Europäische Kommission beschließt Erweiterungspaket 2025
Überblick über Verfahren, Kriterien und Fortschritte in den EU-Beitrittsgesprächen
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Die EU-Kommission hat ihr jährliches Erweiterungspaket vorgestellt. Der Bericht nimmt die Fortschritte im Erweiterungsprozess von insgesamt zehn Staaten – Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien, Ukraine, Republik Moldau, Georgien und Türkei – genauer unter die Lupe.
Überblick: Ergebnisse der Berichte
Besonders positiv fielen die Berichte zu Montenegro und Albanien aus, die in kurzer Zeit wichtige Fortschritte im Erweiterungsprozess verzeichnen konnten. Beide Länder haben ambitionierte Beitrittsziele: Montenegro strebt einen Verhandlungsabschluss 2026 und einen Beitritt 2028 an, Albanien einen Verhandlungsabschluss 2027 und einen Beitritt 2030.
Hervorgehoben wurden auch die Reformen in der Ukraine und Moldau. Beide Länder haben die Screenings längst abgeschlossen und sind bereit für die Öffnung der ersten drei Verhandlungscluster (allerdings blockiert hier Ungarn). Die Regierungen beider Länder haben das ambitionierte Ziel die Verhandlungen bis 2028 abzuschließen.
Am anderen Ende steht Georgien, das drastische Rückschritte gemacht hat und nur noch auf dem Papier den Kandidatenstatus besitzt. Derzeit besteht keine Chance auf eine EU-Mitgliedschaft. Auch mit der Türkei steht der Beitrittsprozess aufgrund erheblicher Rückschritte still, die Beziehungen sollen aber dennoch weiterentwickelt werden.
Kritik gab es für Serbien, das zwar weiterhin seinen Beitrittswillen versichert, diesen Worten aber nun Taten folgen lassen muss. Wenig Fortschritte im Erweiterungsprozess gab es auch in Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien und Kosovo aufgrund ausstehender Reformen.
Insgesamt flachte die Dynamik im Erweiterungsprozess 2025 etwas ab, nach strategisch wichtigen und richtungsweisenden Entscheidungen in den beiden Vorjahren. Die zentrale Botschaft der EU-Kommission lautet aber weiter, dass sie die EU-Erweiterung ernsthaft verfolgt und auch entsprechende EU-interne Reformen vorschlagen wird.
Allen Ländern, die den politischen Willen für wesentliche Fortschritte im Erweiterungsprozess zeigen, wird die Unterstützung der Europäischen Union zugesichert. Werden die notwendigen Reformen umgesetzt, wird die EU entsprechend handeln. Engagement soll sich lohnen – und Motivation für andere sein.
Bewertung: Die WKÖ unterstützt die schrittweise EU-Integration und Erweiterung
Die EU-Integration eröffnet der österreichischen Wirtschaft bedeutende Chancen, da die bereits engen Wirtschaftsbeziehungen weiter ausgebaut werden können. Österreichische Unternehmen zählen zu den größten Investoren in vielen Erweiterungsländern und würden von einer vertieften Integration besonders durch stabile Rahmenbedingungen sowie die Angleichung von Normen und Standards profitieren.
Gleichzeitig ist jedoch ein umsichtiges Vorgehen geboten: Das Prinzip „Qualität vor Schnelligkeit“ sollte weiterhin im Mittelpunkt stehen. Viele Länder weisen im Erweiterungsprozess noch erheblichen Reformbedarf auf. Eine erfolgreiche Integration in den EU-Binnenmarkt kann nur unter der Voraussetzung stabiler Rahmenbedingungen gelingen
Wesentlich wäre zudem die Förderung einer schrittweisen EU-Integration, die den Kandidatenländern bereits vor dem Beitritt Vorteile verschafft und Reformen beschleunigen könnte. Positiv zu bewerten sind in diesem Zusammenhang die jüngsten Fortschritte bei der Teilnahme zahlreicher Kandidatenländer am SEPA-Zahlungsraum sowie an „Roam like at home“.
Zum Nachlesen: Erweiterungspaket 2025Die Länder im Detail
Albanien: Ambitioniert, aber auf Kurs
Neuerlich überwiegend positiver Bericht zu Albanien, das seinen ambitionierten Reformkurs fortgesetzt hat und insgesamt vier Verhandlungscluster öffnen konnte. Hervorzuheben sind besonders die Fortschritte bei der Justizreform und der Bekämpfung von Kriminalität und Korruption.
Ausständig ist nur noch die Öffnung von Cluster 5 (Ressourcen, Landwirtschaft, Kohäsion), die bis Jahresende erfolgen soll. Albanien hat sich insgesamt hohe Ziele gesteckt. Weitere Reformen sind nötig, um die Zwischenziele zu erfüllen und den Weg für das Schließen von Verhandlungskapiteln zu ebnen.
2009: Antrag auf EU-Mitgliedschaft
2014: zum Kandidatenland ernannt
2022: Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
Bosnien und Herzegowina: Komplexe innenpolitische Lage verhindert Fortschritte im Erweiterungsprozess
Nach einer Phase starker Beitrittsambitionen der politischen Führung bis Anfang 2024 hat der Reformeifer deutlich nachgelassen. Die politische Krise in der Republika Srpska, das Ende der Koalition und daraus resultierende politische Blockaden sowie mangelnde Zusammenarbeit verzögern zentrale Reformen und bremsen den Erweiterungsprozess erheblich.
Um die Beitrittsverhandlungen aufnehmen und die erste Regierungskonferenz abhalten zu können, müssen die Behörden die Justizreformgesetze fertigstellen und verabschieden sowie einen Chefverhandler, der die Beitrittsgespräche leitet, ernennen. Positiv ist zu bewerten, dass Bosnien und Herzegowina – als letztes der sechs Westbalkanländer – nun die Reformagenda vorgelegt hat. Diese bildet die Grundlage für die Auszahlung von Mitteln aus dem Reform- und Wachstumsplan in Höhe von fast einer Milliarde Euro. Einige Reformen wurden bei Datenschutz und den Grenzkontrollen (Frontex-Abkommen) umgesetzt.
2016: Antrag auf EU-Mitgliedschaft
2022: zum Kandidatenland ernannt
2024: Grünes Licht für Eröffnung von Verhandlungen, seither Stagnation
Kosovo: Hohe öffentliche Unterstützung des EU-Beitritts, aber mehr Anstrengungen notwendig
Auch wenn die öffentliche Unterstützung eines EU-Beitritts hoch ist, verzögert der langwierige Regierungsbildungsprozess nach den Wahlen im Februar die Reformen. Notwendig für eine effektive Verfolgung des Beitrittsziels wären eine parteienübergreifende Zusammenarbeit, eine Neuausrichtung der Reformprioritäten und die Normalisierung der Beziehungen zu Serbien.
Die Europäische Kommission ist bereit, eine Stellungnahme zum Beitrittsantrag zu erstellen, sofern dies vom Rat angefordert wird. Derzeit scheitert das aber an jenen EU-Mitgliedstaaten, die den Kosovo nicht anerkannt haben.
2022: Antrag auf EU-Mitgliedschaft
Montenegro: Sehr gute Reformfortschritte und breiter politischer Konsens
Montenegro hat alle 33 Verhandlungskapitel mit der EU eröffnet, von denen 7 vorläufig abgeschlossen wurden. Bis Jahresende 2025 sollen weitere folgen. Das Land ist ein Vorreiter im EU-Beitrittsprozess und strebt an, die Verhandlungen 2026 abzuschließen und möglicherweise bis 2028 der EU beizutreten. Die EU-Kommission sieht Montenegro auf einem guten Weg, dieses Ziel zu erreichen. Die Vorbereitungsarbeiten zum Beitrittsvertrag könnten noch heuer starten.
2008: Antrag auf EU-Mitgliedschaft
2010: zum Kandidatenland ernannt
2012: Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
Nordmazedonien: Ohne Verfassungsänderung keine Verhandlungsöffung
Die Arbeit an den Reformplänen läuft weiter, Nordmazedonien hat in den vergangenen Monaten einige Reformen umgesetzt. Der Fokus sollte derzeit auf Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung und richterlicher Unabhängigkeit liegen. Für den Start substantieller Beitrittsverhandlungen muss das Land aber noch eine Verfassungsänderung umsetzen und die bulgarische Minderheit anerkennen.
2005: zum Kandidatenland ernannt
2022: Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
Serbien: Mehr Rückschritte als Fortschritte
Serbien hat 22 Kapitel eröffnet und zwei provisorisch geschlossen. Das Reformtempo in grundlegenden Bereichen wie Korruptionsbekämpfung, Transparenz, Meinungsfreiheit und akademische Freiheit hat deutlich nachgelassen bzw. es gab Rückschritte. Die Verhandlungen finden in einem zunehmend schwieriger werdenden Umfeld tiefer gesellschaftlicher Polarisierung, Druck auf die Zivilgesellschaft und Polizeigewalt statt.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die fehlende Anpassung der serbischen Außen- und Sicherheitspolitik an die der EU, insbesondere im Hinblick auf die Sanktionen gegen Russland. Die EU-Kommission fordert eine dringende Kurskorrektur. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Beitrittskriterien ist Serbien bereits weit fortgeschritten, und der Verhandlungscluster 3 (Wettbewerbsfähigkeit/Wachstum) könnte geöffnet werden. Fortschritte gab es auch bei der Medienregulierungsbehörde und dem Wählerregister.
2008: Antrag auf EU-Mitgliedschaft
2010: zum Kandidatenland ernannt
2012: Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
Georgien: Stillstand im Beitrittsprozess
Der Bericht zu Georgien fällt stark negativ aus, das Land hat keine realistische Chance auf einen EU-Beitritt, es sei denn, es kommt zu einer dramatischen Kursänderung. Der EU-Beitrittsprozess ist zum Stillstand gekommen. Im vergangenen Jahr hat das Land drastische Rückschritte bei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gemacht, insbesondere bei der Meinungsfreiheit, dem Versammlungsrecht und dem Schutz vor Diskriminierung.
Die Europäische Kommission betrachtet Georgien daher nur noch auf dem Papier als Kandidatenland. Damit eine Wiederbelebung des Beitrittsprozesses möglich wäre, sind umfassende Reformen erforderlich. Insbesondere muss Georgien zu den Grundwerten der Europäischen Union zurückkehren und eine breite Unterstützung sowohl in der Politik als auch in der Zivilgesellschaft sicherstellen.
2022: Antrag auf EU-Mitgliedschaft
2023: zum Kandidatenland ernannt
2024: grünes Licht für Verhandlungseröffnung, seither Stillstand
Republik Moldau: Wichtige Reformen trotz Herausforderungen
Die Republik Moldau hat die Screenings längst erfolgreich abgeschlossen und wichtige Fortschritte bei Rechtsstaatlichkeit, Verwaltung und demokratischen Institutionen erzielt. Insgesamt bewertet die EK die Reformfahrpläne als positiv. Moldau erfüllt die Voraussetzungen für die Öffnung von drei Verhandlungsclustern. Die Europäische Kommission erwartet, dass die Bedingungen für die Öffnung der verbleibenden drei Cluster ebenfalls bald erfüllt werden.
Ziel der Kommission ist es, die Öffnung aller Cluster bis Jahresende voranzutreiben. Erstmals wird von der moldawischen Regierung als Ziel ein Verhandlungsabschluss bis Anfang 2028 genannt. Voraussetzung dafür wäre aber ein beschleunigtes Reformtempo. Das Momentum einer starken parlamentarischen Mehrheit nach den Wahlen im Oktober könnte genutzt werden.
2022: Antrag auf EU-Mitgliedschaft
2022: zum Kandidatenland ernannt
2024: Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
Ukraine: wichtige Erfolge, aber mehr Reformtempo bei Grundlagen notwendig
Trotz des anhaltenden Angriffskriegs Russlands bleibt die Ukraine fest entschlossen, ihren Weg in Richtung EU-Mitgliedschaft weiterzugehen. Der Screening-Prozess wurde erfolgreich abgeschlossen, und bei zentralen Reformen – insbesondere in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Verwaltung, demokratische Institutionen und Minderheitenrechte – konnten bedeutende Fortschritte erzielt werden.
Die Eröffnung substanzieller Beitrittsverhandlungen steht aber noch bevor. Die Ukraine erfüllt bereits heute die Voraussetzungen für die Öffnung von drei Verhandlungsclustern (Anmerkung: deren Umsetzung jedoch derzeit durch eine Blockade seitens Ungarn verhindert wird). Die EK erwartet, dass die Bedingungen für die Öffnung der verbleibenden drei Cluster ebenfalls bald erfüllt werden.
Ziel der EU-Kommission ist es, die Öffnung aller Cluster bis Jahresende voranzutreiben. Entscheidend wird dabei sein, die Reformdynamik aufrechtzuerhalten und jegliches Risiko eines Rückschritts zu vermeiden, insbesondere bei der Korruptionsbekämpfung (Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden).
Die ukrainische Regierung hat signalisiert, die Beitrittsverhandlungen bis Ende 2028 abschließen zu wollen. Voraussetzung dafür ist laut EU-Kommission jedoch eine Beschleunigung der Reformen, insbesondere im Bereich der Rechtsstaatlichkeit.
2022: Antrag auf EU-Mitgliedschaft
2022: zum Kandidatenland ernannt
2024: Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
Türkei: Verhandlungen weiter auf Eis
Erneut kritischer Bericht zur Türkei. Das Land bleibt Kandidatenland und wichtiger, strategischer Partner der EU, die Beitrittsverhandlungen sind aber seit 2018 ausgesetzt. Die EK stellt erneut Mängel in den Bereichen Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit fest und kritisiert zunehmende Repressionen gegen die Opposition sowie Rückschritte bei demokratischen Standards.
Der Dialog über Rechtsstaatlichkeit und Grundrechte bleibt ein zentraler Bestandteil der EU-Türkei-Beziehungen. Die Beziehungen wurden im vergangenen Jahr schrittweise, aber auch reversibel weiterentwickelt; das ist auch Ziel für das kommende Jahr.
1987: Antrag auf EU-Mitgliedschaft
1999: zum Kandidatenland ernannt
2005: Aufnahme von Beitrittsverhandlungen
2016: Einfrieren der Beitrittsgespräche