„Europa muss in Zukunft eine neue Rolle finden“
Welche geopolitischen Herausforderungen auf die heimische Wirtschaft warten, skizziert Geopolitik-Experte Christian Kesberg.
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Donald Trump ist seit über 100 Tagen im Amt und holt permanent zu Rundumschlägen aus. War diese Entwicklung absehbar?
Christian Kesberg: Abgesehen vom imperialen Griff nach Kanada oder Grönland hat Trump nichts getan, was er nicht angekündigt hat. Weil aber europäische Vorstellungskraft vom Verhältnis zu den USA seit langem von Wunschdenken und Trittbrettfahrermentalität bestimmt wird, hat uns Geschwindigkeit und Radikalität des Umbruchs beim Sitzen auf den eigenen Händen überrascht.
Wie können wir diese Situation geopolitisch einordnen?
Seit einigen Jahren manövriert die Welt in eine Art geopolitische Rezession. Niemand führt oder gestaltet. Die USA haben sich als globale Ordnungsmacht verabschiedet, China ist wirtschaftlich angeschlagen, Russland ein Schurkenstaat, Europa schwach und uneinig. Autoritäre Regime erstarken und machtleere Räume sind Nährboden für neue Risiken, Konflikte und Kriege.
Gibt es eine Möglichkeit, wieder Brücken zwischen den USA und der EU zu schlagen?
Dass alles irgendwann wieder so werden könnte wie früher, ist ein hohles Versprechen der diversen Nationalpopulisten, die auf Verunsicherung und Ängste der Menschen setzen. Europa muss in der zukünftig auf Macht und nicht mehr auf Regeln basierten neuen imperialen Weltordnung neben den USA, China, Russland und vermutlich Indien eine neue Rolle als handlungsfähiger Akteur finden, um nicht geopolitisch endgültig irrelevant zu werden. Das erfordert einen Umbau der EU hin zu einer hierarchischen Neugestaltung europäischer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit einer gemeinsamen nuklearen Abschreckungskomponente und militärischer Führung ohne Einstimmigkeit.
Wie wirkt sich das Spannungsfeld USA-China auf Europa, letzlich auf Österreich, aus?
Während Trumps Wirtschaftspolitik die Leistungsfähigkeit der bisher dynamischsten Volkswirtschaft der Welt langfristig unterspült, setzen die Chinesen bisher statt auf schmerzhafte Reformen zur Ankurbelung des privaten Konsums auf den Export von Überkapazitäten. Der Rest der Welt steht damit vor einer Flut subventionierter chinesischer Waren, gepaart mit der Beschädigung der eigenen Exporte durch die US-Zollpolitik. Der gleichzeitige „Export“ von Störfaktoren durch die USA und China beschleunigt geoökonomische Fragmentierung, wird globales Wachstum dämpfen und beschert damit vielen Regierungen ein schmerzhaftes Rendezvous mit der Wirklichkeit. Der Kuchen wird für alle kleiner und muss nach neuen Prioritäten verteilt werden.
Trump drängt auf eine Lösung im Ukrainekrieg. Was heißt das für die österreichische Wirtschaft?
Auch wenn die USA die Ukraine unter den Bus werfen und damit ein seichter Waffenstillstand herbeigeführt wird, führt das nur zu einer optischen Korrektur des geopolitischen Lagebildes. Ohne echten Friedensvertrag mit robusten US-amerikanischen Sicherheitsgarantien, zu denen die Europäer nicht in der Lage sind, beginnt am Tag Eins nach dem Waffenstillstand mit hoher Wahrscheinlichkeit die Aufrüstung für die zweite Folge der Auseinandersetzung. Russland bleibt ein Schurkenstaat, der als „Gerade- noch-Weltmacht“ nur in einer Welt der Kriege und Konflikte relevant bleibt und vor allem darauf setzen muss, die EU als handlungsmächtigen Akteur auf der Weltbühne zu verhindern. Zusätzliche neue Chancen für heimische Betriebe in dieser Region werden sich unter diesen Rahmenbedingungen in Grenzen halten.
Wie steht es um die Stabilität internationaler Märkte?
Wir bewegen uns von einer global integrierten Weltwirtschaft in Richtung stark ökonomisch integrierter Großräume mit schwachen Austauschbeziehungen. Firmen müssen sich auf politische Instabilität, Polarisierung und soziale Konflikte in Heim-, Export- und Beschaffungsmärkten vorbereiten und vor allem lernen damit umzugehen, dass Nationalstaaten darauf setzen, durch handels- und industriepolitische Maßnahmen Abhängigkeiten abzuschichten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Claudia Blasi.