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Mit Teilzeitarbeit ist kein Vollzeitstaat zu machen

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Aktualisiert am 09.10.2023

An Vermessenheit grenzt es geradezu, dem großen Philosophen und Landsmann Konrad Paul Liessmann widersprechen zu wollen: Zu scharf beobachtet und treffsicher formuliert sind seit Jahrzehnten seine Kommentare zum gesellschaftlichen Zeitgeschehen. Dennoch will ich es wagen, seine intellektuellen Variationen zum Thema Arbeit, wie sie die Kleine Zeitung heute sogar auf die Titelseite gehoben hat, an meiner ebenso jahrzehntelangen Befassung mit den Themen Wirtschaft und Arbeit abzugleichen.

Hochentwickelte Volkswirtschaft braucht Arbeitskräfte

Was für ein pastellfarbenes Zukunftsbild, das Liessmann uns malt: Der technologische Fortschritt, zusammengefasst unter dem Zauberwort Digitalisierung, befreit die Bevölkerung vom Zwang zur Fronarbeit. Ohne den sinnlosen – und auch im Kärntnerischen bekannten – Tschoch finden die Menschen Kraft und Zeit, sich anderen (unentgeltlichen) Arbeitsformen (der Beziehungsarbeit, Familienarbeit, Vereinsarbeit, Pflegearbeit) zu widmen. Arbeitszeitverkürzungen und ein bedingungsloses Grundeinkommen sind Stationen auf dem Weg dorthin. „Die Teilzeitarbeit ist kein Missstand, sondern ein Zukunftsmodell“, schreibt Liessmann abschließend.

So anheimelnd dieses Szenario wirkt, der Gelehrte dürfte doch einige Stockwerke zu hoch im Elfenbeinturm der Akademia hausen. Zurück auf den harten Boden der Realität, auch auf die Gefahr hin, dass dort wenig sozialromantisches Lametta liegt: Als hochentwickelte Volkswirtschaft leistet sich Österreich ein (mindestens) ebenso hoch entwickeltes Sozial- und Gesundheitssystem, das kaum seinesgleichen kennt auf der Welt. Keine Lebenslage, in der „der Staat“, finanziert über eine der höchsten Abgabenbelastungen von rund der Hälfte unserer Einkommen, nicht zu Hilfe eilt. Ohne die Wirtschaft als Kooperationsprojekt von Unternehmenden und Beschäftigten ist kein Staat zu machen: Fast 222 Milliarden Euro hat „der Staat“ im vergangenen Jahr von Unternehmen und arbeitenden Menschen eingehoben (und etwa 236 Milliarden ausgegeben).

Teilzeit und Pension bewirken Arbeitskräftemangel

Dieser alles (alles!) entscheidenden Wirtschaft fehlen heute schon 300.000 Arbeitskräfte. Das bedeutet: Vorhandene Arbeit kann nicht geleistet werden. In einigen Jahren werden 500.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fehlen. Immer weniger aktiv Arbeitende werden immer mehr Pensionisten erhalten müssen. Und neben der Überalterung unserer Gesellschaft ist eine der Ursachen dafür der Trend zur Teilzeitarbeit, die schon mehr als 30 Prozent aller Beschäftigten in Anspruch nehmen. Und hier ist nicht die Rede von (vorwiegend) Frauen mit Betreuungspflichten für Kinder oder Ältere, denn das trifft nicht einmal auf die Hälfte der in Teilzeit arbeitenden Frauen zu. Sie hat Kanzler Nehammer in seinem kürzlich zu einer gewissen Bekanntheit gelangten Video übrigens auch explizit ausgenommen.

Verkürzte Arbeitszeit ist Science-Fiction

Der große Rest arbeitet weniger wegen der „Work-Life-Balance“, weil es sich finanziell auch so ausgeht oder aus anderen individuellen Gründen. Aber wie soll bei bald einem Drittel in Teilzeit Arbeitender ein Vollzeit-Staat funktionieren? Wer erwirtschaftet die Wertschöpfung, wer bezahlt die Pensionen der nur zum Teil Einzahlenden, wer leistet die volle Arbeitszeit in den Schulen, den Krankenhäusern, bei der Polizei oder im Schichtbetrieb einer unter Volllast laufenden Industrie, die im internationalen Wettbewerb mit Ländern steht, in denen niemand daran denkt, sich nach einer 32-Stunden-Arbeitswoche entspannt der Muße zuzuwenden? 

Ja, sehr geehrter Herr Professor, in der Science-Fiction werden alle Menschen von der Bürde der Erwerbsarbeit befreit in kreativer Gelassenheit durchs Paradies wandeln. Aber bis dahin müssen wir uns alle – und zwar mehr, nicht weniger – anstrengen, damit uns auf dem Weg dorthin nicht der gesellschaftliche Wohlstand ausgeht. Teilzeitarbeit ist daher kein Zukunfts-, sondern ein Verarmungsmodell.