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Sparte Industrie

BSI-Obmann Menz: Industrieproduktion in Europa hat Zukunft

Kommentar des Obmannes Mag. Sigi Menz

Lesedauer: 3 Minuten

30.09.2025

Die Äußerung des indischen Industriellen Rajiv Bajaj, die Industrieproduktion in Europa sei tot, hat für großes Aufsehen in Österreich gesorgt. Durch standortpolitische Maßnahmen kann die Politik einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass sich diese Aussage als ähnliche Fehleinschätzung herausstellen wird, wie frühere Prognosen einer angeblich unausweichlichen De-Industrialisierung.

Die industrielle Landschaft in Europa hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Nicht mehr der rauchende Schlot ist heute das zentrale Symbol der Industrie, sondern eine moderne, von Digitalisierung gekennzeichnete Produktion. Die enge Vernetzung mit Dienstleistungen hat den ursprünglichen Industriebegriff gesprengt und einen servo-industriellen Sektor geschaffen, dessen Kern aber weiterhin die effiziente, flexible und innovative Produktionstätigkeit ist. Einen Bedeutungsverlust hat die Industrie nur in jenen Ländern erfahren, wo eine kurzsichtige Wirtschaftspolitik die mühevolle Sorge um die Standortbedingungen für industrielle Tätigkeit vernachlässigt, oder bewusst den Übergang zu einer postindustriellen Wirtschaftsstruktur gefördert hat.

Diese Länder haben dafür einen hohen Preis gezahlt, in Form von makroökonomischer Instabilität und – wie immer mehr zu erkennen ist – sozialen Problemen aufgrund des Wegfalls der überdurchschnittlich bezahlten und identitätsstiftenden Industriearbeit. Dies erkennend, hat die Europäische Union vor etwas mehr als zehn Jahren ein Industrieziel beschlossen, nämlich die Erhöhung des Anteils der Industrie an der europäischen Wertschöpfung auf ein Fünftel. Im Dickicht europäischer Zielsetzungen, die oftmals konfliktär sind, wurde das Ziel leider – zum Schaden Europas – aus den Augen verloren.

Gerade die letzten Jahre haben weitere Argumente für eine Stärkung der Industrie in Europa mit sich gebracht: gestörte globale Lieferketten während und infolge der Coronakrise haben die Bedeutung regionaler Produktion ebenso unterstrichen, wie die bedauerliche Herausbildung neuer, politisch motivierter Handelsblöcke im Zuge des Ukrainekonflikts („friendshoring“) und die einen jahrzehntelangen Trend zur Handelserleichterung revertierenden Zollschranken. Hinzu kommt der zu wenig beachtete Umstand, dass eine möglichst hohe Industrieproduktion in Europa – zu europäischen Umweltstandards – neben allen positiven Wirtschaftseffekten auch einen positiven ökologischen Effekt mit sich bringt.

Die Industrie tritt daher beharrlich für eine laufende Verbesserung der Rahmenbedingungen für industrielle Tätigkeit ein. Dies kommt allen Unternehmen zugute, unabhängig ob sie eine hohe oder niedrige Exportquote haben, und unabhängig davon, ob sie ein weltweit herausragendes Technologieprodukt herstellen oder anderweitig Vorteile gegenüber der Konkurrenz erzielen. Zu diesen Rahmenbedingungen zählt eine Vielzahl an Faktoren, daher bedeutet Industriepolitik das Drehen an zahlreichen, kleinen Stellschrauben und nur in sehr seltenen Ausnahmefällen das öffentlichkeitswirksame Durchschlagen eines Gordischen Knotens.

Die langfristig wichtigste Stellschraube ist die Verfügbarkeit von ausreichend Personal mit bestimmten Schlüsselqualifikationen, wobei der Engpass bei technischen Qualifikationen auf den verschiedensten Ausbildungsstufen besteht. Die Industrie leistet in diesem Bereich enorme Zukunftsarbeit, von der Industrielehre bis hin zu tertiären Ausbildungsstätten. Letztlich ist aber der Staat gefordert, durch Anreiz- und Lenkungsmaßnahmen im Bildungssystem die Zukunftsfähigkeit des Standorts sicherzustellen. Zweifellos sind Fragen der Steuer- und Abgabenlast von wesentlicher Bedeutung, unterschätzt wird aber von politischer Seite weiterhin die Rolle der bürokratischen Belastungen für Unternehmen: Ein regelwütiger Staat verursacht Kosten in der staatlichen Verwaltung und in den Betrieben, eine Eindämmung der Flut an Vorschriften wäre daher eine win-win-Situation. Im europäischen Vergleich gut aufgestellt ist Österreich im Bereich der Infrastruktur, insbesondere auch hinsichtlich der Forschungsinfrastruktur und Forschungsfinanzierung – hier gilt es erreichte Vorteile abzusichern.

Die zwei größten Kostenblöcke in den Industriebilanzen sind die Energiekosten und die Personalkosten. Bei beiden Positionen gibt eine hohe Tangente an Steuern und Abgaben dem Staat eine unmittelbare Eingriffsmöglichkeit (von der Stromreiskompensation bis zu Lohnnebenkosten), die er aktiv standortpolitisch nützen soll. Im Bereich der Energie- und Rohstoffsicherheit hat der Staat aber auch weitergehende standortpolitische Verpflichtungen, die er vorsorglich nützen muss. Die jüngste Einigung auf einen Kollektivertragsabschluss mit Augenmaß in der Metallindustrie ist ein bemerkenswertes Zeichen dafür, dass auf Ebene der Sozialpartner der Wille vorhanden ist, wo immer es möglich ist gemeinsam an den genannten „Stellschrauben“ zu drehen und im Sinne des Wirtschaftsstandorts, der Wertschöpfung und Beschäftigung zu denken. Auch bei solchen Schritten bedarf es aber der politischen Abfederung.

„Die Nachrichten über meinen Tod sind stark übertrieben“, soll der amerikanische Schriftsteller Mark Twain einmal angesichts einer entsprechenden Falschmeldung gesagt haben. Dasselbe gilt bezüglich der Behauptung, dass industrielle Produktion in Europa tot sei. Zur vollen Gesundheit, und damit zu einer Rückkehr zu entsprechenden Investitionsquoten, bedarf es aber konsequenter Bemühungen seitens der Politik. Hier ist keine Zeit zu verlieren.

Unterschrift
©

Mag. Sigi Menz
Obmann der Bundessparte Industrie

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