Martin Wolf auf der Bühne beim Exporttag
© Nadine Studeny

Financial Times Chef-Kommentator Martin Wolf: Die Gefahr neuer Schocks besteht

Martin Wolf gehört zu den einflussreichsten Kommentatoren der Weltwirtschaft – für die er eine Fortsetzung der Unsicherheit prognostiziert. Der Ökonom über...

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Aktualisiert am 05.08.2023

... die drei großen Schocks in der jüngeren Vergangenheit: 

Wir leben in einem Jahrzehnt großer Umbrüche – sowohl politisch als auch wirtschaftlich –, was eine hohe Unsicherheit mit sich bringt. Abseits der Finanzkrise, deren Folgen bis heute spürbar sind, sind es vor allem drei große Schocks in den letzten vier Jahren, die allesamt ineinandergreifen. Zum einen die Pandemie mit ihren nicht nur gesundheitlichen, sondern kurz- und mittelfristig starken wirtschaftlichen Folgen, weil wir ganze Volkswirtschaften heruntergefahren haben. Das konnte sich davor niemand vorstellen und es hatte daher sehr disruptive Folgen für die Produktion und den Welthandel. Das führte zum ersten Inflationsschub. Zuvor bemühten sich die Notenbanken lange, die Inflation in die Höhe zu bringen. Jetzt sind sie beunruhigt, sie wieder nach unten zu bekommen. Heute ist die Inflation im Großen zurück, neben der Covid-Krise befeuert durch die Energiekrise, die nicht erst mit dem Ukraine-Krieg begonnen hat. Diese Kombination aus Krieg und Energiepolitik hat substanzielle Folgen auf unseren Alltag.

... den Trend zur Verschuldung:

Wir haben die am höchsten verschuldete Weltwirtschaft und die am höchsten verschuldeten Volkswirtschaften in der Geschichte. Die Staaten vor allem im Westen stehen vor dem Problem, dass ihre Wirtschaft langsam wächst, ihre Bevölkerung schnell überaltet, die Pflichtausgaben entsprechend hoch sind und der Widerstand gegen eine höhere Besteuerung sehr stark ist. Als eine Folge wird die Politik populistischer und nationalistischer. Wir wechseln in eine andere Welt.

... Lehren aus den letzten Jahren als Basis für einen Blick in die Zukunft:

Wir wissen nicht, was genau passieren wird, wie wir wachsen werden und welche Hürden auf diesem Weg warten. Das haben uns nicht zuletzt die letzten Jahre gezeigt. Deshalb ist es sehr wichtig, aus den Erfahrungen seit der Finanzkrise die richtigen Lehren zu ziehen – beispielsweise, dass Unsicherheit ein ständiger Begleiter geworden ist und Resilienz und Robustheit für jede Art von Geschäft wichtiger geworden sind. Aber die Gefahr neuer Schocks besteht.

... den globalen Wandel:

Wir befinden uns mitten in einer der größten Transformationen in der globalen Geschichte. Dabei handelt es sich nicht nur um ökonomische Verschiebungen vom Westen Richtung Osten und Südosten, sondern auch um eine machtpolitische: China und der gesamte südostasiatische Raum, wo heute schon rund die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, wird die größte und am stärksten wachsende Wirtschaftsregion der Zukunft.

... die Globalisierung und ihre Zukunft:

Wir befinden uns nach Corona zwar nicht in einer Ära der Deglobalisierung, aber es gibt eine Art „Slowbalisation“ – also eine Verlangsamung der weltweiten Verflechtungen von Wirtschaft und Gesellschaft. Die Periode der enormen Expansion des Welthandels, die es bis 2008 gegeben hat, ist vorüber. Kein einziges großes multinationales Handelsabkommen ist in jüngster Vergangenheit geschlossen worden. In manchen Regionen gibt es sogar massiven Widerstand.

... den Klimawandel:

Wir leben in einer Periode der Erderwärmung. Es gilt als sicher, dass die Temperatur im kommenden Jahrzehnt um 1,5 Grad steigt. Dieser Trend wird sich fortsetzen.

... Künstliche Intelligenz:

Der enorme Fortschritt in der Kommunikationstechnologie hat bereits viele Bereiche des Lebens verändert. Dabei stehen wir noch vor dem Auge eines weiteren „großen Orkans“ durch Künstliche Intelligenz, durch die es zu einem enormen Wandel von Wissen und Information kommen wird.



Zur Person

Martin Wolf ist ein britischer Ökonom, Journalist und Publizist (aktuelles Buch: „The Crisis of Democratic Capitalism“). Er ist Mitherausgeber und Chef-Kommentator der Financial Times. Beim diesjährigen Exporttag analysierte er vor kurzem die Lage der Weltwirtschaft.