Frau und Mann sitzen an einem Schreibtisch. Beide tragen eine VR Brille.
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Warum für Unternehmen die Zukunft (auch) virtuell wird

Virtual und Augmented Reality sind auf dem Vormarsch. Die Arbeitswelt beeinflussen sie schon jetzt. Doch was bringt die Zukunft? Und werden manche Jobs durch Technologien wie diese gar obsolet? Experten klären auf. 

Lesedauer: 4 Minuten

Aktualisiert am 14.09.2024

Man kommt in ein Büro, nimmt eine Tastatur aus einem Regal und setzt sich an einen freien Platz. Einen Bildschirm benötigt man schon längst nicht mehr. Stattdessen setzt man sich eine Brille auf, die wie eine optische Brille aussieht. Im eigenen Sichtfeld erscheint im Handumdrehen der gesamte Arbeitsbereich, bestehend aus mehreren virtuellen Bildschirmen. Man selbst sieht alles, doch alles, was andere sehen, ist man selbst mit einer Brille.

So oder so ähnlich stellt sich der Grazer Softwareentwickler Claus Degendorfer die Arbeit der Zukunft vor. 2011 gründete er mit seinem damaligen Geschäftspartner die Firma CodeFlügel. Gemeinsam mit seinem zehnköpfigen Team ist er auf Web- und App-Entwicklung sowie auf Virtual (VR) und Augmented Reality (AR) im B2B-Bereich fokussiert. Während bei der VR mittels einer Brille eine Realumgebung durch eine simulierte ersetzt wird, werden bei der AR der realen Umgebung digitale Elemente hinzugefügt. Meist geschieht das unter der Verwendung einer Smartphone-Kamera.

Keine Zukunftsmusik mehr 

Noch vor wenigen Jahren waren Anwendungen wie diese vor allem Technikbegeisterten ein Begriff. Seit geraumer Zeit setzen laut Degendorfer aber auch immer mehr Unternehmen darauf: „Noch vor zehn Jahren wurde AR von vereinzelten Firmen vor allem im Marketing- und Sales-Bereich verwendet. Häuser wurden beispielsweise virtuell auf reale Baugründe projiziert, um dem Kunden die Vorstellung des Bauvorhabens zu erleichtern. Doch seit den letzten zwei, drei Jahren steigt der Einsatz von VR und AR massiv an. Zunehmend setzen Firmen die Anwendungen in der Erstellung von Prototypen, in der Wartungsunterstützung sowie in Schulungs- und Ausbildungsszenarien ein“, erzählt Degendorfer.

So auch das Wifi  Steiermark. Seit zwei Jahren wird in der hauseigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilung an VR- und AR-Lerninhalten getüftelt. Mittlerweile kommen VR-Programme in einem Lehrgang und im Rahmen der Lehre mit Matura zum Einsatz. Zwei weitere Entwicklungen sollen dieses Jahr folgen (mehr dazu hier). 

Seit den letzten zwei, drei Jahren steigt der Einsatz von VR und AR massiv an. Zunehmend setzen Firmen die Anwendungen in der Erstellung von Prototypen, in der Wartungsunterstützung sowie in Schulungs- und Ausbildungsszenarien ein.

Der Vormarsch von VR und AR verwundert Degendorfer nicht.  Erst Anfang Februar legte Apple nach und brachte in den USA die VR-Brille Apple Vision Pro heraus. „Sobald große Firmen wie Apple oder Google in Technologien wie diese investieren, steigen immer mehr Unternehmen darauf ein. Der Trend geht in die Richtung, dass digitale Informationen in die reale Welt transportiert werden sollen – auch am Arbeitsplatz. Doch die Brillen sind noch nicht massentauglich. Sie müssten kleiner und leistbarer und zudem leichter steuerbar sein.“ Auch in den nächsten Jahren werde sich das nicht ändern. Stattdessen geht Degendorfer davon aus, dass VR- und AR-Anwendungen von Unternehmen verstärkt partiell eingesetzt werden. Vorstellbar sei das in der Produktentwicklung, in der Sicherheitsunterweisung oder in der Produktvisualisierung, beispielsweise von Kleidung.

VR und AR haben für Unternehmen Potential

Ähnliche Einsatzmöglichkeiten kann sich auch Christian Dayé, Zukunftsforscher an der TU Graz, vorstellen. Dass VR- und AR-Technologien in der Arbeitswelt der Zukunft immer mehr Einzug halten, steht für ihn außer Frage: „Überall, wo es wissensbasierte Arbeitsabläufe gibt und geometrische Körper visualisiert werden können, werden VR und AR unterstützend zum Einsatz kommen.“ Anwendungsmöglichkeiten gebe es viele: Eine Ärztin könnte so beispielsweise leichter einen Zugang legen, wenn sie die Ader mittels AR auf den Arm eines Patienten projiziert bekommt. Aber auch im Biologieunterricht in der Schule oder im Design-Bereich wäre der Einsatz von VR- und AR-Brillen laut Dayé möglich. 

Mit neuen Technologien gehen Unternehmen unterschiedlich um. Während manche sofort auf neue Tools setzen, zeigen sich andere abwartend bis ablehnend. Auch bei VR und AR sei das zu beobachten, weiß Claus Degendorfer. Kunden, die seine Firma aufsuchen, kämen häufig mit dem Wunsch, eine AR- oder VR-Visualisierung umzusetzen. Der Softwareexperte rät jedoch häufig davon ab. Als Faustregel gilt: Sobald die Technologie die Arbeit erschwert, macht es keinen Sinn, auf sie zu setzen. „Ein Unternehmer wendete sich einmal mit dem Wunsch an mich, eine Software für eine VR-Brille zu entwickeln, die im Lager verwendet werden kann. Ich riet ihm davon ab. Das Sichtfeld der Angestellten wäre stark eingeschränkt worden und die Brille hätte durch die Arbeitsumgebung leicht beschädigt werden können. Das hätte sich nicht gelohnt.“ 

Es geht bei Technologien immer um den ökonomischen Nutzen. Wenn ich einen solchen für mein Unternehmen nicht erkennen kann, dann brauche ich auch nicht darauf setzen. 

Dem kann Christian Dayé nur beipflichten. „Es geht bei Technologien immer um den ökonomischen Nutzen. Wenn ich einen solchen für mein Unternehmen nicht erkennen kann, dann brauche ich auch nicht darauf setzen. Ja, die Arbeit der Zukunft wird sicherlich stark von technologischen Entwicklungen abhängig sein. Aber man muss nicht krampfhaft versuchen, alles mitzumachen.“

Aber auch die Angst vor neuen Technologien sei unbegründet. Die Befürchtung, dass AR oder VR den Arbeitsmarkt verwerfen könnten, indem Menschen ersetzt werden, teilt Dayé nicht. „Beide Technologien können den Menschen nur unterstützen. Natürlich kommt es in der Arbeitswelt immer wieder zu Verschiebungen. Die Künstliche Intelligenz wird vor allem in der Wissensarbeit Einzug halten. Hier werden künftig wahrscheinlich weniger Arbeitskräfte gebraucht werden. Doch dem Menschen wird schon etwas einfallen, um sich zu beschäftigen.“