Sparte Industrie

Unternehmen als „Privatpolizei“ internationaler Konventionen?

Das auf EU-Ebene geplante Lieferkettengesetz soll Unternehmen verpflichten Umwelt- und soziale Standards einzuhalten sowie Verstöße zu verhindern. 

Lesedauer: 3 Minuten

Nach zahlreichen Verschiebungen – ursprünglich geplant für 2021 – hat die Europäische Kommission am 23.Februar 2022 ihren Vorschlag zur sogenannten Corporate Sustainability Due Diligence veröffentlicht. Der Vorschlag ist Teil des „Just and Sustainable Economy“-Pakets, welches auch eine Mitteilung zu angemessenen Arbeitsbedingungen enthält. 

Das Ziel ist die Verbesserung des EU-Rechtsrahmens für Nachhaltigkeit im Bereich Corporate Governance. Die im Ausland beschafften Vorleistungsgüter bzw. Fertigerzeugnisse sollen in allen Phasen ihrer Wertschöpfungskette auf etwaige umweltschädigende oder gegen angemessene Arbeitsbedingungen verstoßende Produktionsverfahren zurückverfolgt werden. Die aktuellen Diskussionen beinhalten die Einhaltung von Umweltstandards, inklusive Klimaschutz, aber insbesondere auch Menschenrechte, Arbeitsrecht, Ausbeutung, fairer Handel und Kinderarbeit. 

Der Vorschlag zielt auf Kapitalgesellschaften (EU-Unternehmen und in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten) ab 500 Mitarbeitern und 150 Millionen Euro Jahresumsatz bzw. in bestimmten „Risikosektoren“ ab 250 Mitarbeitern und 40 Millionen Euro Jahresumsatz (darunter Textilien, Leder, Land- und Forstwirtschaft, Nahrungsmittel, Holz, Bodenschätze, Metall, Mineralien) ab. Für zweitere sollen die Vorschriften zwei Jahre später in Kraft treten als für jene aus der ersten Gruppe. KMU sind zwar prinzipiell ausgenommen, werden aber durch ihre Rolle entlang der Lieferketten ebenfalls davon betroffen sein. Der Anwendungsbereich umfasst EU-weit etwa 13.000 Unternehmen. 

Die Sorgfaltspflicht gilt nicht nur für die Unternehmen selbst, sondern auch für ihre Tochtergesellschaften und die Wertschöpfungsketten – direkt und indirekt bestehende Geschäftsbeziehungen. Tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen auf Menschenrechte und/oder Umwelt sollen ermittelt werden und wirksame Strategien erarbeitet werden, diese zu minimieren. Ein Beschwerdeverfahren sowie die öffentliche Kommunikation über die Wirksamkeit der ergriffenen Maßnahmen sollen ihr Übriges tun. Das Management soll zur Berücksichtigung und Durchsetzung dieser Interessen in der Unternehmensstrategie verpflichtet werden. Im Fall von variabler Vergütung sollen Anreize zur Einhaltung der Nachhaltigkeitsziele geschaffen werden. 

Zur Durchsetzung sieht der Vorschlag die Möglichkeit für nationale Behörden vor, Verwaltungsstrafen zu verhängen. Darüber hinaus soll es Organisationen und Individuen gestattet werden, zivilrechtlich gegen erlittene, vermeidbare Schäden vorzugehen. Begleitmaßnahmen für alle Unternehen, inklusive KMU, sind vorgesehen. Dazu zählen eigene oder gemeinsame Websites, Plattformen oder Portale, Mustervertragsklauseln sowie eine mögliche finanzielle Unterstützung. 

Es ist mit einem hohen politischen Druck zu rechnen, den Legislativprozess schnellstmöglich abzuschließen. Die Mitgliedsstaaten haben nach Annahme zwei Jahre Zeit für die Umsetzung. 

Durch die Gültigkeit auf die gesamte Wertschöpfungskette – ohne Beschränkung auf die direkte Lieferkette – ist aus Sicht der BSI keine Verhältnismäßigkeit gegeben. Im Gegenteil, es wird auf die Unternehmen eine weitere Bürokratiewelle zurollen, ohne jedoch die Herausforderungen einer nachhaltigen Lieferkette zu lösen. Statt Durchsetzung konkreter, bestehender Regulatorien wird ein neues Rahmenwerk inklusive Vorgaben geschaffen. Dadurch werden EU-Unternehmen wissentlich im internationalen Wettbewerb benachteiligt und schädliche Aufwendungen unter Androhung von Strafen aufgebürdet. Insbesondere in Zusammenhang mit Sorgfaltspflichten betreffend mittelbare Lieferanten („indirect partners“) entstehen letztlich schwer kalkulierbare, potentiell unbegrenzte Haftungsrisiken, die nur unzureichend entschärft werden.  

Die Abgrenzung zu anderen geplanten sektorspezifischen Regeln geht aus dem Vorschlag ebenfalls nur mangelhaft hervor. So soll etwa die Entwaldungs-Richtlinie im selben Regelungsbereich ebenfalls Umweltziele, die auf nationalstaatlicher Ebene zu regeln sind, auf Wirtschaftsunternehmen abwälzen. Die oftmals gepriesene interne Abstimmung innerhalb der Europäischen Kommission bleibt damit Makulatur. Darüber hinaus können bei der nationalen Umsetzung der Richtlinie weitergehende nationale Rechtsvorschriften erlassen werden, was wiederum zu einer Fragmentierung der Rechtslage und ungleichen Wettbewerbsbedingungen innerhalb der EU führen kann. 

Weiters besticht der RL-Entwurf in seiner aktuellen Form nicht unbedingt durch Praktikabilität. Er enthält eine Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen, bei denen Unternehmen nicht eruieren können, welche Pflichten konkret auf sie zukommen und welche Maßnahmen sie im Einzelfall zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten treffen können. Es ist nicht zielführend, in Anhängen seitenweise auf internationale Übereinkommen ohne Konkretisierung der Rechtspflichten bloß hinzuweisen und somit zum, für die Unternehmen zu überprüfenden, Sorgfaltsmaßstab zu machen. In concreto würde das bedeuten, dass über 50 internationale Übereinkünfte von den Unternehmen zu monitoren wären, um allfällige Verstöße ihrer Vorlieferanten zu identifizieren. 

Obwohl die KMUs nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, was sehr zu begrüßen ist, werden sie dennoch als Auftragnehmer oder Unterauftragnehmer von den Bestimmungen betroffen sein. Ob und inwieweit die bereits oben angesprochenen Maßnahmen einen effektiven Schutz vor dem Abwälzen der Verpflichtungen auf KMUs bieten, ist fraglich. Es bräuchte hier Nachschärfungen und Konkretisierungen der Maßnahmen, um die indirekten Auswirkungen auf KMUs ausreichend abzuschwächen. 

Die europäischen Dachorganisationen mehrerer Fachverbände haben sich bereits im Vorfeld zu möglichen, spezifischen Bestimmungen positioniert. Dabei kam insbesondere dem Dialog mit dem Europäischen Parlament große Bedeutung zu, da dieses bereits letztes Jahr in einer Resolution ein europäisches Lieferkettengesetz forderte und inhaltliche Eckpfeiler eingeschlagen hat, von denen einige sich im Entwurf der Kommission wiederfinden. Die BSI wird sich nun über die Vertretung der WKÖ in Brüssel in die kommenden Gesprächen im Parlament und Ministerrat einbringen und sich dafür einsetzen, dass das zweifellos hehre Ziel der Einhaltung von Umweltstandards, sozialer Standards & Menschenrechte als wesentliche Aufgabe von Staaten nicht zur Gänze auf die Unternehmen abgewälzt wird. 

>> Weiterführende Informationen

Autoren:
Clemens Rosenmayr, MSc, MSc, BSc
Mag. Hagen Pleile
Email:
clemens.rosenmayr@wko.at
hagen.pleile@wko.at

Stand: 21.03.2022