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Trendforscher und Unternehmer Dr. Marc Schumacher sprach im
© Frederick Sams

„Wir sind bereits überdigitalisiert“

„Die Renaissance des Physischen“: Zwischen KI, Algorithmen und Dauervernetzung erinnert Marketingexperte Marc Schumacher daran, was uns Menschen wirklich ausmacht: Begegnung, Sinnlichkeit und Gemeinschaft. Im Interview erklärt er, warum der physische Raum gerade jetzt ein Comeback erlebt – und wie Marken darauf reagieren sollten.

Lesedauer: 2 Minuten

Aktualisiert am 07.11.2025

Herr Schumacher, Sie sind international als Unternehmer und Marketingexperte tätig – wie würden Sie Ihre Mission in einem Satz beschreiben?

Decoding Cultural Change – das bedeutet den Zeitgeist immer zu kennen und dafür zu sensibilisieren, dass Unternehmer und Manager sich über eine wichtige Erfolgsdisziplin der Zukunft bewusst werden müssen: Kulturelle Intelligenz.

Was fasziniert Sie persönlich an der Verbindung zwischen Marken, Menschen und Räumen?

Wir alle sind auf einem 30.000 Jahre alten biologischen Quellcode (DNA) unterwegs. Nur weil wir seit zwei Dekaden massive Technologie in unser Leben gelassen haben, haben wir uns als Menschen mit unseren fundamentalen Bedürfnissen nicht verändert. Wir brauchen die Begegnung und den analogen Live-Kontakt, um zu überleben.

Ihr Vortrag beim Vorarlberger Handelstag trug den Titel „Die Renaissance des Physischen“. Warum glauben Sie, dass gerade jetzt der analoge Kontakt wieder an Bedeutung gewinnt?

Wir sind bereits überdigitalisiert. Es ist zu viel geworden und bestimmte Entwicklungen sind ja noch gar nicht vollständig wirksam, zum Beispiel KI, Agenten, GEN AI, Robotic etc. - das wird ja jetzt erst nochmal richtig verrückt. Die Leute suchen den Ausgleich. Die Technologie wird nicht weniger, nicht dass ich hier falsch verstanden werde – aber die Menschen suchen bewusst die „Digitale Pause“. Das ist gut und wichtig.

Viele Unternehmen investieren massiv in digitale Kanäle – steht das nicht im Widerspruch zu Ihrer These?

Gar nicht. Natürlich wird Technologie zunehmen, aber die Balance im Management der Kanäle wird wichtig sein. Es gibt auch massive Investitionen in analoge Live-Kontakte, sowohl von Unternehmen als auch von Konsumenten durch ihre täglichen Kaufentscheidungen. Stichwort Erlebnis-Ökonomie.

Ist es genau das, was den „physischen Raum“ im Handel der Zukunft so wertvoll macht?

Der physische Raum wird auf lange, lange Zeit Wettbewerbsvorteile haben, die der digitale Raum nicht wird herstellen können. Insbesondere die Dimensionen Multisensualität, künstliche Limitation, Einzigartigkeit, Status und Begegnungsqualität kann nur der physische Raum leisten und liefern, wie die Menschen es brauchen.  

Kommen wir zu den Kundenerwartungen an den stationären Handel – Stichwort Erlebnis, Authentizität, Community...

Insgesamt gibt es eine Anspruchsinflation, das heißt die Erwartungshaltung an Brand, Product und Service Experience explodiert, da viele Tools und Plattformen wie Spotify, Netflix, Amazon etc. das Niveau für immer verschoben haben. Alles ist heute cool, seamless und schnell. Der Zeitgeist frisst den Handel, wenn dieser sich nicht massiv bewegt.

Das heißt, neue Technologien – etwa KI, AR oder Sensorik – spielen künftig im stationären Handel eine noch stärkere Rolle. Wird sie den physischen Kontakt verstärken oder ersetzen?

Ich denke, insbesondere KI hat die Chance Retail massiv zu rationalisieren und auch zu automatisieren. Technologieeinsatz im physischen Raum sehe ich aber eher kritisch. Technologie wird so sehr omnipräsent sein im Leben der Menschen, dass es Räume und Anlässe braucht, die dadurch besonders und exklusiv sind, dass sie frei von Technologie sind. Eine große Chance für Stores. 

Wie sehen Sie die Zukunft des klassischen Einzelhandels in den nächsten zehn Jahren?

Wenn wir gewillt sind anzuerkennen, dass niemand mehr für einen wiederkehrenden Bedarfskauf in den klassischen Handel geht – dann werden die nächsten zehn Jahre großartig. Auch der Begriff „Fachhandel“ ist ein Zeichen von falschem Selbstverständnis. Der Store muss viel mehr ein Ort voller Identität und Community Management sein. Das werden die Kompetenzdimensionen der Zukunft – nicht unbedingt das Sortiment.


Zur Person: 

Dr. Marc Schumacher

Founder SILENT KNOWLEDGE Institute

www.marcschumacher.com