Einblick in die fortschrittliche staatliche Digitalisierungsstrategie Estlands
© UBIT Vorarlberg
Seit drei Jahrzehnten arbeitet Estland nun an der Realisierung eines digitalen Staates. So stehen 99 % der behördlichen Dienstleistungen mittlerweile digital zur Verfügung. Seit 2002 ist die digitale Identität für jede:n Bürger:in obligatorisch, seit 2005 kann man digital wählen. Medikamente werden in der Apotheke mit der ID abgeholt, der Führerschein ist ebenfalls auf der ID gespeichert und Steuerberater:innen sind in Estland quasi obsolet, da jede:r Bürger:in die Steuererklärung selbst in wenigen Minuten umsetzen kann. Und das Ende der Fahnenstange ist noch nicht erreicht, künftig wird auch ein 24/7 digitales Bürgerservice mit Spracherkennung angestrebt. (vgl. E-Paper der NZZ vom 24.10.2022)
Kurz gefasst tragen zum Funktionieren folgende Aspekte bei:
- Das Selbstverständnis des estnischen Staates bürgerzentriert zu handeln, mit dem erklärten Ziel, es dem:der Bürger:in so einfach wie möglich zu machen.
- Das digitale „Straßennetz“ x-Road, welches Systeme und Datenbanken verschiedener Behörden miteinander verbindet und den Austausch von Informationen automatisiert. (vgl. E-Paper der NZZ vom 24.10.2022)
- Eine gute digitale Infrastruktur im ganzen Land, sprich mindestens 4G-Abdeckung in allen bewohnten Gebieten.
- Eine high-level IT-Security inkl. 24/7 Überwachung.
Das X-Road Ökosystem
Das System ist das technische Herzstück der estnischen Digitalisierungsstrategie. Es vernetzt Systeme und Datenbanken verschiedenster Behörden und mittlerweile auch privater Unternehmen miteinander und ermöglicht es so, dass Bürgerinnen und Bürger mit nur einer ID möglichst viele Services nutzen können. Dass Datensicherheit hierbei an erster Stelle steht, erklärt sich von selbst. Alle Daten werden daher dezentral gespeichert, es gibt keine gesammelte Datenspeicherung und auch Datenduplizierungen sind gesetzlich verboten.
In der Präsentation und den vielfältigen Unterlagen des eEstonia Briefing Centers erhalten Sie einen Eindruck von der „wahrscheinlich besten digitalen Gesellschaft der Welt“ wie das Institut selbstbewusst anmerkt.
Digitale Bildung – der Schlüssel zum Erfolg
Der Schlüssel zum Erfolg liegt einerseits in der Transparenz, wie sie die estnische Regierung praktiziert. Jede und jeder soll wissen, was mit den persönlichen Daten geschieht. Und dafür braucht es Digitalbildung und einen Internetzugang für alle, das war den Est:innen schon sehr früh bewusst. Daher wurde 1996 das Projekt „Tiigrihüpe“ (Tiger-Sprung) ins Leben gerufen, das für alle Schulen einen entsprechenden Zugang ermöglichte. Heute lernen bereits Kindergartenkinder den Umgang mit dem Internet, in den Schulen wird ab der ersten Klasse programmiert und IT-Lehrgänge an den Universitäten sind zum Teil ausgebucht. (vgl. E-Paper der NZZ vom 24.10.2022)
Wie bereichernd und innovativ ein solches digitales Schulkonzept sein kann, davon konnten sich die Teilnehmer:innen der UBIT-Studienreise beim Besuch der 21. Schule in Tallinn überzeugen. 1.200 Kinder von der ersten bis zur zwölften Klasse lernen dort. Einen Zugang zu Computern gibt es ab der ersten Klasse. Schon die Kleinsten werden behutsam an die digitale Realität herangeführt und versuchen sich an altersgerecht aufbereiten Rechenaufgaben am Laptop. In sogenannten „lego education“-Klassen werden erste Programmierversuche unternommen und Roboter gebaut. Und natürlich hat jede Schülerin die Möglichkeit, digital zu recherchieren.
Auch der Lehrkörper wird digital bestens betreut. Ein eigenes IT-Department kümmert sich täglich darum, dass Hard- und Software einwandfrei funktionieren. Die Schule verfügt über ein digitales Klassenbuch (ekool), dass von Schüler:innen, Lehrer:innen und Eltern gleichermaßen eingesehen werden kann. Digitaler Unterricht zu Covid-Zeiten war eine Selbstverständlichkeit, Lerndefizite gab es für die Schüler:innen in dieser Zeit kaum.
Und bei all der Digitalisierung kommen auch Kunst, Kultur und Kommunikation nicht zu kurz. In der jährlich stattfindenden Kunstwoche entstehen an den Wänden bemerkenswerte Malereien, Musik- und Gesangsunterricht sind im Lehrplan fest verankert und in Debattierklassen wird die aktive Auseinandersetzung mit (gesellschafts-)politischen Fragestellungen trainiert.
Wer also glaubt, dass der frühe Umgang mit digitalen Werkzeugen künstlerische und kommunikative Fähigkeiten verkümmern lässt, wird an dieser Schule eines Besseren belehrt. Das Erlernen von Soft Skills – unter anderem auch Kommunikation und Konfliktmanagement – ist wesentlicher Bestandteil des Lehrplans. Denn sie sind die Basis damit junge Menschen die Fähigkeit erlangen, kreativ und lösungsorientiert zu handeln und so flexibel und agil auf die Anforderungen einer digitalen Arbeitswelt zu reagieren. Beeindruckend zeigt sich in der Schule, wie es gelingt, auf die vielfältigen Talente der Schüler:innen einzugehen, sie zu fördern und weiterzuentwickeln.
Und ja, es gibt auch „digitalfreie“ Zonen an der Schule. Dort verbringen die Kleinen gemeinsam mit den Großen ihre Pausen. Hie und da auch ganz aktiv an einer selbst gebauten Kletterwand.
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