Italien: Vorsicht bei der Belieferung der öffentlichen Hand in Italien
Vergleich der Kollektivverträge
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Italien Hochbau/Baustoffe Verkehrsinfrastruktur/Tiefbau Anlagenbau/Smart Factory Metalle/VerarbeitungDieser Artikel wurde mit freundlicher Unterstützung unserer unseres Vertrauensarbeitsrechtsexperten Dr. Joseph Tschöll von der Vertrauenskanzlei Kanzlei RST Service GmbH erstellt, wo man Ihnen für nähere Auskünfte gerne zur Verfügung steht.
Seit dem 1. Juli 2023 gelten in Italien für die öffentlichen Ausschreibungen, die mit dem GVD Nr. 36/2023 eingeführten Vergaberegeln, welche auch sehr viele Auflagen im Bereich des Arbeits- und Beitragsrechts enthalten. Während Wirtschaftsteilnehmer aus Italien noch einigermaßen mit der Materie vertraut sind, ist es für Unternehmen aus dem Ausland schon wesentlich schwieriger sich mit den Auflagen zurechtzufinden.
Ein Punkt, der immer wieder zu Zweifeln und Rechtsunsicherheit führt, ist die Entlohnung der Arbeitnehmer und der anzuwendende Kollektivvertrag. Der Gesetzgeber will hier Mindeststandards vorgeben, um Lohndumping zu vermeiden. Speziell ausländische Unternehmen tun sich dabei jedoch schwer die bei ihnen gültigen Regeln auf die in Italien geforderte Situation anzupassen, weil die wirtschaftlich-rechtlichen Ansprüche zumeist sehr unterschiedlich sind.
Anwendbarer Kollektivvertrag in der Ausschreibung
Der Kodex für das öffentliche Vergaberecht in Italien (GVD 36/2023) enthält im Artikel 11 die Grundsätze für die Anwendung der Kollektivverträge und für die Beitragskorrektheit, welche sowohl für die Vergabestellen als auch die Wirtschaftsteilnehmer gelten. Es gilt die Pflicht, für das Personal, welches in Arbeiten, Dienstleistungen und Lieferungen eingesetzt wird, die Gegenstand von öffentlichen Aufträgen oder Konzessionen sind, den gesamtstaatlichen und den territorialen Kollektivvertrag anzuwenden, die für den Bereich und die Zone gelten, in dem die Arbeitsleistungen erbracht werden, und die von den auf gesamtstaatlicher Ebene vergleichsweise vertretungsstärksten Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen unterzeichnet worden sind, sowie jenen Kollektivvertrag, dessen Anwendungsbereich eng mit der Tätigkeit verbunden ist, die Gegenstand des Auftrags oder der Konzession ist und auch vorwiegend von Unternehmen ausgeübt wird.
Aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vereinfachung der Ausschreibungen müssen daher die Vergabestellen bei den Ausschreibungen und Einladungen zu den Vergabeverfahren den Kollektivvertrag anführen, der für das Personal, welches beim Auftrag eingesetzt wird, anzuwenden ist. Die Entscheidung für den anzuwendenden Kollektivvertrag ist für die Vergabestellen zumeist technisch nicht ganz einfach, weil die Verfahrensverantwortlichen nicht unbedingt auch in den Feinheiten des Gewerkschaftsrechts bewandert sind. Die Wahl eines Kollektivvertrages mit tieferen Löhnen würde zwar höhere Abschläge auf die Ausschreibungssumme bedeuten (was formell der öffentlichen Verwaltung zugutekommen würde), könnte jedoch auch den sozialen Schutz der Arbeitnehmer gefährden und die Qualität der Leistungen bzw. der Arbeiten mindern.
Überprüfung der Gleichwertigkeit der Kollektivverträge
Aufgrund der verfassungsrechtlich garantierten gewerkschaftlichen Freiheit kann niemand gezwungen werden, einen bestimmten Kollektivvertrag anzuwenden. Daher sieht der Artikel 11, GVD 36/2023 die Möglichkeit vor, dass im Rahmen der Ausschreibung die Wirtschaftsteilnehmer in dem von ihnen abgegebenen Angebot den für ihre Mitarbeiter angewandten Kollektivvertrag anführen (er kann also unterschiedlich sein), sofern dieser den Arbeitnehmern denselben Schutz gewährt, wie jener, der von der Vergabestelle als anwendbar bestimmt wurde. Dazu ist eine entsprechende Verantwortlichkeitserklärung erforderlich, die dem Angebot beizulegen und von der Vergabestelle zu überprüfen ist, und zwar auf die ungewöhnlich niedrigen Angebote hin (Artikel 110 Vergabekodex, der Rechtfertigungen für geringere Tariflöhne oder Kosten für die Arbeitssicherheit nicht zulässt). Die Überprüfung erfolgt vor dem Zuschlag durch die Vergabestelle.
Die konkrete gesetzliche Grundlage für die Überprüfung der Gleichwertigkeit von Kollektivverträgen findet sich im Anhang I/01 des italienischen Vergabegesetzes.
Offizielle Klarstellungen zur Bewertung der Gleichwertigkeit
Die Zuständigkeit und die Überwachung zur Einhaltung dieser Regeln liegen in erster Linie bei der Vergabestelle selbst, aber auch bei den Aufsichtsbehörden Anac (Antikorruptionsbehörde – Autorità Nazionale Anticorruzione) und Nationales Arbeitsinspektorat (Ispettorato Nazionale del Lavoro). Beide Behörden haben diesbezüglich auch entsprechende operative Klarstellungen veröffentlicht.
Die Antikorruptionsbehörde Anac hat für die Vergabestellen eine Vorlage für die Ausschreibung oder Konzessionsvergabe nach dem Kriterium des wirtschaftlich vorteilhaftesten Angebots aufgrund des besten Verhältnisses Qualität/Preis, erstellt (bando tipo - 1/2023). Der Begleitbericht dazu enthält einige interessante Klarstellungen für die Anwendung der Kollektivverträge und die Verpflichtungen für die Wirtschaftsteilnehmer.
Laut Anac sind dabei sowohl die wirtschaftlichen als auch die rechtlichen Ansprüche für die Arbeitnehmer zu überprüfen und zu vergleichen.
Auch die Antikorruptionsbehörde ist sich dabei bewusst, dass ein Vergleich unterschiedlicher Kollektivverträge alles andere als einfach ist. Den Vergabestellen wird dabei angeraten diesbezüglich die Klarstellungen des Nationalen Arbeitsinspektorates (Rundschreiben 2/2020) zu verwenden.
Die Punkte, welche konkret zu vergleichen sind
Der erwähnte Anhang I/01 sieht bei der Entlohnung diesbezüglich fünf feste Lohnelemente vor, die zu vergleichen sind (linear dazu sind auch die Klarstellungen durch die Anac). An und für sich hätte ein Ministerialdekret, welches bereits für innerhalb März 2025 vorgesehen war, die entsprechenden Richtlinien für die Vergabebehörden festlegen sollen. Diese Durchführungsbestimmung ist allerdings derzeit noch ausständig.
In erster Linie ist für die Angemessenheit und den Vergleich die jährliche Bruttoentlohnung in den unterschiedlichen Kollektivverträgen zu ermitteln. Es gilt also nicht lediglich zu schauen, wie hoch die monatliche Bruttoentlohnung ist und wie viele feste Lohnelemente dort enthalten sind, sondern auch die Anzahl der zusätzlichen Monatsgehälter (13/14), die im jeweiligen Kollektivvertrag vorgesehen sind. Etwas wenig klar ist der Hinweis, dass auch die zusätzlichen Lohnaufschläge zu berücksichtigen sind, weil der Begriff doch sehr weitläufig ist.
Bei den rechtlichen Ansprüchen der Arbeitnehmer sind folgende 14 Parameter zu beachten bzw. zu vergleichen:
- Lohnzuschläge für Mehrarbeit;
- Elastizitätsklauseln bei Teilzeitarbeitsverhältnissen;
- Lohnzuschläge für Überstunden, wobei präzisiert wird, dass auch die rechtliche Regelung für die jährlich zulässige Anzahl der Überstunden zu prüfen ist;
- Berücksichtigung der vier abgeschafften Feiertage;
- Dauer der Probezeit;
- Dauer der Kündigungsfrist;
- Dauer der Frist für die Erhaltung des Arbeitsplatzes bei Krankheit und Unfall;
- Integration der Leistungen bei Krankheit und Unfall durch ein Lohnelement zulasten des Arbeitgebers;
- Integration der Leistungen und Zulagen bei Mutterschaft sowie Elternurlaub;
- Anzahl der bezahlten Freistellungen;
- Bestimmungen zu den Bilateralen Körperschaften;
- Meldepflichten gegenüber den Sozialversicherungsanstalten und der Bauarbeiterkasse sowie die Aus- und Weiterbildung im Bereich der Sicherheit am Arbeitspaltz;
- Zusatzrente;
- Zusatzkrankenversicherung.
Die Anac ist dabei der Auffassung, dass geringe Abweichungen (scostamenti marginali) zulässig sind und sich nicht auf die Gleichwertigkeit auswirken. Bei wesentlicheren Unterschieden werden zwei Abweichungen (auf die insgesamt 14 Parameter) toleriert.
Wie kompliziert ein Vergleich zwischen den möglichen rechtlichen Ansprüchen in den Kollektivverträgen ist, kann man dem zitierten Rundschreiben des Nationalen Arbeitsinspektorats entnehmen:
- es gibt unterschiedliche Funktionsebenen und selbst innerhalb derselben gibt es noch Abstufungen mit unterschiedlichen Tariflöhnen;
- eine unterschiedliche Anzahl von zusätzlichen Monatsgehältern hat auch negative Auswirkungen auf andere Punkte (Berechnung des Krankengeldes oder anderer Leistungen, der Kündigungsfrist usw.);
- die Dienstalterszulagen sind zumeist sehr unterschiedlich.
Die operativen Anleitungen durch Anac und Arbeitsinspektorat sind letzthin auch durch das italienische Ministerium für Infrastrukturen und Transport mittels Rechtsauskunft bestätigt worden.
Das Ministerium ist sich auch der fehlenden Durchführungsbestimmung durchaus bewusst und verweist darauf, dass bis zur Veröffentlichung desselben, die bereits von der Antikorruptionsbehörde Anac festgelegten Richtlinien weiterhin zur Anwendung kommen.
Abschließende Bemerkungen
Das italienische Arbeits- und Vergaberecht ist komplex und es bedarf immer einer Einzelfallbetrachtung, idealerweise im Vorfeld. Die Italienbüros der AUSSENWIRTSCHAFT AUSTRIA unterstützen österr. Unternehmen bei derartigen Konstellationen und Fallgestaltungen und stellen ggf. Kontakte zum Expertennetzwerk her.
Insbesondere bei Fragen zum Vergaberecht steht unsere Vergaberechtsexpertin Frau Ornella Di Benedetto in Rom gern zur Verfügung (E-Mail: rom@wko.at | Tel: +39 06 85305233). Das AußenwirtschaftsBüro Rom organisiert regelmäßig Webinare zum Thema.