EU-Verwaltungsstrafvollstreckungsgesetz (EU-VStVG)

Regelung der Vollstreckung von verwaltungsbehördlich verhängten Geldstrafen innerhalb der EU

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Das EU-Verwaltungsstrafvollstreckungsgesetz (EU-VStVG) regelt die Vollstreckung von verwaltungsbehördlich verhängten Geldstrafen innerhalb der EU. Dieses Gesetz setzt einen Rahmenbeschluss der EU um und ist mit 1. März 2008 in Kraft getreten. Die Vollstreckung von gerichtlich verhängten Geldstrafen ist im Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG) geregelt.

Das EU-VStVG ist nicht auf Übertretungen anzuwenden, die vor dem 1. März 2008 begangen wurden.

Anwendungsbereich des EU-VStVG

Das EU-VStVG regelt

  • die Vollstreckung von rechtskräftigen verwaltungsbehördlichen Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten der EU in Österreich, mit denen eine Geldstrafe oder Geldbuße gegen eine natürliche oder juristische Person verhängt wurde. Voraussetzung ist, dass die Person die Möglichkeit hatte, die Sache vor ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht zu bringen.

  • Ebenso regelt das EU-VStVG die Vollstreckung von Entscheidungen österreichischer Verwaltungsbehörden in einem anderen Mitgliedstaat der EU. Entscheidungen der Finanz- und Zollbehörden sind explizit aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen.

Der Begriff „Geldstrafe oder Geldbuße“ bedeutet die Verpflichtung zur Zahlung

  • eines in einer Entscheidung festgesetzten Geldbetrags auf Grund einer Bestrafung wegen einer strafbaren Handlung oder Zuwiderhandlung gegen Rechtsvorschriften;

  • einer in derselben Entscheidung festgesetzten Entschädigung für die Opfer, wenn das Opfer im Rahmen des Verfahrens keine zivilrechtlichen Ansprüche geltend machen darf und das Gericht in Ausübung seiner strafrechtlichen Zuständigkeit tätig wird;

  • von Geldbeträgen für die Kosten der Gerichts- und Verwaltungsverfahren, die zu der Entscheidung geführt haben;

  • von in derselben Entscheidung festgesetzten Geldbeträgen an eine öffentliche Kasse oder eine Organisation zur Unterstützung von Opfern.

Die Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten in Österreich

Das EU-VStVG regelt ausschließlich die Vollstreckung von Entscheidungen. Das der Entscheidung vorangegangene Verwaltungsverfahren wird nicht geregelt. Dieses richtet sich nach wie vor nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dem das Verfahren geführt wird.

Um die Vollstreckung einer Entscheidung in Österreich zu bewirken, hat die Entscheidungsbehörde ihre Entscheidung zusammen mit der Bescheinigung der zuständigen Behörde in Österreich zu übermitteln. Für die Bescheinigung ist das im Anhang des Rahmenbeschlusses vorgesehene Formblatt zu verwenden. Zuständige Behörde ist in Österreich die Bezirksverwaltungsbehörde oder die Landespolizeidirektion innerhalb ihres Wirkungsbereiches.

Auf das Verfahren zur Vollstreckung von Entscheidungen anderer Mitgliedstaaten ist – sofern das EU-VStVG keine Sonderregelungen enthält - das österreichische Verwaltungsvollstreckungsgesetz anzuwenden.

Erhält somit die zuständige österreichische Behörde eine Entscheidung eines anderen EU-Mitgliedstaates mit der Bescheinigung zur Vollstreckung übermittelt, so hat die österreichische Behörde die Vollstreckung nach österreichischem Recht durchzuführen. Die österreichische Behörde kann die Eintreibung einer Geldstrafe oder Geldbuße durch das zuständige Gericht nach den für das gerichtliche Exekutionsverfahren geltenden Vorschriften veranlassen oder die Vollstreckung selbst vornehmen, wenn dies im Interesse der Raschheit und Kostenersparnis gelegen ist.

Bevor die Vollstreckungsbehörde die Eintreibung der zu zahlenden Geldstrafe oder Geldbuße durch das zuständige Gericht veranlasst oder selbst vornimmt, hat sie den Bestraften zu deren Zahlung aufzufordern und ihm Gelegenheit zu geben, sich zu den möglichen Gründen für eine Verweigerung der Vollstreckung der Entscheidung zu äußern.

Beachte:
Der Bestrafte kann sich nur zur Vollstreckung äußern und Gründe geltend machen, die für eine Verweigerung der Vollstreckung durch die österreichischen Behörden sprechen. Zu dem der Strafe zugrundeliegenden Verwaltungsverfahren kann er sich nicht äußern. Solche Einwände hätte er im vorangegangenen Verwaltungsverfahren im fremden EU-Mitgliedstaat vorbringen müssen.  

Es findet durch die österreichischen Behörden grundsätzlich keine Überprüfung der ausländischen Entscheidung statt, die der Vollstreckung zugrunde liegt. Der Erlös aus der Vollstreckung fließt grundsätzlich Österreich zu.

Die Verweigerung der Vollstreckung durch österreichische Behörden

Die österreichischen Behörden müssen aus bestimmten Gründen die Vollstreckung der Entscheidung verweigern. Diese Gründe sind im EU-VStVG abschließend aufgezählt: 

1. Ein wichtiger Verweigerungsgrund besteht dann, wenn sich die Entscheidung auf eine Tat bezieht, die nach österreichischem Recht keine strafbare Handlung darstellen würde. Es gilt somit grundsätzlich das Prinzip der gegenseitigen Strafbarkeit. Von diesem Prinzip sind jedoch alle in Anlage 1 des EU-VStVG aufgezählten Delikte ausgenommen. Liegt ein solches Delikt vor, so hat Österreich jedenfalls die Vollstreckung vorzunehmen, auch wenn eine derartige Tat in Österreich nicht strafbar wäre. 

In Anlage 1 sind mehrheitlich schwere Verbrechen aufgezählt, die jedenfalls unter das gerichtliche Strafrecht fallen und somit nicht im Rahmen des EU-VStVG vollstreckt werden. Neben diesen Delikten – wie z.B. Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Terrorismus, Menschenhandel, Kinderpornografie, Vergewaltigung, vorsätzliche Tötung und schwere Körperverletzung, Geldfälschung, Cyberkriminalität, Umweltkriminalität, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, Verletzung von Rechten an geistigem Eigentum, Sachbeschädigung und Diebstahl - werden auch „gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften verstoßende Verhaltensweisen, einschließlich Verstößen gegen Vorschriften über Lenk- und Ruhezeiten und des Gefahrgutrechts“ angeführt.

Wird eine Geldstrafe oder Geldbuße somit wegen eines solchen Verkehrsdelikts verhängt, so ist diese Strafe ohne Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit von der österreichischen Behörde zu vollstrecken. Andere auf den Verkehr bezogene Strafen, die jedoch keine „gegen die den Straßenverkehr regelnden Vorschriften verstoßende Verhaltensweisen, einschließlich Verstößen gegen Vorschriften über Lenk- und Ruhezeiten und des Gefahrgutrechts, darstellen“, wie z.B. Mautvergehen, können nur bei beiderseitiger Strafbarkeit vollstreckt werden.

Sieht ein EU-Rechtsakt die Strafbarkeit für eine konkrete Tat vor und wurde in Umsetzung dieses Rechtsaktes ein entsprechender Straftatbestand im nationalen Recht geschaffen, so entfällt hinsichtlich dieses Straftatbestandes eine Prüfung der gegenseitigen Strafbarkeit.

2. Die Vollstreckung hat durch österreichische Behörden verweigert zu werden, wenn der Bestrafte laut Bescheinigung im Fall eines schriftlichen Verfahrens nicht persönlich oder über seinen Rechtsanwalt von seinem Recht, die Entscheidung anzufechten, und von den Fristen, die für dieses Rechtsmittel gelten, gemäß den Rechtsvorschriften des Entscheidungsstaats unterrichtet worden ist. Ebenso ist die Vollstreckung zu verweigern, wenn der Bestrafte im Verfahren nicht persönlich erschienen ist, es sei denn, aus der Bescheinigung geht hervor, dass der Bestrafte persönlich oder über seinen Rechtsanwalt über das Verfahren unterrichtet worden ist oder angegeben hat, dass er die Entscheidung nicht anficht. 

3. Abgesehen vom Fall der Vollstreckungsverweigerung bei fehlender, unvollständiger oder der Entscheidung offensichtlich nicht entsprechender Bescheinigung hat die Vollstreckungsbehörde noch in folgenden Fällen eine Vollstreckung zu verweigern: 

  • Geldstrafe oder Geldbuße liegt unter 70 EUR;
  • mangelndes Vermögen, kein Einkommensbezug im Inland oder kein regelmäßiger Aufenthalt oder Sitz in Österreich;

  • Vorliegen einer österreichischen rechtskräftigen Entscheidung wegen derselben Tat oder bereits vollzogene Vollstreckung einer in einem anderen Staat als dem Entscheidungsstaat oder Österreich ergangenen Entscheidung (wegen derselben Tat);

  • Verjährung der Vollstreckbarkeit gemäß österreichischem Recht, wenn sich die Entscheidung auf eine Tat bezieht, für die österreichisches Strafrecht gilt;

  • Wenn sich die Entscheidung auf eine Tat bezieht, die im Inland oder an Bord eines österreichischen Schiffes oder Luftfahrzeuges begangen wurde oder die nicht im Hoheitsgebiet des Entscheidungsstaates begangen wurde und nach österreichischem Recht im Ausland begangene Taten gleicher Art nicht strafbar sind;

  • bei Vorliegen von Immunitäten;

  • bei Strafunmündigkeit gemäß österreichischem Recht zur Zeit der Tat;

  • Gewährung von Amnestie oder Begnadigung im Entscheidungsstaat;

  • Verletzung von Grundrechten oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen gemäß Art. 6 EUV; die österreichische Vollstreckungsbehörde hat daher eingeschränkt die Möglichkeit, die der Geldstrafe zugrundeliegende Entscheidung dahingehend zu überprüfen, ob in dem ausländischen Verwaltungsverfahren Grundrechte oder allgemeine Rechtsgrundsätze verletzt wurden.

Die Vollstreckung österreichischer Entscheidungen in einem anderen Mitgliedstaat

Entscheidungen österreichischer Behörden können in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt werden, wenn eine Vollstreckung im Inland nicht möglich ist oder mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre. Um Vollstreckung wird jener Mitgliedstaat ersucht, in dem der Bestrafte über Vermögen verfügt, Einkommen bezieht oder sich in der Regel aufhält bzw. seinen eingetragenen Sitz hat.

Um die Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat einzuleiten, hat die österreichische Behörde der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaats die von ihr unterzeichnete Bescheinigung (das Formblatt dazu ist im Anhang des EU-VStVG dargestellt) zusammen mit der Entscheidung oder einer beglaubigten Abschrift der Entscheidung zu übermitteln.

Die Vollstreckung in einem anderen Mitgliedstaat richtet sich nach dessen Vorschriften, wobei die Regelungen des Rahmenbeschlusses, die in nationales Recht umzusetzen sind, zu beachten sind. Der Erlös der Vollstreckung bleibt grundsätzlich beim Vollstreckungsstaat.

Stand: 06.06.2023

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