Ratspräsidentschaft Zyperns 2026: Anspruchsvolle Agenda
Informationen der Bundessparte Industrie
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Ab 1. Jänner 2026 übernimmt Zypern für 6 Monate den Ratsvorsitz. Es muss sich in politisch instabilen Zeiten gleich mehreren Herausforderungen stellen.
Erstmals seit 2012 wird Zypern wieder die EU-Ratspräsidentschaft inne haben. Die politischen Leitlinien der kommenden sechs Monate sind erkennbar, auch wenn das detaillierte Programm noch aussteht. Bei einem Treffen mit dem Europäischen Parlament umriss der zypriotische Präsident Nikos Christodoulides die strategische Ausrichtung: „Das erste Ziel ist die Stärkung der strategischen Autonomie der EU. Das zweite Ziel ist die engere Anbindung der EU an die Region.“ Darüber hinaus betonte er, dass die Wettbewerbsfähigkeit der Union weiterhin im Fokus stehen müsse. Vor diesem Hintergrund gehen Beobachter davon aus, dass Zypern etwa die EU-Mittelmeer-Agenda mit besonderem Nachdruck vorantreiben wird – insbesondere die vertiefte Kooperation mit den nordafrikanischen und nahöstlichen Mittelmeeranrainern. Gleichzeitig ist klar, dass wesentliche Teile der Agenda bereits durch das Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission und durch eine Vielzahl offener Dossiers vorgeprägt sind, die aus dem Jahr 2025 mitgenommen werden.
Offene Dossiers: Was Zypern noch abschließen muss
Ein zentraler Teil der Ratspräsidentschaft besteht darin, die laufenden Geschäfte erfolgreich zum Abschluss zu bringen. Dazu zählen 2026 insbesondere mehrere Omnibus-Vereinfachungsvorschläge, die Teil der Entbürokratisierungsagenda der EU sind. Für Zypern bedeutet dies zunächst, die bereits in Verhandlung befindlichen sowie die in den Bereichen Umwelt und Automotive noch im Dezember geplanten Maßnahmen zu finalisieren. Zur Erinnerung: Bisher wurden sieben solcher Omnibusse auf den Weg gebracht, wirklich in Kraft getreten ist aber erst einer dieser Vorschläge, zum CO2-Grenzausgleichsmechanismus CBAM.
Darüber hinaus soll der sogenannte Industrial Accelerator Act noch im Dezember veröffentlicht werden. Der Verordnungsvorschlag sieht dem Vernehmen nach weitere Verfahrensbeschleunigungen sowie verpflichtende „Made in Europe“-Kriterien bei bestimmten Beschaffungsvorgängen vor. Das soll Investitionen mobilisieren und strategische Wertschöpfungsketten in Europa stärken. Für Zypern wird es entscheidend sein, die oft divergierenden Interessen zwischen Mitgliedstaaten, aber auch zwischen den Sektoren, auszubalancieren.
Ein weiteres komplexes Gesetzespaket, das noch heuer herauskommen soll, bildet das European Grids Package. Angesichts der zentralen Rolle von Energienetzen für die Energiewende soll dieses Maßnahmenbündel Planung, Finanzierung und Ausbau von Übertragungs- und Verteilnetzen erheblich beschleunigen. Die technische Tiefe und die Vielzahl beteiligter Akteure macht die Koordination dieses Dossier zu einer anspruchsvollen Aufgabe für die Ratspräsidentschaft.
Schließlich steht auch die Fortentwicklung des Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) auf der Agenda. Die geplante Stärkung des CO2-Grenzausgleichs soll sowohl neue Instrumente zur Unterstützung exportorientierter Industrien als auch eine mögliche Vertiefung des Anwendungsbereichs auf weitere „downstream“-Sektoren umfassen. Die dadurch entstehenden handelspolitischen Implikationen machen das Dossier politisch sensibel und europäisch wie international hochrelevant.
Neue Prioritäten im Arbeitsprogramm 2026
Neben den bereits laufenden Dossiers hat das Arbeitsprogramm der Kommission für das erste Halbjahr 2026 mehrere Initiativen angekündigt, die Zypern in die entscheidende Phase führen muss. Dazu gehört der EU Innovation Act, der Europas Innovationssysteme stärken, die Technologietransferstrukturen modernisieren und den Zugang zu Risikokapital erleichtern soll. Zudem werden weitere Omnibus-Vereinfachungsvorschläge, diesmal in den Bereichen Steuern und Energie, erwartet. Gerade im Steuerbereich berührt dies besonders sensible Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten. Hier wird es auf diplomatisches Geschick ankommen, um Fortschritte zu erzielen, ohne rote Linien zu überschreiten.
Ebenfalls auf der Agenda steht die Evaluierung des Chips Act, die prüfen soll, ob die bisher ergriffenen Maßnahmen zur Sicherung europäischer Halbleiterkapazitäten ausreichend sind oder nachjustiert werden müssen. Hier gibt es zwei mögliche Szenarien: Ein Mitgliedstaat wie Zypern, ohne besonderem nationalen Interesse an dieser Branche, könnte hier tatsächlich als „ehrlicher Makler“ auftreten, oder aber das Dossier landet ganz einfach nicht auf der obersten Prioritätenliste.
Besonders anspruchsvoll wird die REACH-Revision, die grundlegende Veränderungen im europäischen Chemikalienrecht vorsieht. Die Balance zwischen Innovationsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und hohem Verbraucherschutzstandard macht dieses Dossier zu einem der politisch und wirtschaftlich gewichtigsten des gesamten Programms.
Fazit: Große Ambitionen, begrenzte Ressourcen
Zypern tritt mit einem ambitionierten Programm an und übernimmt die Ratspräsidentschaft in einer Phase, in der viele politisch, technisch und wirtschaftlich schwergewichtige Themen gleichzeitig vorliegen. Die Fortführung und Vertiefung der europäischen Vereinfachungsagenda ist dabei ein besonders großer Brocken, da sie unmittelbar in die tägliche Praxis von Unternehmen, Behörden und Innovatoren hineinwirkt.
Ob Zypern über die institutionellen Ressourcen verfügt, um bei dieser Vielzahl komplexer Dossiers die richtigen Weichen für die europäische Industrie zu stellen und zufriedenstellende Ergebnisse zu erzielen, wird sich erst weisen. Sicher ist jedoch: Die Ratspräsidentschaft eines solchen Mitgliedstaates wird ein entscheidender Prüfstein für die Fähigkeit der EU sein, die Fahrtüchtigkeit und Fahrgeschwindigkeit der Omnibus-Flotte aufrechtzuerhalten bzw. diese in die richtige Richtung zu lenken.
Autor:
Clemens Rosenmayr MSc MSc
E-Mail: clemens.rosenmayr@wko.at