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Sparte Industrie

EU-Kommission Arbeitsprogramm 2026 – Mogelpackung oder mehr?

Informationen der Bundessparte Industrie

Lesedauer: 3 Minuten

30.10.2025

Die Ambition für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit ist weiterhin erkennbar, nicht jedoch die notwendige Zurückhaltung bei der Einführung neuer Regeln. 

Wie jedes Jahr hat auch heuer Mitte Oktober die Europäische Kommission ihre Schwerpunkte für nächstes Jahr vorgestellt. Dieses Arbeitsprogramm informiert die Öffentlichkeit sowie die Mitgesetzgeber über die politischen Verpflichtungen der Kommission – darunter die Vorlage neuer Initiativen, Vorschläge zur Vereinfachung, die Rücknahme noch anhängiger Vorhaben und die Überprüfung bestehender EU-Rechtsvorschriften.

Unter dem Titel „Der Moment der Unabhängigkeit Europas“ werden verschiedene Maßnahmen vorgestellt, die darauf abzielen, ein souveräneres und unabhängigeres Europa zu schaffen. Das Programm befasst sich mit aktuellen und zukünftigen Herausforderungen, die aus Bedrohungen für Sicherheit und Demokratie, aus Konflikten und geopolitischen Spannungen, aus Risiken für Wirtschaft und Industrie sowie aus der zunehmenden Beschleunigung des Klimawandels resultieren.

Im Bereich Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit sollen ein Industrial Accelerator Act zur Förderung der industriellen Dekarbonisierung, ein Zentrum für kritische Rohstoffe, das Gesetz über die Kreislaufwirtschaft und ein europäisches Innovationsgesetz nachhaltiges Wachstum fördern. In diesem Kapitel findet man auch weitere industriepolitisch relevant Dossiers, wie etwa die Überarbeitung des Governance-Rahmens der Energieunion, einen Aktionsplan zur Förderung der Elektrifizierung sowie die Anpassung der Erneuerbaren Energien-Richtlinie und Energieeffizienzrichtlinie an die „kommende Dekade“. Ebenso will man sich intensiv der Entwicklung der CO2-Infrastruktur und dem diesbezüglichen Markt widmen. Unter der Überschrift Verteidigung und Sicherheit stehen die Europäische Drohnenabwehrinitiative, der Schutz der Außengrenzen, die Bekämpfung organisierter Kriminalität sowie die Umsetzung des Migrations- und Asylpakets im Fokus. Das europäische Sozialmodell wird durch ein Qualitätsarbeitsgesetz, Maßnahmen zur fairen Arbeitskräftemobilität und zur Bekämpfung von Armut und Wohnungsknappheit gestärkt. Zur Verbesserung der Lebensqualität und der Umwelt plant die Kommission eine Tierhaltungsstrategie, eine Überprüfung der Lebensmittelhandelspraktiken, den Europäischen Anpassungsplan an den Klimawandel sowie ein Meeresgesetz. In den Bereichen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sollen demokratische Institutionen vor Extremismus und Desinformation geschützt, der Verbraucherschutz verbessert und neue Strategien zur Gleichstellung und Inklusion entwickelt werden. Schließlich stärkt die EU ihr globales Engagement, unterstützt die Ukraine beim Wiederaufbau, reformiert die humanitäre Hilfe für schnellere Krisenreaktionen und setzt auf neue Partnerschaften im Mittelmeerraum und Nahen Osten.

Im Rahmen ihrer Vereinfachungsagenda bekräftigt die EU-Kommission erneut das Ziel, bürokratische Hürden insgesamt um 25 % und speziell für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) um 35 % zu reduzieren. In diesem Zusammenhang plant sie eine Reihe weiterer Vereinfachungsvorschläge, insbesondere sogenannte Omnibuspakete, in verschiedenen Bereichen – darunter Automobilindustrie, Umwelt, Steuern, Lebens- und Futtermittelsicherheit sowie Energieprodukte – vorzulegen. Wie bereits in früheren Ankündigungen wird auch diesmal der Anspruch betont, Berichterstattungspflichten zu straffen und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.

Wirklich zu Buche schlagen allerdings nur zwei explizite Vereinfachungsvorschläge, im Bereich Energie und Steuern, wobei die EU bei zweiterem keine alleinige Kompetenz hat. Enttäuschend ist, dass sich die erklärte Absicht, auch den Bestand an noch nicht fertig verhandelten Vorschlägen aus vorherigen Legislaturperioden nach Überflüssigem und Obsoletem zu durchforsten, nicht in diesem Programm niedergeschlagen hat. So bleiben im Anhang 111 Vorschläge aus vergangenen Jahren und über alle Politikbereiche hinweg, die noch „abgearbeitet“ werden müssen – darunter etwa der Richtlinienvorschlag über Umweltaussagen über Produkte, der einen bürokratischen Prozess der Substantiierung, Zertifizierung und Verifizierung jeglicher Umweltaussagen (zB im Marketing) vorsieht. Ein Vorschlag für ein kompliziertes Verfahren zur Überwachung und Monitoring des Waldbestandes wurde nach Widerstand aus dem Europäischen Parlament zurückgezogen.

Gleichzeitig mit dem Arbeitsprogramm hat die Kommission auch ihren ersten Vereinfachungsbericht vorgestellt. Dieser zählt detailliert alle Maßnahmen auf, die bereits zur Entlastung der Unternehmen getroffen wurden. So sollen allein mit den vorgeschlagenen Vereinfachungen im ersten halben Jahr fast 9 Milliarden Euro an Bürokratiekosten eingespart werden. Dass drei Viertel der großteils durchaus sinnvollen Vorschläge noch nicht in Kraft sind, lässt die Kommission geflissentlich unerwähnt. Es heißt also abwarten, ob sich auch alle Vorschläge in der gewünschten Form materialisieren. Aktuelle Vereinfachungsvorschläge rund ums Thema Entwaldung haben sich nach Einschätzung der hauptbetroffenen Branchen jedoch als Mogelpackung herausgestellt, die manches sogar verkomplizieren. Und so ist es nicht überraschend, wenn mehr als 20 Staats- und Regierungschefs der Kommissionspräsidentin mit scharfen Worten vorwerfen, dass ein Jahr nach dem Bericht des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten und Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, praktisch nichts geschehen sei, um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie und Wirtschaft der Union zu stärken.

So bleibt zu hoffen, dass in den geplanten und turnusmäßig vorgesehenen Überarbeitungen diverser bestehender Rechtsakte, so zB das Emissionshandelssystem, Vereinfachungen und Verbesserungen durchgesetzt werden können. Die Bundessparte Industrie hat im Rahmen der EU Representation der WKÖ sowie der Interessenvertretung auf nationaler Ebene bereits eine ganze Reihe an konkreten Vereinfachungsideen erarbeitet und wird der Kommission und den politischen Institutionen der Europäischen Union auch im nächsten Jahr ganz genau auf die Finger schauen.

Autor:

Clemens Rosenmayr
E-Mail: clemens.rosenmayr@wko.at

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