose und der mittelfristigen Prognose bis 2030 hat WIFO-Chef Gabriel Felbermayr von den 2020er Jahren von der „lost decade“ gesprochen, denn erst im Jahr 2030 dürfte die reale Wirtschaftsleistung pro Kopf im Österreich wieder das Niveau vor der Corona-Krise (somit des Jahres 2019) erreichen. Der Grund dafür ist, dass der Anstieg der Energiepreise und der Lohnstückkosten in Österreich empfindlich höher war als in anderen europäischen Ländern. Der dadurch erlittene Verlust an Konkurrenzfähigkeit hat in der Industrie tiefe Spuren hinterlassen: Gegenüber 2022 hat die Industrie 2025 knapp 10 % der realen Wertschöpfung eingebüßt, der Anteil der Industrie an der gesamten Wertschöpfung ist um rund zwei Prozentpunkte gefallen. Viele – gut bezahlte – Industriearbeitsplätze sind verloren gegangen.
Trotz verschlechterter Kostenposition erhofft das WIFO für 2026 eine Trendwende bei den Warenexporten (+0,7 %), nach drei Jahren der Rückgänge. Angesichts handelspolitischer Turbulenzen, die zu den Kostenproblemen hinzukommen, ist diese Trendwende wohl noch mit einigen Fragezeichen versehen. „Die Ausrüstungsinvestitionen werden erst verzögert anziehen, da sie dem Konjunkturverlauf grundsätzlich nachhinken“, schreibt das WIFO im jüngsten Konjunkturbericht: „Zudem verringert die schwache Ertragslage der Unternehmen die Investitionsbereitschaft.“ Dennoch sieht die Prognose auch bei den realen Bruttoanlageinvestitionen eine Trendwende, nämlich einen Anstieg um 1,2 % nach vier Folgejahren mit Rückgängen. Schließlich sollte die Herstellung von Waren ebenso eine Trendwende aufweisen und nach drei Jahren mit empfindlichen Rückgängen um ebenfalls 1,2 % zulegen.
Angesichts der massiven Rückgänge in den vergangenen Jahren (und heuer) sind diese Verbesserungen zwar grundsätzlich erfreulich – aber sie sind kein Aufschwung, sondern eine Stagnation auf unbefriedigendem Niveau. Der gesamte Konjunkturzyklus, mit 2027 und 2028 als „Höhepunkt“ mit BIP-Wachstumsraten von jeweils 1,2 %, ist bei weitem nicht kräftig genug, um volkswirtschaftliche Kernprobleme zu lösen: Bei einem stagnierenden Kuchen („lost decade“) werden die Verteilungskämpfe härter; nicht zuletzt deshalb wird ein Abschütteln der Inflation schwieriger und damit die Gefahr der „Stagflation“ drängender; ein Herauswachsen aus der schwierigen Budgetlage wird nicht möglich; der notwendige Strukturwandel wird schwieriger; und schließlich werden die enormen Umstellungs- und Investitionskosten im Zuge der energiepolitischen Transformation immer weniger leistbar.
Der entscheidende Hebel ist hier, einen positiven Kreislauf in Gang zu setzen: An dessen Beginn muss ein erneuertes Vertrauen in eine faktenbasierte Standortpolitik stehen, ein Vertrauen in die nationale, aber auch europäische Politik. Einzelne Maßnahmen, wie die Novelle zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG), das Stromkosten-Ausgleichsgesetz (SAG) oder die temporäre Erhöhung des Investitionsfreibetrages, weisen in die richtige Richtung.
Investitionen sind aber eine langfristige Bindung an einen Standort, und daher müssen Unternehmen mit langfristig wettbewerbsfähigen Rahmenbedingungen rechnen können. Dies betrifft nicht ausschließlich, aber zu einem wesentlichen Teil die europäische Energie- und Klimapolitik, bei der die politischen Vorgaben oft weder mit der technologischen noch der ökonomischen Realität in Übereinstimmung zu bringen sind. Die Forderungen der exportintensiven, insbesondere auch der energieintensiven Industrie nach wettbewerbsfitten Rahmenbedingungen sind daher verständlich; mehr noch, solche Rahmenbedingungen sind essentiell, um jenes Vertrauen und jenen Optimismus zu generieren, der für jede Investitionstätigkeit eine Voraussetzung ist. Nur wenn diese Investitionstätigkeit in breitem Rahmen einsetzt – und der Investitionsbedarf wäre vorhanden, nicht zuletzt in die energiepolitische Transformation – könnten Wertschöpfung und Beschäftigung (und in der Folge dann auch die Steuerleistung) wieder einen echten Aufschwung zeigen.
Autor:
Mag. Andreas Mörk
Geschäftsführer der Bundessparte Industrie
E-Mail: andreas.moerk@wko.at