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Gerhard Duchac
© Florian Wieser

Handwerk ist gelebte Tradition

Alte Handwerksbranchen prägen Wien bis heute. Sie bewahren Tradition wie auch Fachwissen und sind ein wichtiger Bestandteil der regionalen Wirtschaft.

Lesedauer: 7 Minuten

Aktualisiert am 18.09.2025

Pinsel für Künstler, Restaurateure und zum Rasieren, Bürsten zur Schuh- und Körperpflege, für Obst und Gemüse, zum Autowaschen und Parkett polieren, Besen in allen Größen und für verschiedenste Zwecke, Rauchfangkehrerbedarf und der gute, alte Bartwisch - das Sortiment von Gerhard Duchac ist riesig. Der 48-Jährige führt in Hernals Wiens letzten Bürstenmacherbetrieb. Übernommen hat er „Meier Bürsten” von seinem Schwiegervater Norbert Meier, einen der letzten Meister dieses Metiers, in dem es seit 2007 keine Lehre mehr gibt. Mehr als 50 Jahre lang hatte dieser den 1918 gegründeten Familienbetrieb geleitet. Seine Kunden: Vor allem Gewerbe- und Industriebetriebe, die Spezialwünsche haben oder besondere Qualität suchen.

Traditionshandwerke sind das Fundament unserer Wirtschaft.

Dass das Unternehmen weitergeführt wird, war bei weitem nicht immer klar. Gerhard Duchac, Betriebswirt mit Uni-Abschluss, hatte viele Jahre als Betriebsleiter in Produktionsbetrieben gearbeitet. Der Wunsch, selbst gestalten und entscheiden zu können, gepaart mit Interesse und Liebe für das Handwerk seines Schwiegervaters, brachten ihn schließlich zu dem Entschluss, seinen gut bezahlten Job aufzugeben und das Bürstenmachen zu erlernen.

Auzinger „Das Handwerk soll erhalten bleiben“

Felix Auzinger hat die Liebe zum Drechslerhandwerk schon im zarten Alter von sechs Jahren in der Werkstatt seines Großonkels entdeckt. Das Kunstdrechseln ist auf dem Tischler-Handwerk aufgebaut. Nachdem er die Fachschule für Drechslerei in Hallstatt absolvierte, arbeitete er in einem Meisterbetrieb, bis er schließlich 2018 seinen eigenen Betrieb in Gmunden gründete. 2021 übersiedelte er mit seiner Werkstatt nach Wien, wo er auch eine kleine Ausstellung betreibt und in einem Werkstattverein tätig ist. Auzinger hat sich vor allem auf Handdrechseln spezialisiert, produziert kleine Serienstücke und erledigt Restaurationsarbeiten. „Oft liegt der Fokus heute auf günstigen und möglichst einfachen Produkten. Dennoch gibt es Menschen, die am Kunstdrechseln interessiert sind und die Arbeiten wertschätzen. Ich möchte dazu beitragen, dieses Handwerk zu erhalten.”
Felix Auzinger, www.felixauzinger

Vier Jahre lang arbeitete er an der Seite von Norbert Meier, der ihm jeden Handgriff von der Pike auf beibrachte. „Ich habe vom Besten gelernt”, zollt Duchac dem Lehrmeister Respekt. Seit Herbst 2024 führt er den Betrieb nun alleine - mit Überzeugung und Liebe, wie er sagt. „Es ist schön, das Handwerk zu beherrschen. Mit meiner Hände Arbeit etwas zu schaffen und Lösungen für Kunden zu finden, das ist ein gutes Gefühl.” Aber klar, es müsse sich auch wirtschaftlich lohnen. Deshalb setzt Gerhard Duchac auf stärkere Sichtbarkeit seines Betriebs und auf Social Media-Präsenz, um mehr Privatkunden zu erreichen - Menschen, die Qualität schätzen und bewusst lokal erzeugten Produkten den Vorzug geben vor billiger Massenware.

Pletz Goldschmied „Schmuck ist Handwerk, das Generationen verbindet“ 
Die Kombination aus präziser Technik und ästhetischer Gestaltung fasziniert Marlene Pletz seit jeher. Der Beruf Goldschmiedin wurde zur Leidenschaft und so konnte sie mit der Gründung von „Rosa Marlene” 2013 den Traum der Selbstständigkeit verwirklichen. „Diese Handwerkskunst erlaubt mir, die Natur neu zu interpretieren, Materialien zu entdecken und zu formen. Das Highlight meiner Passion? Emotionale Geschichten meiner Kundinnen und Kunden in sichtbare und tragbare Schmuckstücke zu übersetzen.” Schmuck ist Erinnerung, Haltung und Emotion. Pletz möchte Tradition mit Verantwortung, Handwerk und Innovation verbinden. In ihrer Werkstatt arbeitet die Goldschmiedmeisterin mit recycelten Edelmetallen aus Wien und bietet auch nachhaltig hergestellte Labor-Diamanten an - aus Liebe zur Natur.

Mit Massenware hat das Handwerk nichts am Hut. Im Gegenteil: „Individuelle Maßfertigung und ein hoher Anteil an Handarbeit sind ebenso charakteristisch wie der enge Austausch mit Kundinnen und Kunden, der Einsatz von speziellem Fachwissen und ein starker Fokus auf Qualität und Nachhaltigkeit”, betont Maria Neumann, Spartenobfrau Gewerbe und Handwerk der WK Wien.

Wichtiger Teil der Wirtschaft

Viele der 41 Handwerke, die die österreichische Gewerbeordnung auflistet, haben eine lange Geschichte. Sie bilden das Fundament unserer Wirtschaft, sagt WK Wien-Präsident Walter Ruck. „Traditionelle Handwerke schaffen hochwertige Produkte und Dienstleistungen, produzieren regional und nachhaltig, schaffen Arbeitsplätze, bilden Lehrlinge aus, sorgen für Erhalt und Weitergabe alter Arbeitstechniken und sind dabei kreativ und innovativ, indem sie Bewährtes gekonnt mit Neuem verbinden.”

Czerwenka Buchbinderin „So ziemlich alles ist Handarbeit“
Kerstin Czerwenka ist durch Zufall an das Handwerk geraten. Sie hat damals einen Ausbildungsplatz gesucht und eine Lehrstelle als Buchbinderin gefunden. „Es hat vom ersten Moment an Spaß gemacht - ich habe den besten Beruf gefunden”, erzählt Czerwenka. Handbuchbinderei ist eine komplexe Aufgabe mit vielen Arbeitsschritten. Diese Abwechslung und die Kreativität bei der Auswahl von Papier und Farbe gefallen der Buchbindermeisterin am besten an ihrem Beruf. Im Jahr 2007 hat sie sich selbstständig gemacht und ihr eigenes Unternehmen gegründet. „Buchbinden ist reines Handwerk, bei dem sich in den letzten 50 bis 60 Jahren nicht viel geändert hat. So ziemlich alles ist Handarbeit. Für manche Arbeiten braucht man Geräte, z.B. bei der Prägung für gerade Linien. Sie dienen zur Arbeitserleichterung.”

Zwar hat die Globalisierung viele Handwerke unter Druck gesetzt. Ihr drohendes Verschwinden ist aber auch Anstoß für Initiativen zur Erhaltung. Mehrere traditionelle Branchen - darunter Buchbinder, Vergolder oder Pflasterer - stehen schon auf der Unesco-Liste des österreichischen immateriellen Kulturerbes, was mithilft, sie sichtbar zu machen und zu bewahren. Die Initiative kam von den jeweiligen Branchen. „Die Aufnahme in die Unesco-Liste ist eine besondere Auszeichnung und trägt dazu bei, dass traditionelles Handwerk bleibt und neu belebt wird”, so Ruck.

Snajdr Schuhmacher „Unser Handwerk erlebt eine stille Renaissance“
Maßschuhe gelten als Ausdruck von echtem, handgemachtem Luxus, sagt Mirko Snajdr, Innungsmeister der Wiener Schuhmacher. „Getragen wird dabei nicht nur ein Unikat, sondern ein Stück Wiener Handwerksgeschichte.“ Er selbst betreibt seit 27 Jahren eine 1902 gegründete Werkstätte für Maß- und Orthopädieschuhe. Rund 60 Stunden Handarbeit stecken in einem Paar Maßschuhe. Ist der Leisten bereits vorhanden, sind es immerhin 40 Stunden für ein Folgepaar. Die Branche ist in den letzten Jahrzehnten leicht geschrumpft - aktuell gibt es rund 180 Schuhmacherbetriebe in Wien, von denen viele aber nur reparieren. Der Trend zu Nachhaltigkeit habe der heimischen Branche, die auch von vielen internationalen Kunden geschätzt wird, eine „stille Renaissance” verschafft, so Snajdr.

Langsam sei auch zu bemerken, dass immer mehr Menschen auf individuell gefertigte Qualitätsprodukte örtlicher Handwerksbetriebe setzen - als bewussten Gegentrend zum Massenkonsum von Billig-Wegwerfware aus Niedriglohnländern. „Lokales Handwerk schafft Wertschöpfung und Arbeitsplätze vor Ort. Deshalb sind solche Impulse wichtig”, betont Ruck.

Handwerk ist krisenfest

Im traditionellen Handwerk sind seit 2017 die Unternehmenszahlen um 3,7 Prozent gestiegen, die Zahl der unselbstständigen Beschäftigten sogar um 10,8 Prozent, weiß Christina Enichlmair, Senior Researcher der KMU Forschung Austria: „Gewerbe und Handwerk sind insgesamt sehr resilient und krisenfest.” In einigen Handwerksberufen gehen die Unternehmenszahlen zwar wegen neuer Technologien oder der Veränderung von Mode und Kultur zurück, aber „die Branchen sterben nicht aus, sondern bleiben in bestimmten Nischen bestehen. Einzelanfertigungen werden als Luxusgüter gesehen”, bestätigt Enichlmair. In der Kreislaufwirtschaft werden traditionelle Handwerke wieder mehr gefragt, Materialien und Rohstoffe wiederverwendet und Produkte repariert. „Der Nachhaltigkeitsgedanke führt zum Aufschwung des Handwerks. Man braucht Fachkräfte, die sich mit Materialien auskennen. Lehrberufe werden an Zukunftstrends angepasst. Es ist wichtig, junge Leute wieder mehr in die Lehre zu bringen”, so Enichlmair. Neben dem persönlichen Kundenkontakt ist auch die Online-Präsenz von großer Bedeutung. Handwerksbetriebe können Social Media nutzen, um sich und ihre Produkte optimal zu präsentieren. „Wien muss sich mit dem traditionellen Handwerk positionieren und das typisch Wienerische in den Vordergrund stellen”, betont Enichlmair.

Hinweis
Wirtschaftsfaktor mit langer Tradition

Was sind Handwerke?
Der Begriff Handwerk umfasst eine Reihe gewerblicher Berufe, die durch viel Handarbeit, individuelle Fertigung bzw. Maßarbeit sowie spezielle, oft jahrhundertelang überlieferte und verfeinerte Techniken und Kenntnisse charakterisiert sind.

Lange Tradition

Viele Handwerke haben eine lange Geschichte. So übernahmen etwa Spezialisten schon ziemlich früh die Bearbeitung von Metall, weshalb der Schmied zu den ältesten Handwerken überhaupt zählt. Vor allem am Land wurden aber die meisten handwerklichen Arbeiten lange Zeit von der bäuerlichen Bevölkerung selbst erledigt. Mit dem Wachstum der Städte und zunehmender Arbeitsteilung wuchs die Riege der Handwerker. Im Mittelalter bildeten sie ihre ersten Standesvertretungen - die Zünfte. Sie bestimmten, wer den Beruf ausüben durfte, und regelten die Ausbildung des Nachwuchses. Mit dem Entstehen von Manufakturen und der industriellen Fertigung ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden immer mehr Produkte mithilfe von Maschinen hergestellt. Manche Handwerke verloren dadurch ihre wirtschaftliche Grundlage und verschwanden.

Handwerk Heute
Nach wie vor hat das Handwerk große Bedeutung als Wirtschaftsfaktor und Kulturgut. Gerade weil es regionale Wertschöpfung bringt und auf Qualitätsarbeit und Individualität fußt, wird es von vielen als Gegenmodell zur industriell erzeugten Massenware gesehen und erfreut sich zuletzt wieder zunehmender Beliebtheit. Die österreichische Gewerbeordnung listet aktuell 41 Handwerke auf - die Bandbreite reicht von Augenoptiker, Bäcker und Dachdecker über Friseur, Fleischer und Rauchfangkehrer bis zu Tischler, Uhrmacher und Zahntechniker. Um ein Handwerk selbstständig ausüben zu können, braucht es prinzipiell eine Meisterprüfung als Befähigungsnachweis. Der Meistertitel gilt als weithin anerkanntes Qualitätssiegel.