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Sparte Industrie

Binnenmarkt und Weltmarkt

Informationen der Bundessparte Industrie

Lesedauer: 4 Minuten

05.12.2025

Um den Wohlstand in Europa zu sichern, muss die Europäische Union entschlossener die Vertiefung des Binnenmarktes vorantreiben, und gleichzeitig positive Rahmenbedingungen für die exportorientierte Wirtschaft schaffen. Eine wichtige Rolle für die globale Exporttätigkeit spielen internationale Handelsabkommen, daher darf beispielsweise das EU-Mercosur-Abkommen nicht länger verzögert werden.

„Seit Beginn dieses Jahrhunderts blickt Europa mit Sorge auf die Verlangsamung des Wachstums“, sind die einleitenden Worte des im Jahr 2024 vorgelegten Berichts „Die Zukunft der europäischen Wettbewerbsfähigkeit“ von Mario Draghi. Der ehemalige EZB-Chef ergänzt dies zu Recht mit dem Hinweis, dass man diesen Verlust an Dynamik lange Zeit nicht ernst genug genommen hat.

Einige europäische Staaten konnten, dank ihrer Exporterfolge, das bescheidene europäische Gesamtwachstum deutlich übertreffen und fühlten sich von der Wachstumsschwäche der EU insgesamt nicht betroffen. Erst der stotternde Exportmotor hat auch diesen Ländern – darunter vor allem auch Österreich – die schwierige Gesamtsituation vor Augen geführt.

Der Draghi-Bericht und, mehr noch, der ebenfalls 2024 erschienene Bericht des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Enrico Letta („Much More Than a Market“), fokussieren auf die Weiterentwicklung des Binnenmarktes: Der Abbau von Barrieren, die Vereinheitlichung von Regelungen, der gemeinsame Ausbau der Infrastruktur und eine besondere Betonung von Forschung, Innovation und Bildung sollen die maßgeblichen Treiber dieser „Binnenmarktoffensive“ sein.

Im Rahmen ihrer Binnenmarktstrategie hat die EU Kommission im Mai 2025 die „terrible ten“ identifiziert, die zehn größten Hindernisse im Binnenmarkt: Diese reichen von der komplizierten Unternehmensgründung über diverse (über-)komplexe, teilweise auch fragmentierte Vorschriften und Normen bis hin zu ungerechtfertigten territorialen Lieferbeschränkungen. Aus Sicht der Industrie sind viele der Punkte sinnvoll, wenn auch die Praxistauglichkeit und der tatsächliche Entlastungseffekt für Unternehmen im Detail erst in der konkreten Umsetzung sichtbar werden.

Wenig vertrauenserweckend ist freilich, dass die tatsächlichen Schritte zur Stärkung des Binnenmarktes verblassen hinter der Fülle an Ankündigungen, rhetorischen Floskeln und vorgelegten Papieren.

Schon der Draghi-Bericht zeigt ein gewisses Maß an Resignation bezüglich der Chancen der europäischen Exportindustrie: Die Zeit des globalen Handelswachstums sei vorbei, der Zugang zu internationalen Märkten schwierig geworden. In der Binnenmarktstrategie der EU Kommission wird das Thema des internationalen Handels und der globalen Wettbewerbsfähigkeit nur am Rande angesprochen. Das ist grundfalsch, denn ein effizienter Binnenmarkt ist ohne eine effiziente Industrie – und damit auch international wettbewerbsfähige Industrie – nicht denkbar.

Richtig ist, dass sich das Umfeld des globalen Handels verändert hat: Die Frage der Resilienz von Lieferketten, mehr noch aber politische Konflikte, haben ebenso zu einer Störung des Welthandels geführt, wie die fatale Wiederentdeckung des Einfuhrzolls als (wirtschafts-)politische Wunderwaffe. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat zusammen mit der Welthandelsorganisation (WTO) verschiedene Kennzahlen entwickelt, wie einen Tariff-Tracker und einen Trade-Policy-Activity-Index, die den kräftigen Anstieg politisch motivierter Eingriffe in den Welthandel in den letzten fünf Jahren deutlich zeigen.

Zwar bröckelt der Anteil der EU am Welthandel seit einiger Zeit, aber dies ausschließlich auf eine feindselige Handelspolitik anderer Staaten zu schieben ist falsch: Die neuersten Daten von Eurostat zeigen für die ersten neun Monate des Jahres 2025 ein Wachstum der EU-Exporte (Waren) in die Nicht-EU-Staaten um immerhin drei Prozent, was nicht signifikant vom globalen Wachstum des Handelsvolumens abweicht. Sehr schlecht entwickelt haben sich hingegen die österreichischen Ausfuhren in die Nicht-EU-Länder, die (bis einschließlich August) um mehr als zehn Prozent zurückgegangen sind.

Gerade in Zeiten mit schwierigen handelspolitischen Rahmenbedingungen steigt die Bedeutung von internationalen Handelsabkommen. Die österreichische Industrie setzt sich seit langer Zeit für entsprechende Abkommen der EU ein, um rechtlich sichere und mit den WTO-Regeln abgestimmte Handelsbedingungen vorzufinden. Derzeit verfügt die Europäische Union bereits über 44 Abkommen mit 76 Partnerländern und Regionen. Durch diese Abkommen ersparen sich österreichische Unternehmen rund 600 Millionen Euro an Zollgebühren pro Jahr.

Angesichts mancher Unsicherheiten wächst die Bedeutung weiterer Abkommen, wobei insbesondere das Abkommen mit der südamerikanischen Freihandelszone Mercosur eine große und wachsende Wirtschaftsregion mit Europa verbinden würde. Das Abkommen wurde über einen Zeitraum von 20 Jahren verhandelt. Durch das EU-Mercosur-Abkommen würde die weltweit größte Freihandelszone entstehen, mit mehr als 700 Millionen Konsumentinnen und Konsumenten. Entsprechend positiv sind die Perspektiven für die Exportindustrie: Berechnungen zeigen ein mögliches Ansteigen der Exporte aus der EU nach Lateinamerika um rund 50 Milliarden Euro, wodurch rund 440.000 Arbeitsplätze in Europa geschaffen werden könnten. Durch das Abkommen würden die Zölle auf über 90 % aller Waren vollständig abgeschafft, was alleine für österreichische Unternehmen eine Ersparnis an Zöllen von knapp 90 Millionen Euro bedeuten würde. Eine weitere Exporterleichterung ergäbe sich durch Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse.

Über diesen unmittelbaren Vorteil für die Exportwirtschaft hinaus darf nicht übersehen werden, dass sich aus dem EU-Mercosur-Abkommen weitere positive Aspekte ergeben: Dazu zählt vor allem der Zugang zu kritischen Rohstoffen und die Diversifizierung von Lieferketten. Zudem wird die Partnerschaft zwischen Europa und Lateinamerika gestärkt, ein nicht zu unterschätzendes Zeichen in Zeiten globaler Unsicherheiten und geopolitischer Spannungen. Schließlich ist das Abkommen auch ein deutliches Statement für Freihandel und gegen Protektionismus – was gerade für eine offene, exportorientierte Volkswirtschaft wie Österreich bedeutsam ist.

Angesichts globaler handelspolitischer Turbulenzen scheint der Wille zu einer positiven Erledigung gegenwärtig zu steigen. Aufgrund der aktuellen Konstellation könnte die Stimme Österreich das Zünglein an der Waage im EU-Rat sein. Die Industrie fordert die österreichische Bundesregierung auf, dem EU-Mercosur-Abkommen zuzustimmen und so einerseits die Chancen des Abkommens zu nutzen und andererseits ein konstruktives Signal gegen Protektionismus und für regelbasierten Freihandel zu setzen.

Weitere Abkommen der EU sind in unterschiedlichem Verhandlungsstadium, insbesondere mit Indien und einigen Ländern Südostasiens. In einer Welt, die kein ideales Handelsregime aufweist, ist das Ausverhandeln regionaler „Abrüstungsgebiete“ in einem Handelskrieg – der letztlich nur Verlierer hervorbringen kann – ein wichtiger Entspannungsschritt.

Die Europäische Union wird nur dann eine wirtschaftlich gesicherte Zukunft haben, wenn sie auf beiden Beinen steht: Einem starken, effizienten Binnenmarkt und einer gesicherten, wettbewerbsfähigen Position am Weltmarkt. Das Bewusstsein für die Stärkung des Binnenmarktes ist vorhanden, wenn auch die Handlungen zaghaft und widersprüchlich sind. Insbesondere im Interesse der exportorientierten Industrie und der Aufrechterhaltung der durch die Industrie generierten Wertschöpfung ist wichtig, auch das Bewusstsein für die Bedeutung der globalen Wettbewerbsfähigkeit in den Köpfen der Entscheidungsträger zu verankern.

Autorin:
Mag. Sandra Lengauer
E-Mail: sandra.lengauer@wko.at

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