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Haftung des handelsrechtlichen Geschäftsführers bzw. des Vorstandes in der Insolvenz der Gesellschaft

Praxisrelevantes Beispiel

Lesedauer: 5 Minuten

Die folgenden Grundsätze werden am (praxisrelevanteren) Beispiel des handelsrechtlichen Geschäftsführers einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung dargestellt, gelten aber für jedes Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft entsprechend.

Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass der handelsrechtliche Geschäftsführer einer GmbH – dem Wesen der Gesellschaft mit beschränkter Haftung entsprechend – nicht "automatisch“ für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet.

Eine solche Haftung kommt nur dann in Frage, wenn gesetzliche Vorschriften dies ausdrücklich vorschreiben oder der Geschäftsführer seinen Sorgfaltspflichten nicht hinreichend nachkommt bzw. gegen gesetzliche Bestimmungen, die für den Fall der Krise bzw. Insolvenz der Gesellschaft eine bestimmte Vorgehensweise vorschreiben, verstößt.

Nur die Verpflichtung zur Leistung eines Kostenvorschusses (bis zur Höhe von 4.000 EUR) im Falle des Fehlens von kostendeckendem Vermögen für die Anlaufkosten eines Insolvenzverfahrens bei der GmbH greift unabhängig vom Verhalten des Geschäftsführers. Dieser Kostenvorschuss ist auch dann vom Geschäftsführer (und auch von Personen, die innerhalb von drei Monaten vor Einbringung des Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Geschäftsführer waren, sowie vom Mehrheitsgesellschafter) zu bezahlen, wenn die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens völlig unabhängig von seinem Verhalten, etwa wegen Verschlechterung der gesamtwirtschaftlichen Situation, notwendig wird.

Als Grundlage für eine Haftung des handelsrechtlichen Geschäftsführers gegenüber Gesellschaftsgläubigern kommen in Betracht:

  • Grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen;
  • Vornahme von Zahlungen nach dem Zeitpunkt des Insolvenzeintrittes (Gläubigerbegünstigung);
  • Nicht rechtzeitige Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens;
  • Für den Bund hinsichtlich Abgabenforderungen und für den Sozialversicherungsträger hinsichtlich Beiträge nach dem ASVG: Die Sonderbestimmungen der §§ 9 BAO und 67 Abs. 10 ASVG;
  • Bei nach den Rechnungslegungsvorschriften prüfpflichtigen GmbHs im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens: Die Nichtbeantragung des Reorganisationsverfahrens trotz vermutetem Reorganisationsbedarf sowie die Nichtaufstellung bzw. Nichtprüfung des Jahresabschlusses.

Die Regelungen im Detail

1. Grob fahrlässige Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen

Das Strafgesetzbuch pönalisiert zum Schutze der Gläubiger grob fahrlässiges „kridaträchtiges Handeln“. Die in ihren vermögenswerten Rechten geschädigten Gläubiger können im Falle der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft deren Geschäftsführer, der ein solches Handeln zu verantworten hat, auf Ersatz des dadurch verursachten Schadens in Anspruch nehmen.

Als kridaträchtiges Handeln kommt in Betracht: Vermögensverschleuderung bzw. -zerstörung; Ausgeben übermäßig hoher Beträge für ein außergewöhnlich gewagtes Geschäft, Spiel oder Wette; keine bzw. mangelhafte Buchhaltung und Kontrollmaßnahmen; Unterlassen des Erstellens bzw. mangelhafte Erstellung von zwingend vorgesehenen Jahresabschlüssen.  

2. Gläubigerbegünstigung

Der Geschäftsführer darf nach Eintritt der Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit bzw. rechnerische Überschuldung der Gesellschaft) keine Zahlungen mehr tätigen, widrigenfalls er den dadurch benachteiligten Gläubigern zu Schadenersatz verpflichtet ist (Gleichbehandlungsgrundsatz). 

3. Nicht rechtzeitige Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens

Wesentlich ist, dass der handelsrechtliche Geschäftsführer längstens binnen 60 Tagen nach Insolvenzeintritt einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bei Gericht stellen muss. Mit diesem Antrag kann jedoch nur bei ernsthaften Sanierungsbemühungen (z.B. Versuch, einen außergerichtlichen Ausgleich zustande zu bringen) höchstens 60 Tage zugewartet werden, ansonsten ist der Insolvenzantrag unverzüglich nach Eintritt der Insolvenz zu stellen.

Bei Verletzung dieser Verpflichtung ist der Geschäftsführer den Gläubigern für den Schaden verantwortlich, den diese dadurch erleiden, dass bei rechtzeitiger Eröffnung des Insolvenzverfahrens die zu erzielende Quote entsprechend höher gewesen wäre (Altgläubiger) bzw. mit der insolventen Gesellschaft erst gar nicht in geschäftlichen Kontakt getreten wären (Vertrauensschaden der Neugläubiger). Die Beweislast, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Handeln des Geschäftsführers eingetreten wäre, liegt beim Geschäftsführer (Beweislastumkehr!).

4. Haftung für Abgaben und SV-Beiträge

Der Geschäftsführer haftet für Abgabenforderungen gegenüber dem Bund und für Beitragsschulden gegenüber dem Sozialversicherungsträger insofern, als diese infolge schuldhafter Verletzung der dem Geschäftsführer auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Aus dem Bestehen dieser spezifischen Regelungen darf jedoch gefolgert werden, dass die Haftung des Geschäftsführers für die Errichtung von Abgaben und ASVG-Beiträgen gegenüber anderen Verbindlichkeiten grundsätzlich strenger ausgestaltet ist. Haftungsgrundlage ist hier nämlich nicht eine etwaige Insolvenz bzw. ein Verschulden am Insolvenzeintritt, sondern die Gläubiger-Gleichbehandlung. Der Geschäftsführer darf den Abgaben- bzw. Beitragsgläubiger nicht schlechter als irgendeinen anderen Gläubiger der Gesellschaft behandeln. Er haftet also nicht für solche Verbindlichkeiten, die erst zu einem Zeitpunkt entstanden sind, zu dem die Gesellschaft über keine liquiden Mittel mehr verfügt hat. Für die Entrichtung der Lohnsteuer ist darauf etwa abzuleiten, dass der Geschäftsführer dem Dienstnehmer nur im gleichen Prozentsatz eine Zahlung leisten darf, in dem er auch die Lohnabgaben abführt.

Beweispflichtig für die Schuldlosigkeit an der Nicht- oder nicht rechtzeitigen Entrichtung bzw. an der Tatsache, dass kein einziger anderer Gläubiger bevorzugt behandelt wurde, ist allerdings der Geschäftsführer.

Die Haftung kann auch dadurch ausgeschlossen werden, indem – im Falle des Bestehens mehrerer Geschäftsführer – nachgewiesen wird, dass ein anderer Geschäftsführer für die abgaben- bzw. beitragsrelevanten Belange tatsächlich zuständig war (Ressortverteilung).

5. Nichtbeantragung eines URG-Reorganisationsverfahrens

Mit dem Unternehmensreorganisationsgesetz (URG) hat der Gesetzgeber ein Instrumentarium geschaffen, das noch vor Eintritt des Insolvenzfalles die nachhaltige Sanierung des Unternehmens durch gezielte Maßnahmen zur Verbesserung der finanziellen Situation gewährleisten soll.

Da der Antrag auf Einleitung des Reorganisationsverfahrens nicht zwingend ist, versucht der Gesetzgeber unter anderem, die handelsrechtlichen Geschäftsführer der GmbHs zu einem solchen Antrag durch Statuierung einer persönlichen Haftung für den Fall des Unterlassens der Antragstellung trotz Reorganisationsbedarf zu bewegen.

Der Abschlussprüfer hat zu berichten, wenn die im Unternehmensreorganisationsgesetz (URG) festgelegten Kennzahlen (Eigenmittelquote unter 8 % und fiktive Schuldentilgungsdauer von mehr als 15 Jahren) erreicht werden, die für das Vorliegen eines Reorganisationsbedarfes sprechen.

Beantragt der Geschäftsführer nach Erhalt eines solchen Berichts nicht unverzüglich ein Reorganisationsverfahren oder führt er ein bereits eingeleitetes nicht gehörig fort, so haftet er gegenüber der Gesellschaft bis zur Höhe von 100.000 EUR für die durch die Insolvenzmasse nicht gedeckten Verbindlichkeiten, wenn innerhalb von zwei Jahren nach Erhalt eines solchen Berichts ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt wird.

Unter diesen Voraussetzungen haftet der Geschäftsführer auch, wenn er einen Jahresabschluss nicht oder nicht rechtzeitig aufstellt oder nicht unverzüglich den Abschlussprüfer mit dessen Prüfung beauftragt.

6. Nichtbeantragung eines Verfahrens nach der Reorganisationsordnung

Mit der Restrukturierungsordnung hat der Gesetzgeber im Juli 2021 ein weiteres, zumindest insolvenznahes Restrukturierungsverfahren auf Basis einer EU‑Richtlinie eingeführt. Der Restrukturierungsplan ist ein Instrument, das dem Schuldner ermöglicht, eine Insolvenz abzuwenden und die Bestandfähigkeit seines Unternehmens sicherzustellen. Der Plan enthält Restrukturierungsmaßnahmen - vor allem eine Kürzung von Gläubigerforderungen – und dies gegebenenfalls auch gegen ihren, mehrheitlich je in einer Klasse gebildeten Willen.

Bei Eintritt einer wahrscheinlichen Insolvenz hat die Unternehmensleitung Schritte einzuleiten, um die Insolvenz abzuwenden und die Bestandfähigkeit sicherzustellen. Unterlässt sie diese, könnte sie unter Umständen aus dieser Unterlassung heraus zur Haftung für den dadurch entstandenen Schaden herangezogen werden.

Für überschuldete Unternehmen steht das Verfahren zur Verfügung, für zahlungsunfähige jedoch grundsätzlich nicht. Geprüft wird das Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit bei Einleitung des Restrukturierungsverfahrens allerdings nicht, sondern erst bei Prüfung des Antrags auf Vollstreckungssperre.

Stand: 12.11.2021

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