
Selbst ausbilden und Zukunft sichern
Die Lehrlingsausbildung ist ein Fundament unserer Wirtschaft und sichert den Betrieben qualifizierte Mitarbeiter. Die Wirtschaftskammer Wien will nun noch mehr Betriebe dafür gewinnen.
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Im Bild: Thomas Löwy, Geschäftsführer Grünwert, und Landschaftsgärtner Lehrling Patrick Veigel
Die Zeiten waren schon einmal besser für die Wirtschaft. Die Konjunktur holpert, globale Unsicherheiten machen Prognosen und Planungen schwierig. Der Fachkräftemangel bleibt trotzdem ein Thema. Wer qualifizierte Mitarbeitende sucht, tut sich auf dem Arbeitsmarkt oft schwer. Der beste Weg ist also, sie selbst auszubilden. Dass Wiens Unternehmen diese Botschaft verstanden haben, zeigen die aktuellen Lehrlingszahlen. Diese sind in den vergangenen zwei Jahren kontinuierlich gestiegen und liegen heute deutlich höher als 2019, vor der Corona-Pandemie. Als einziges Bundesland schaffte es Wien auch in den vergangenen Monaten, trotz schwieriger Wirtschaftslage seine Lehrlingszahlen zu steigern. Ende Mai bildeten die Wiener Unternehmen 13.988 Fachkräfte aus, ein Plus von 0,5 Prozent zu Mai 2024. Gegenüber 2019 beträgt der Zuwachs an Nachwuchskräften in den Betrieben sogar neun Prozent. Eine Tendenz, die weiter verstärkt werden muss, wenn die Wiener Unternehmen für künftige Erfolge gerüstet sein wollen. Daher ist es das Ziel der WK Wien, noch mehr Unternehmen von den Vorteilen der Ausbildung im eigenen Haus zu überzeugen. Besonders die Branchenvertretungen arbeiten daran, hängt an der Verfügbarkeit von genügend qualifizierten Fachkräften doch ihr künftiger Erfolg.
Lehrlinge auszubilden, braucht Engagement und Ressourcen, ist aber eine Investition, die sich unterm Strich rechnet. Diese Botschaft gilt es, verstärkt zu den Betrieben zu bringen – und sie auch in der Ausbildungsarbeit zu unterstützen und zu bestärken.
Walter Ruck
Präsident der Wirtschaftskammer Wien
Neuer Lehrberuf „Klimagärtner” für eine nachhaltige Zukunft
Qualifizierte Fachkräfte braucht es auch in der Grünraumgestaltung, sind Wiens Gartengestalter doch „die grünen Baumeister klimafitter Städte“, wie Herbert Eipeldauer, Innungsmeister der Wiener Gärtner und Floristen, zu sagen pflegt. Lehrbetriebe gebe es in seiner Branche zwar genügend. Dies ist auch den zahlreichen Initiativen der Wiener Landesinnung der Gärtner und Floristen zu verdanken. Dabei stehen vor allem Green Jobs im Fokus, die den Unternehmen neue Betätigungsbereiche eröffnen. „Der neue Lehrberuf Klimagärtner spielt eine entscheidende Rolle in der nachhaltigen Stadtentwicklung und der Anpassung an klimatische Veränderungen. Seitens der Lehrbetriebe besteht Interesse“, so Eipeldauer. Die notwendigen Kurse um ausbilden zu dürfen, biete die Innung dafür an. Denn in Zeiten des Fachkräftemangels brauche es Lehrlinge und Zukunftsfachkräfte. „Im Bereich Floristik gibt es genügend Lehrlinge, bei der Gartengestaltung werden in Wien noch Lehrlinge gesucht“, ergänzt er.
Mit Lehre berufliche Karriere starten
Der Garten- und Landschaftsbaubetrieb Grünwert betreut derzeit zwei Lehrlinge und ist offen für weitere Bewerbungen als Landschafts- oder Klimagärtner. Geschäftsführer Thomas Löwy erläutert: „Wir bilden Lehrlinge aus – in der Hoffnung, dass sie nach ihrer Ausbildung gut vorbereitet in unserem Betrieb ihre berufliche Karriere starten. Wir sind überzeugt, dass dieser Weg dazu beiträgt, wertvolle Mitarbeiter für unser Unternehmen zu gewinnen.“ Löwy sieht den neuen Lehrberuf Klimagärtner nicht nur als große Chance für den Berufsstand, sondern als zentrale Möglichkeit, die Stadtentwicklung zukunftsfähig zu gestalten, denn „ohne qualifizierte Fachkräfte, die die ökologischen Anforderungen in der Praxis umsetzen können, werden viele der ambitionierten Projekte nicht realisierbar sein. Ich sehe den Begriff Klimagärtner als Weckruf – als Einladung an junge Menschen, Teil der Lösung zu werden.“ Im Garten- und Landschaftsbau brauche es seitens der Mitarbeitenden jedoch mehr als bloße Bereitschaft – es brauche Leidenschaft und den Willen, mit Natur und Technik etwas Nachhaltiges zu gestalten. „Wer neugierig, belastbar, teamfähig und offen für Neues ist, findet im Beruf des Landschafts- oder Klimagärtners nicht nur einen Arbeitsplatz – sondern eine sinnstiftende und zukunftsorientierte Aufgabe“, so Löwy.
Frische Perspektiven für Wiener Unternehmen
Den Fokus auf Zukunft legt auch BMW Wien. „Als größter Handelsbetrieb der BMW Group in Österreich sehen wir es als unsere Verantwortung, junge Talente gezielt zu fördern. Derzeit absolvieren rund 52 Lehrlinge ihre Ausbildung an unserem Standort – mit erfreulich wachsendem Anteil an jungen Frauen. Wir investieren bewusst in die Lehre, weil qualifizierte Fachkräfte nicht nur unsere Zukunft sichern, sondern auch frische Perspektiven ins Unternehmen bringen“, sagt Geschäftsführer Josef Reiter.
Friseure: Mehr Spielraum für Betriebe
„Die Lehre ist der beste Weg, um unseren Beruf von der Pike auf zu erlernen“, betont die neue Wiener Innungsmeisterin der Friseure, Gülten Karagöz. Aber auch wenn der Friseurberuf immer noch einer der beliebtesten Lehrberufe bei jungen Frauen ist, werde die Nachwuchsarbeit in der Branche in den letzten Jahren schwieriger. Eine Hürde dabei ist der Umstand, dass mittlerweile 60 Prozent aller Wiener Innungsmitglieder Ein-Personen-Unternehmen sind. Viele davon sehen sich mangels Ressourcen außerstande, Nachwuchs auszubilden. Gerade für kleinere Betriebe ist der Blockunterricht an der Berufsschule ein weiteres Problem, da die Auszubildenden wochenlang im Betrieb fehlen. Karagöz kann hier einen Erfolg vermelden: „Ab Herbst 2025 gibt es wieder Jahresunterricht. Das verschafft den Betrieben mehr Flexibilität.“ Die Innung arbeite außerdem gerade an einem Paket für Lehrbetriebe. Generell brauchen diese mehr Spielraum – etwa mehr Möglichkeiten zur Auflösung von Lehrverträgen, wenn nach der Probezeit schwerwiegende Probleme auftreten. Auch sollten Fördergelder von der überbetrieblichen Ausbildung zu den Lehrbetrieben umgeleitet werden, sagt Karagöz, „um die Jugendlichen in die Betriebe zu holen, wo sie eine praxisnahe Ausbildung erhalten und von Anfang an den Berufsalltag kennenlernen.“
Betriebsinternes Wissen sichern
Auch für Rüdiger Linhart, Berufsgruppensprecher IT der Fachgruppe UBIT (Unternehmensberatung und Informationstechnologie), ist die Lehre ein essenzieller Weg, um den Fachkräftemangel in der Branche in den Griff zu bekommen. „Lehrlinge in der IT sind eine tolle Ergänzung im Unternehmen. Man erfährt die Sichtweise der Einsteigerinnen und Einsteiger und kann den Nachwuchs selbst ausbilden“, so Linhart, der alleine für die IT in Wien einen Fachkräftebedarf von 6000 Personen konstatiert. „Die Lehre ist vor allem für das betriebsinterne Wissen von Vorteil, da Lehrlinge bis zu vier Jahre im Unternehmen ausgebildet werden und immer mehr Aufgaben selbst übernehmen können.“ Die Lehre habe aber, so Linhart, in der Stadt nicht den Ruf, den sie verdient. „Auch trauen sich vor allem kleinere Betriebe die Lehrlingsausbildung oft nicht zu und scheuen vor der Verantwortung zurück. Hier haben wir Infos erarbeitet. Der Weg zum Ausbilder ist einfacher als man denkt.“ Weiters unterstütze die UBIT in Wien „Role Models“. „Das sind kleine Betriebe, die wir beim Weg in die Ausbildungstätigkeit unterstützen und begleiten.“

Ein weiteres Thema bei kleinen Ausbildungsbetrieben sei die Aufsichtspflicht bei Jugendlichen unter 18 Jahren. „Oftmals ist es auch die Angst, dass man als kleiner Betrieb nicht die Breite der Ausbildung abdecken kann“, so Linhart. Hier könnte man über Unterstützungsmaßnahmen und die verstärkte Möglichkeit des „Lehrlingsaustauschs“ zwischen Betrieben nachdenken, um die Ausbildung als Team durchzuführen, ist Linhart überzeugt: „Eine begleitende Unterstützung für die Betriebe – sowohl in personeller als auch in finanzieller Hinsicht – würde die Rahmenbedingungen deutlich verbessern.“
Investition in die Zukunft
Bessere Rahmenbedingungen für Lehrbetriebe fordert auch die WK Wien, etwa eine finanzielle Entlastung, mehr Förderungen bei Übernahme von Lehrlingen aus überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen und weniger Meldepflichten für Lehrlinge. Dies könne helfen, mehr Betriebe für die duale Ausbildung zu gewinnen, betont Walter Ruck, Präsident der WK Wien. „Lehrlinge auszubilden, braucht Engagement und Ressourcen, ist aber eine Investition, die sich unterm Strich rechnet. Diese Botschaft gilt es, verstärkt zu den Betrieben zu bringen – und sie auch in der Ausbildungsarbeit zu unterstützen und zu bestärken.“ Es sei wichtig, auch den arrivierten Lehrbetrieben Beistand zu leisten, denn Kontinuität ist das Um und Auf. Ruck: „Die Ausbildung qualifizierter Mitarbeiter geht nicht von heute auf morgen. Deshalb ist die Lehre als Vorsorge für morgen zu sehen. Alle, die Lehrlinge ausbilden, investieren klug in die Zukunft und stärken damit auch den Wirtschaftsstandort.“ Und Ruck weist darauf hin, dass Lehrbetriebe auch eine wichtige gesellschaftliche Funktion erfüllen. „Junge Menschen erhalten mit der Lehre eine Top-Berufsausbildung mit hoher Jobgarantie und exzellenten Karrierechancen, die ihnen viele Türen öffnet.“
Gute Nachwuchsarbeit sichtbar machen
- Gütesiegel Top-Lehrbetrieb
Die Auszeichnung Gütesiegel Top Lehrbetriebe wurde von WK Wien, Stadt Wien und anderen Wiener Sozialpartnern geschaffen, um Betriebe für hervorragende Nachwuchsarbeit zu honorieren. Nach der Bewerbung wird überprüft, ob die Unternehmen die Kriterien erfüllen. Aktuell tragen rund 200 Wiener Ausbildungsstandorte das Gütesiegel. Es gilt für jeweils vier Jahre. - Staatspreis Lehrbetriebe
Im Zweijahres-Rhythmus vergibt das Wirtschaftsministerium den Staatspreis „Beste Lehrbetriebe – Fit for Future“. Ziel ist, die hervorragenden Leistungen der heimischen Ausbildungsunternehmen und ihre Vorbildwirkung zu unterstreichen. Der Preis fungiert auch als wichtiger Impulsgeber und als Forum für Best Practices in der Lehrlingsausbildung. - Lehrlings- und Berufswettbewerbe
Viele Branchen führen regelmäßig Lehrlingswettbewerbe durch und geben so besonders motivierten und qualifizierten Lehrlingen die Möglichkeit, sich mit anderen zu messen und das eigene Können zu präsentieren. Außerdem können sie so auf die Bedeutung der Nachwuchsarbeit in den eigenen Reihen und in der Öffentlichkeit aufmerksam machen. Dasselbe Ziel haben die vom Verein Skills Austria organisierten Berufswettbewerbe auf nationaler und internationaler Ebene, wie Austrian Skills, Euro Skills und World Skills. Die Skills-Bewerbe fokussieren auf fertige Jungfachkräfte, wobei ein hoher Prozentsatz der Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Lehre absolviert hat und so für das heimische Erfolgsmodell der dualen Ausbildung steht.