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Barbara Germann-Frener Sprecherin Fahrschulen
© WKV/Vrabl

„Führerschein-Causa und noch immer keine echte Lösung“

Führerschein. Seit Jahren kämpft Vorarlberg mit den höchsten Durchfallquoten Österreichs bei der praktischen Fahrprüfung. Daraus entwickelte sich die „Führerschein-Causa“, die die Öffentlichkeit, Politik, Verwaltung, Fahrschulen und das Prüfwesen gleichermaßen erschüttert. Fachgruppenobfrau Barbara Germann-Frener spricht im Interview über die Chronologie der Ereignisse, über strukturelle Probleme im Prüfwesen und darüber, warum trotz Krisenmodus viele der zugesagten Reformen bis heute nicht umgesetzt wurden.

Lesedauer: 5 Minuten

Aktualisiert am 27.11.2025

Frau Germann-Frener, beginnen wir mit der Chronologie: Seit wann gibt es die massiven Probleme bei den Durchfallquoten?
Die Situation begleitet uns seit rund fünf Jahren. In diesem Zeitraum lag Vorarlberg fast durchgehend an der Spitze der negativen Statistik. Teilweise hatten wir in etwa 50 Prozent Durchfallquote, bei einem österreichweiten Durchschnitt von rund 30 Prozent. Das ist völlig unverhältnismäßig.

Sie haben zunächst versucht, die Problematik gemeinsam mit der Verkehrsrechtsabteilung zu lösen.
Ja. Zwei Jahre lang haben wir Beispiele gesammelt, Auffälligkeiten dokumentiert und das Gespräch mit der Verkehrsrechtsabteilung gesucht. Doch Rückmeldungen blieben selten, Hinweise verliefen im Sand. Irgendwann hatten wir den Eindruck: Man will das Thema nicht wirklich anpacken.

Wann wurde die Politik eingeschaltet?
Ende 2022 fand das erste Gespräch statt, verbunden mit der Hoffnung, dass sich endlich etwas bewegt.

Gab es Bewegung?

Nur sehr begrenzt. Wir haben im Mai 2023 einen umfassenden Maßnahmenkatalog eingereicht. Alle Fahrschulen haben ihn unterzeichnet, es waren konstruktive Vorschläge. Doch wir haben mehrere Monate lang keine Antwort erhalten. Als sie kam, war der Tenor: „Die Prüfungsqualität darf nicht leiden.“ Aber hohe Durchfallquoten sind kein Qualitätsmerkmal – das ist ein Irrglaube. Im Frühjahr ist die Politik dann bei Prüfungsfahrten mitgefahren und konnte sich ein Bild machen. 

Dann entstand ein gemeinsames Fünf-Punkte-Programm…
Genau, im Sommer 2024. Dieses Programm sollte eigentlich mit 1. September umgesetzt werden, inklusive einer dreimonatigen Evaluierung. Doch eineinhalb Monate nach dem Starttermin war de facto nichts erfolgt. Ich musste mit der Fachabteilung wieder von vorne über Maßnahmen sprechen, die längst beschlossen waren.

Warum funktioniert die Umsetzung nicht?
Weil in der Verkehrsrechtsabteilung alles zusammenläuft: Prüferwesen und Fahrschulwesen. Prüfereinteilung, Qualitätskontrollen, Bewilligungen, Überprüfungen – das passiert dort in Personalunion. Das ist ein struktureller Interessenkonflikt. Kein Fahrschulinhaber kritisiert gern jene Stelle, die eine Woche später im eigenen Betrieb kontrollierend vor der Tür steht.

Hat sich daran bis heute etwas geändert?
Nein. Weder strukturell noch organisatorisch. Die Trennung dieser Bereiche wäre eine Grundvoraussetzung, um Vertrauen wiederherzustellen, aber das wurde bislang nicht in Angriff genommen. 

Dann platzte im Sommer 2025 die mediale Bombe. Wie haben Sie die Aufdeckungen erlebt?
Als völlig neuen Aspekt. Wir selbst hatten nie den Verdacht, dass es hinter den hohen Durchfallquoten möglicherweise weitere Unregelmäßigkeiten geben könnte. Für uns war stets klar: Die Prüfer werden vom Land eingeteilt, es handelt sich unter anderem um öffentlich Bedienstete. Dass ein Sachverständiger bis zu 50.000 Euro zusätzlich zu seinem normalen Beruf verdient, haben wir so nicht geahnt.  

Welche unmittelbaren Folgen hatte die mediale Berichterstattung?
Zunächst zog die Bundespolizei ihre zehn Prüfer ab - etwa ein Drittel der verfügbaren Sachverständigen. Gleichzeitig wurde seitens der Landesregierung ein Deckel für die verbleibenden Prüfer eingezogen, also eine Begrenzung ihrer Einsätze. Dadurch konnten unsere angemeldeten Prüfungstermine nicht mehr bedient werden. Im September hatten wir über 400 wartende Schüler:innen.

Wie kamen Sie aus dieser Situation heraus?
Wir haben erneut vorgeschlagen, Sachverständige aus anderen Bundesländern zu holen. Anfänglich ohne Resonanz. Schließlich haben uns Tirol und Salzburg mit zehn Prüfern unterstützt und tun dies nach wie vor. Damit konnten wir bis Ende Oktober wieder in den Normalbetrieb zurückkehren.

Interessant ist auch der Effekt auf die Durchfallquoten.

Ja, und das sagt sehr viel aus. Im dritten Quartal 2025 sind wir plötzlich auf 30 Prozent gefallen, also exakt im Österreichschnitt. Im September sogar auf 24 Prozent, österreichweit ein Bestwert. Innerhalb kürzester Zeit sind wir vom Schlusslicht zum Spitzenreiter geworden. Das widerlegt auch klar die Behauptung, das Problem liege in der Ausbildungsqulität, zumal wir bei der Theorieprüfung über Jahre schon die Besten sind.

Welche Auswirkungen hatte die jahrelange Situation auf die Branche?

Einen erheblichen Schaden für alle Beteiligten. Jeder negative Prüfungsversuch kostet die Schüler:innen Geld, manche wichen deshalb in andere Bundesländer aus. Für die Fahrschulen bedeutete das Umsatzeinbußen und einen massiven Imageschaden. Diese Entwicklung hat niemandem genutzt.

Hat sich Zusammenarbeit zwischen Fahrschulen und Prüfern verändert?
Früher gab es ein Grundvertrauen. Man konnte darauf hinweisen, wenn ein Schüler sich schwertat, und der Prüfer wählte eine realistische, aber nicht unnötig schwierige Route. Heute ist jeder Austausch verboten. Uns wurde schriftlich untersagt, überhaupt etwas zu sagen. Diese Zusammenarbeit existiert de facto nicht mehr. Wir waren nur noch Befehlsempfänger.

Sie sprechen strukturelle Probleme an. Was hätte die Politik aus Ihrer Sicht tun müssen?
Die Verwaltung ändert sich nicht von selbst. Es hätte eine klare politische Ansage gebraucht, denn Transparenz und Vergleichbarkeit sind politische Aufgaben. Andere Bundesländer führen Gespräche mit Prüfern, deren Durchfallsquoten aus der Reihe tanzen. 

Wäre das nicht eine sehr direkte politische Einflussnahme?

Das Argument wird oft gebracht. Aber es geht ja nicht darum, Ergebnisse vorzuschreiben, sondern Transparenz einzufordern. Die Abteilung kennt ihre Zahlen. Das Ministerium kennt die Zahlen. Nur im Land selbst ist niemand eingeschritten.

Warum?
Ich verstehe es nicht. Ein Politiker hätte sich mit diesem Thema profilieren können und sagen: „Ich setze mich für die Jugendlichen ein, für faire Chancen.“ 

Warum ist die Fahrschulinspektion so zentral?
Sie verantwortet Kontrolle und Beschwerdemanagement. Gesetzlich gehört sie zu den Bezirksverwaltungsbehörden, in sieben Bundesländern ist das längst so. Nur bei uns und im Burgenland nicht. Eine Rückführung zur Bezirkshauptmannschaft wäre aus unserer Sicht das Minimum, das passieren müsste.

Trotz der Ausschreibung neuer Prüfer sind Sie skeptisch?
Weil die Erwartungen und die Realität weit auseinanderliegen. Aus hundert Interessenten wurden rund dreißig zu einem Hearing eingeladen. Tatsächlich werden jetzt etwa zehn ausgebildet, und einer ist schon vor Beginn abgesprungen. Das ist viel zu wenig.

Sie haben vorgeschlagen, ehemalige Fahrschullehrer als Prüfer einzusetzen.
Ja, denn das Gesetz sieht ausdrücklich vor, dass sie Teile der Ausbildung überspringen können. Es wäre praxisnah, schnell und kostensparend. Trotzdem wurde unser Vorschlag abgelehnt.

Was wünschen Sie sich konkret von der Politik?

Eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe und die Bereitschaft, Probleme ernst zu nehmen. Es geht um junge Menschen, die den Führerschein oft für ihren Beruf brauchen, und für Branchen wie Transport und Logistik ist ein Lkw- oder Busführerschein existenziell. Das sind keine Luxusfragen, sondern Grundlagen beruflicher Zukunft.

Sie sprechen von einer gefährlichen Entwicklung.

Ja, denn wir haben zugelassen, dass einzelne Verwaltungsbereiche zu kleinen Königreichen geworden sind, geschützt durch Strukturen, die Veränderungen erschweren. Die Politik hat oft Angst einzugreifen, weil sie die Verwaltung nicht „verärgern“ will. Aber das kann nicht sein. Wir wünschen uns, dass die politischen Verantwortlichen ihre Abteilungen besser führen und kontrollieren. Wir haben eine lange Chronologie an Beschwerden, Vorschlägen und Warnungen, weit, bevor die Öffentlichkeit davon erfahren hat. Aber entscheidend ist die Zukunft.

Und die sieht für Sie wie aus?

Es braucht strukturelle Änderungen und personelle Konsequenzen. Die Verkehrsrechtsabteilung muss neu aufgestellt werden. Die Fahrschul-Agenden gehören zurück zu den Bezirksverwaltungsbehörden. Und Prüferwesen und Fahrschulaufsicht dürfen nicht länger in einer einzigen Abteilung – oder gar in einer Hand – vereint sein. Außerdem braucht es ein quartalsweises Monitoring der Durchfallquoten. So etwas darf nie wieder passieren. 

Ein letzter Blick nach vorne: Was erwarten Sie in den kommenden Monaten?
Dass die zugesagten Maßnahmen endlich umgesetzt werden. Die Momentaufnahme, in der wir dank externer Prüfer gute Quoten und Normalbetrieb haben, ist kein dauerhafter Zustand. Wenn wir eine nachhaltige Lösung wollen, dann nur über strukturelle Reformen. Die Fahrschulen sind bereit, konstruktiv mitzuwirken, aber wir erwarten einen politischen Willen, die nötigen Reformen auch zu realisieren.

Vielen Dank für das Gespräch!

Interview: Herbert Motter