„Ohne Wettbewerbsfähigkeit keine Zukunft und ohne Industrie kein Sozialstaat“
Im Interview spricht Industrie-Spartenobmann Markus Comploj offen über die kritische Lage des Wirtschaftsstandorts, über Chancen und Engpässe, über notwendige Reformen und darüber, warum Österreich Mut statt neuer Steuern braucht. Er erklärt, weshalb Leistungsbereitschaft, Innovationskraft und eine entschlossene Industriepolitik entscheidend für die Zukunft sind, und woher er persönlich die Energie und Motivation nimmt, sich in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu engagieren.
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Herr Comploj, wenn wir zuerst den Blick auf Europa werfen: Wo steht unser Wirtschaftsstandort im globalen Wettbewerb wirklich?
Wir müssen ehrlich sein: Europa verliert seit Jahren an Wettbewerbsfähigkeit. Zu hohe Energiepreise, eine ausufernde Regulierung und eine Bürokratie, die Betriebe im Alltag massiv belastet, schwächen uns im internationalen Vergleich. Vorarlberg zählt zu den wirtschaftlich stärksten Regionen Europas, dank eines ausgeprägten Unternehmergeistes, Innovationskraft und eines guten Miteinanders zwischen Betrieben, Politik, Verwaltung und Wirtschaftskammer. Doch diese Stärken geraten durch die schwache Konjunktur, den Verlust an preislicher Wettbewerbsfähigkeit und die wachsende Bürokratie zunehmend unter Druck.
Worin sehen Sie die größten Chancen und wo die größten Engpässe?
Vorarlberg ist gemessen an seiner Bevölkerungsgröße einer der stärksten Industriestandorte Europas. Die hohe Exportquote, die Innovationsfähigkeit unserer Unternehmen und die Qualität der beruflichen Ausbildung sind echte Standortvorteile. Gleichzeitig haben wir strukturelle Herausforderungen: Es fehlt an Fläche, an Energieinfrastruktur und an qualifizierten Fachkräften. Und auch bei uns nimmt die Bürokratie zu, teils in einem Ausmaß, das Betriebe schlicht überfordert. Unsere Region hat enormes Potenzial, aber sie stößt an Grenzen.
Gibt es dennoch Anlass für etwas Optimismus?
Die vergangenen eineinhalb Jahre waren zweifellos schwierig. Die Auftragseingänge waren sehr volatil, die Kostenbasis hoch und der private Konsum deutlich gedämpft. Das spüren viele Betriebe bis heute. Gleichzeitig erkennen wir aber erste Anzeichen einer Stabilisierung: Die Lagerbestände haben sich normalisiert, die Lieferketten funktionieren wieder und das Investitionsklima verbessert sich leicht. Aber klar ist auch: Ohne Planbarkeit bei Energiepreisen, ohne ausreichende Fachkräfte und ohne stabile Exportmärkte bleibt jeder Aufschwung fragil. Wir brauchen realistischen Optimismus und keinen Schönfärbeanstrich.
Österreich gilt als Hochkostenstandort. Was braucht es für eine spürbare Entlastung?
Keine neuen Steuern, in keiner Form. Wir haben kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem. Wir brauchen kurzfristige Kostenentlastungen, mittelfristige Strukturreformen und langfristig produktivitätssteigernde Investitionen in den Betrieben. Der Staatsanteil muss sinken, sonst verlieren wir international weiter an Boden.
Ein heiß diskutiertes Thema ist immer wieder die Arbeitszeit, insbesondere Teilzeit. Was braucht die Industrie?
Teilzeit ist für viele Menschen notwendig, das respektiere ich. Aber wir müssen den Leistungsgedanken bewahren. Jene, die bereits Vollzeit arbeiten, sollen nicht noch stärker belastet werden. Österreichs Wohlstand basiert auf Eigenverantwortung, Risikobereitschaft und der Bereitschaft, anzupacken. Wir dürfen nicht in eine Haltung abrutschen, in der alles vom Staat erwartet wird. Raus aus der Komfortzone. Das muss die Devise sein.
Immer öfter hört man, dass Unternehmen Probleme mit Grundkompetenzen von Schulabgängern haben. Wie groß ist dieses Thema wirklich?
Größer, als man glauben möchte. Betriebe berichten uns regelmäßig von Defiziten beim sinnerfassendem Lesen, Schreiben oder Rechnen. Das ist ein Alarmzeichen. Die Pflichtschulen müssen ihren Bildungsauftrag erfüllen, und zwar konsequent. Wir brauchen keine neuen Strukturen, sondern bessere Ergebnisse. Gute schulische Grundkompetenzen sind die Voraussetzung für jede Ausbildung, egal ob Lehre oder Studium.
Sie fordern mehr Leistungsanreize im Steuer- und Abgabensystem.
Steuerfreie Überstunden wären ein sinnvoller Anfang. Ebenso Anreize für längeres Arbeiten, etwa niedrigere Abgaben für ältere Fachkräfte, die freiwillig länger im Beruf bleiben. Leistung muss sich lohnen, das gilt für Unternehmer:innen wie für Beschäftigte. Wer mehr arbeitet, soll am Ende des Monats auch spürbar mehr in der Tasche haben.
Blicken wir nach vorne. Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen Maßnahmen, um Standort und Industrie zukunftsfähig zu halten?
Eine zukunftsorientierte Industriepolitik braucht fünf zentrale Schritte: eine Energiepolitik, die produzierende Unternehmen mit Planungssicherheit, wettbewerbsfähigen Preisen und verlässlicher Versorgung in den Mittelpunkt stellt; eine echte Entbürokratisierung mit Genehmigungsverfahren, die in Monaten statt in Jahren abgeschlossen werden; eine europäische Produktivitäts- und Innovationsoffensive, die Digitalisierung, Automatisierung und neue Technologien wie Physical AI aktiv vorantreibt; eine mutigere Wirtschaftspolitik, die Ermöglichen höher bewertet als Verhindern; sowie eine moderne Fachkräfte- und Ausbildungspolitik, die die Lehre stärkt, das Bildungssystem durchlässiger macht und qualifizierte Zuwanderung fördert. Ohne Industrie gibt es keine Wertschöpfung, und ohne Wertschöpfung keinen Sozialstaat.
Stichwort Energie: Ist die Energietransformation eher Chance oder Risiko?
Beides. Die ökologische Transformation ist unvermeidbar und richtig, aber sie muss mit den Prinzipien der Wettbewerbsfähigkeit vereinbar sein. Versorgungssicherheit, Planbarkeit und Kosteneffizienz dürfen nicht zugunsten symbolpolitischer Maßnahmen geopfert werden. Ein Standort kann nur dann klimaneutral werden, wenn er wirtschaftlich stabil ist. Transformation ohne Wettbewerbsfähigkeit endet in Deindustrialisierung, das kann niemand wollen.
Wenn Sie einen Wunsch an die Bundesregierung frei hätten – welchen?
Mut. Mut zu echten Strukturreformen, Mut zum Bürokratieabbau, Mut zu Kostensenkungen, Mut zu Entscheidungen. Wir dürfen keine Angst vor Fehlern entwickeln, sonst passiert gar nichts. Die Politik muss Unternehmen mehr Vertrauen entgegenbringen, und wir als Unternehmer:innen müssen wieder stärker zeigen, dass wir Verantwortung übernehmen und gestalten wollen. Vorarlberg hat alle Voraussetzungen, eines der stärksten Industrieländer Europas zu bleiben. Uns fehlen nicht Ideen oder Talente, uns fehlt manchmal das Tempo, die Entschlossenheit, die großen Hebel jetzt anzupacken.
Woher nehmen Sie als Familienmensch, Vater, Vereinsmensch, Funktionär und Gemeindemandatar Ihre Motivation?
Meine Motivation mich zu engagieren oder dementsprechende Leistungen zu bringen, rührt daher, dass ich die Welt um mich herum im positiven Sinn weiterentwickeln und besser hinterlassen möchte, als ich sie vorgefunden habe. Einerseits, weil es mir Spaß macht und andererseits, weil es mich als Wissensmensch interessiert.
Und wo holt ein Markus Comploj die Kraft dazu?
Ich hole sie in der Familie und in der Natur, ich bin ein Bewegungstyp. Im Sommer jogge ich, fahre Rad, wandere und fahre Ski im Winter. Eine Leidenschaft von mir ist die Jagd, bei der ich vor allem den Umstand in der Natur zu sein und die Ruhe genieße.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch führte Herbert Motter