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Antidumpingverfahren

Was versteht man unter „Dumping“? Wie läuft das Verfahren ab?

Lesedauer: 6 Minuten

Antidumpingmaßnahmen sind, ebenso wie Antisubventionsmaßnahmen, Instrumente, um Schaden von der erzeugenden europäischen Industrie abzuwehren, der durch Importe aus Drittstaaten unter Anwendung unerlaubter Mittel oder unfairer Handelspraktiken unmittelbar droht oder bereits hervorgerufen wurde.

Gemeinsam mit Schutzmaßnahmen (Safeguards) bilden sie die Handelspolitischen Schutzmaßnahmen der EU.
Ziel ist, durch Einhebung von Zuschlagszöllen faire Wettbewerbsbedingungen wiederherzustellen; Antidumping- und Antisubventionszölle (Ausgleichszölle) kommen immer zusätzlich zu den regulären Einfuhrzöllen zur Anwendung und können eine beträchtliche Höhe erreichen.

Die Antidumpinguntersuchung wird von der Europäischen Kommission durchgeführt, die auch die entsprechenden Maßnahmen vorschlägt.

Rechtsgrundlage

Verordnung 2016/1036 (kodifizierte/konsolidierte Fassung)

Die EU-Antidumpingverordnung basiert selbst wiederum auf dem WTO-Antidumping Agreement.

Was versteht man unter „Dumping“?

Dumping liegt vor, wenn der Ausfuhrpreis einer Ware in die EU niedriger ist als der vergleichbare Preis einer gleichartigen Ware bei Verkäufen im normalen Handelsverkehr auf dem Heimmarkt des Herstellers (sog. Normalwert).

Billiglieferungen allein, die beispielsweise durch niedrigere Kosten und/oder höhere Produktivität veranlasst sind, stellen damit noch nicht zwingend Dumping dar. Relevant ist nicht das Verhältnis des Ausfuhrpreises zum EU-Marktpreis, sondern zum Normalwert.

Der Normalwert kann in bestimmten besonderen Situation auch rechnerisch ermittelt werden, wenn beispielsweise die Ware im Ausfuhrland nicht oder nur in unzureichenden Mengen verkauft wird oder sonst kein angemessener Heimmarktpreis vorliegt (Beispiel: Monopolbetrieb).

Auch bei Einfuhren aus WTO-Ländern, bei denen die Inlandspreise und -kosten (einschließlich Rohstoff- und Energiekosten) aufgrund von erheblicher staatlicher Einflussnahme nennenswert verzerrt sind, ist anstelle jedes verzerrten Preis- und Kostenfaktors ein unverzerrter Faktor der Normalwertberechnung rechnerisch zugrunde zu legen. als unverzerrter Faktor können entsprechende Herstell- und Verkaufskosten in einem geeigneten repräsentativen Land mit einem dem Ausfuhrland ähnlichen wirtschaftlichen Entwicklungsland oder internationale Preise, Kosten, Benchmarks verwendet werden.

Als Beweis für das Vorliegen von nennenswerten Verzerrungen können Länderberichte der Europäischen Kommission verwendet werden; ein solcher Länderbericht liegt für China vor.

Die Dumpingspanne ist daher der Betrag, um den der Normalwert den Preis übersteigt, zu dem die Ware in die EU geliefert wird (Ausfuhrpreis).
Der Ausfuhrpreis ist der tatsächlich gezahlte oder zu zahlende Preis der in die EU verkauften Ware.

Der Vergleich zwischen Normalwert und Ausfuhrpreis hat auf derselben Handelsstufe und basierend auf möglichst zeitnahen Transaktionen zu erfolgen.
Unterschiede werden durch Berichtigungen rechnerisch ausgeglichen.

Voraussetzungen für Antidumpingmaßnahmen (müssen kumulativ erfüllt sein):

  • Vorliegen von Dumping (siehe oben)
  • Vorliegen/Drohen einer bedeutenden Schädigung eines Wirtschaftszweiges der EU (siehe unten)
  • Kausalzusammenhang zwischen Dumping und Schädigung
  • Vorliegen von Gemeinschaftsinteresse (siehe unten)

Was ist unter Schädigung zu verstehen?

Die Feststellung einer vorliegenden oder drohenden bedeutenden Schädigung eines EU-Wirtschaftszweiges trifft die Europäische Kommission auf Basis vorzulegender Nachweise unter Prüfung des Volumens und der Entwicklung gedumpter Einfuhren, deren Auswirkung auf die Marktpreise und der Gesamtauswirkung dieser Einfuhren auf die betroffene Branche: Produktionsentwicklung, Kapazitätsauslastung, Verkäufe, Marktanteil, Lagerstand, Preisentwicklung, Gewinn/Verlust, Cash Flow, Beschäftigung etc. Zu diesem Zweck berechnet die Europäische Kommission eine "Schädigungsspanne", die die tatsächliche Schädigung des betroffenen Wirtschaftszweiges durch die gedumpten Einfuhren widerspiegelt. Dabei findet ein Zielgewinn des europäischen Wirtschaftszweigs von mindestens 6%, unter Umständen auch höher, in die Berechnungen Eingang. Bei der Festlegung des Zielpreises werden die tatsächlichen Herstellungskosten oder auch künftiger Ausgaben zur Erreichung von Vorgaben Multilateraler Umweltübereinkünfte berücksichtigt.

Gemeinschaftsinteresse

Die Einführung eines Antidumpingzolls muss gesamthaft im EU-Interesse liegen.
Die Europäische Kommission führt eine Interessensabwägung durch, bei der beurteilt wird, ob die Interessen der klagenden Erzeuger an der Verhängung von Antidumpingzöllen höher zu bewerten sind als die Nachteile, die den industriell/gewerblichen Verarbeitern oder Importeuren durch die Einführung des Antidumpingzolls erwachsen.

Antidumpingklage

Das Antidumpingverfahren ist in der Regel ein Antragsverfahren; die Europäische Kommission kann aber auch amtswegig tätig werden. In letzterem Fall ist die europäische Industrie aufgefordert (nicht verpflichtet), am Verfahren mitzuwirken. Die Klage ist bei der Europäischen Kommission einzubringen.
Die Antragstellung erfolgt nicht durch einen EU-Mitgliedstaat, sondern in der Regel durch EU-Hersteller selbst. Dies können ein oder mehrere EU-Hersteller, eine von diesen gebildete Ad hoc-Arbeitsgruppe, ein von den Herstellern beauftragter Rechtsanwalt oder ein europäischer Branchenverband sein. Gewerkschaften können Klagen nur gemeinsam mit der Wirtschaft einbringen.
Voraussetzung ist eine ausreichende Repräsentanz der Beschwerdeführer in der EU:

  • die Antragsteller decken mindestens 50% des EU-Produktionsvolumens gleichartiger Waren ab oder
  • die Antragsteller repräsentieren mindestens 25 % der EU-Produktion, aber es gibt keine namhafte Verfahrensablehnung durch andere EU-Hersteller.

Inhalt der Klage:

  • Produktdefinition („like product“) und -beschreibung
  • Benennung der betroffenen Importländer (Drittstaaten)
  • Nachweise des Vorliegens von Dumping, Dumpingberechnungen für einen Zeitraum von 12 Monaten („Investigation period“)
  • Detaillierte Nachweise der erlittenen/drohenden Schädigung über 4 Jahre, konsolidiert für alle Antragsteller
  • Angaben über den Kausalzusammenhang zwischen den gedumpten Importen und der Schädigung

Die Klage ist in einer vertraulichen Fassung (für die Europäische Kommission) und in einer nicht vertraulichen Fassung (für die Mitgliedstaaten und die „interessierten Parteien“) vorzulegen.

Wie läuft das Antidumpingverfahren ab?

  • Einleitung des Untersuchungsverfahrens
    Nach Einreichung der Klage bei der Europäischen Kommission und der Annahme durch diese binnen max. 45 Tagen wird das Untersuchungsverfahren offiziell durch eine Veröffentlichung um EU-Amtsblatt eingeleitet. Es wird die verfahrensgegenständliche Ware umschrieben und das/die betroffenen Drittstaaten definiert. In der Bekanntmachung werden alle EU-Betroffenen – Hersteller, Verarbeiter/Verwender, Importeure – aufgefordert, sich innerhalb einer kurzen Frist von etwa 15 Tagen bei der Europäischen Kommission zu melden und ihre Interessen direkt im EU-Verfahren zu vertreten („interested parties“); dies erfolgt in erster Linie durch Ausfüllen eines Fragebogens.

    Mit der Bekanntmachung der Einleitung des Untersuchungsverfahrens im EU-Amtsblatt beginnt der Fristenlauf für alle weiteren verfahrensrelevanten Schritte.

  • Vorläufige Antidumpingzölle
    Vorläufige Zölle können von der Europäischen Kommission im Normalfall 7 Monate, jedenfalls aber bis spätestens 8 Monate nach dem Tag der Veröffentlichung der Verfahrenseinleitung verhängt werden. Sie gelten für eine Dauer von vorerst 6 Monaten. Vorläufige Zölle werden immer als Sicherheit eingehoben.

    Die Europäische Kommission kann aber auch auf vorläufige Maßnahmen verzichten, die Untersuchungen für weitere 6 Monate fortsetzen und danach allenfalls gleich endgültige Zölle verhängen.
    Drei Wochen vor der geplanten Einführung von vorläufigen Zöllen erfolgt eine Vorinformation (Pre-Disclosure) durch die Europäische Kommission einerseits auf ihrer Website, andererseits auch direkt an die Verfahrensparteien, die ein begrenztes Recht zur Stellungnahmen haben.

    Während der dreiwöchigen Vorinformationsperiode werden zwar keine Antidumpingzölle eingehoben, aber alle Einfuhen zollamtlich erfasst, sodass im Falle von einem erheblichen Einfuhranstieg später rückwirkend Antidumpingzoll-Nacherhebungen auf diese Einfuhren angeordnet werden können.

    Rückwirkung
    Üblicherweise entfalten Antidumpingzölle ihre Wirkung auf Verzollungen, die dem Tag der Veröffentlichung der Maßnahme folgen.
    In Einzelfällen kann die Europäische Kommission aber schon in der Zeit VOR Bekanntgabe vorläufiger Zölle die zollamtliche Erfassung aller Einfuhren für eine Periode von 90 Tagen anordnen; diese zeitlich früheren Einfuhren können dann später nachträglich rückwirkend mit dem endgültigen Antidumpingzoll nachbelastet werden.

  • Endgültige Antidumpingzölle
    Bis spätestens 14 Monate ab Veröffentlichung der Verfahrenseinleitung können endgültige Zölle verhängt werden; diese gelten im Regelfall für 5 Jahre. Die EU-Mitgliedstaaten können einen solchen Vorschlag der Europäischen Kommission nur mit qualifizierter Mehrheit ablehnen.

    Endgültige Antidumpingzölle laufen mit Ablauf ihres Geltungszeitraums aus, außer es wurde zeitgerecht seitens der erzeugenden Wirtschaft ein Antrag auf Auslaufüberprüfung gestellt.

    Während der Dauer der Auslaufüberprüfung gelten die bisherigen Zölle grundsätzlich weiter. Diese werden aber (nach Antrag bei den nationalen Zollstellen) rückerstattet, wenn die Maßnahmen nach Durchführung der Auslaufüberprüfung nicht verlängert werden.

Wie werden Antidumpingzölle berechnet?

Die Höhe von Antidumpingzöllen wird von der Europäischen Kommission berechnet. 

Der Antidumpingzoll darf die Dumpingspanne nicht übersteigen. Der Regelfall ist, dass er aber auch niedriger sein kann als die Dumpingspanne, wenn ein niedrigerer Zoll ausreicht, die Schädigung durch gedumpte Einfuhren zu beseitigen („lesser duty rule“).

Mit der Verordnung (EU) 2018/825 wurde die Nicht-Anwendung der Lesser Duty Rule in Fällen von bestimmten Rohmaterialverzerrungen angeordnet: wenn mindestens 17% der Herstellungskosten der betroffenen Ware auf einen einzelnen Rohstoff inkl. Energie entfallen und dieser Rohstoff als "verzerrt" angesehen werden muss. Die Arten von Rohstoffverzerrungen sind beispielhaft beschrieben: Double Pricing, Ausfuhrabgaben, Ausfuhrquoten, Mindestausfuhrpeise, Domestic Market Obligations u.a. In diesen Fällen erfolgt die Antidumpingzollberechnung nach der Dumpingschwelle.

Der Antidumpingzoll kann gestaltet sein als

  • ad valorem Zoll: Prozentsatz des Nettopreises frei Grenze der EU, unverzoll
  • spezifischer Zoll: bestimmter Betrag pro Einheit (zB € 100 pro Tonne)
  • variabler Zoll: Minimum-Importpreis MIP (kein Antidumpingzoll für Produkte, die zu einem Preis eingeführt werden, die den MIP übersteigen)

Auf Antrag einzelner ausländischer Lieferanten kann die Europäische Kommission mit diesen Verpflichtungsvereinbarungen („Undertakings“) abschließen, worin Minimum-Importpreise für diesen Lieferanten vereinbart werden. Lieferungen im Rahmen solcher Verpflichtungen sind vom Antidumpingzoll befreit. Preisverpflichtungen werden streng kontrolliert.

Verpflichtungsvereinbarungen mit Lieferanten können von der Europäischen Kommission auch aus politischen "Erwägungen grundsätzlicher Art" abgelehnt werden.

Stand: 30.11.2023

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