Europa muss fitter werden
Im Wettbewerb mit den USA und China gerät die EU immer mehr ins Hintertreffen. Höchste Zeit zu handeln, meinten der ehemalige deutsche Finanzminister, Christian Lindner, und WK Wien-Präsident Walter Ruck im jüngsten Salon Stubenring.
Lesedauer: 2 Minuten
Für die Europäische Union sind schwierige Zeiten angebrochen. Krieg an der Außengrenze, Handelskonflikte mit den USA und China, der kostspielige Kampf gegen den Klimawandel, überfällige Reformen im Inneren und ein rasant steigender Innovationsdruck in der Welt sind dabei nur einige Probleme. Auch Deutschland, einst die Wirtschaftslokomotive der EU, erfüllt diese Erwartungen nicht mehr. „Die Standortfaktoren wurden seit mehr als einem Jahrzehnt nicht gepflegt. Die Substanz der deutschen Wirtschaft hat dadurch stark abgenommen”, bestätigte Christian Lindner, deutscher Finanzminister von 2021 bis 2024. Auf Einladung von Wirtschaftskammer Wien-Präsident Walter Ruck war er zu Gast im Salon Stubenring. „Wir werden uns verändern müssen”, ist Lindner überzeugt. Auch in der übrigen EU müsse die Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden – gerade jetzt, wo Europa wegen seiner Rechtssicherheit bei internationalen Standortentscheidungen wieder stärker in den Fokus rücke. „Den Einsichten müssen Taten folgen”, so Lindner.
Den Wettbewerb stärkt man nicht durch Investitionen der öffentlichen Hand, sondern durch Rahmenbedingungen, die privates Kapital fördern.

Walter Ruck
Präsident der Wirtschaftskammer Wien
Ruck gegen wirtschaftlichen Dirigismus
Unter Wettbewerbsdruck stehe ganz besonders auch Österreich, wo sechs von zehn Euro im Ausland verdient werden, sagte Ruck. Vor allem zu Deutschland sei die wirtschaftliche Abhängigkeit Österreichs und Wiens groß. Hinzu kämen hausgemachte Probleme wie die anhaltend hohe Inflation in Österreich: „Bei der Verteilung von Geldern wurde teilweise zu großzügig mit der Gießkanne gearbeitet”, kritisierte Ruck. Auch das Übermaß an Regelungen und die jüngste Tendenz zu staatlichen Eingriffen seien Probleme für den Standort: „Dirigismus führt nicht zum Erfolg. Die Veränderung von Rahmenbedingungen sind wichtiger. Dadurch könnte man beispielsweise sehr viel privates Geld wirtschaftsstimulierend gewinnen.” Dass in Deutschland der Staat derzeit massiv neue Schulden aufnimmt, um die Wirtschaft anzukurbeln, sieht Lindner kritisch: „Die Wette, dass die hohe Verschuldung zu mehr Wirtschaftswachstum führen wird, kann aufgehen – muss aber nicht.” Oft würden mit frischem Geld nur bekannte Strukturprobleme überdeckt. So sieht es auch Ruck: „Den Wettbewerb stärkt man nicht durch Investitionen der öffentlichen Hand, sondern durch Rahmenbedingungen, die privates Kapital fördern.” Wettbewerb sei wichtig für die Innovationskraft eines Standorts.
Konkrete Erwartungen an die EU
Wünsche an die EU haben beide ebenfalls eine Menge. So forderte Ruck die Schaffung eines europäischen Strommarkts, um den Wettbewerbsnachteil der europäischen Industrie auszugleichen. Außerdem brauche es mehr Handelsabkommen mit anderen Wirtschaftsräumen, vor allem das Mercosur-Abkommen der EU mit Südamerika. Zudem müsse sich die EU ihrer Stärken besinnen und in der Welt selbstbewusster auftreten.
Lindner forderte die weitere Vertiefung des EU-Binnenmarkts bei Dienstleistungen sowie eine Kapitalmarktunion, um private Investments zu erleichtern. Er kritisierte das hohe Tempo zur Erreichung der Treibhausgasneutralität: „Das Ambitionsniveau und die Zeitachsen kosten enorm viel Wettbewerbsfähigkeit.” Es werde viel Geld in die Hand genommen, um Anlagen zu ersetzen, die noch gut laufen würden.