Sparte Industrie

EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur beschlossen

Der EU-Umweltrat hat am 17. Juni 2024 mit hauchdünner, qualifizierter Mehrheit den Kompromisstext angenommen

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24.06.2024

Sowohl die Vorgehensweise von Bundesministerin Leonore Gewessler als auch die möglichen Auswirkungen für Land- und Forstwirtschaft bzw. die Ernährungssicherheit werden seit Wochen kontroversiell diskutiert. Folgen für die produzierende Industrie wurden bis dato nicht beleuchtet. In Aussendungen von NGOs wurden zwar „absurde Falschmeldungen der Industrielobby“ kritisiert, die Industrie hatte sich aber nur sachlich im Sozialpartner-Verbund und in Stellungnahmen gegenüber den Ministerien geäußert.

Welche Auswirkungen hat die Verordnung möglicherweise für heimische Standorte und Branchen der Industrie?

  • Unklarer Rechtstext: Der beschlossene Kompromiss lässt – so wie derzeit viele Rechtstexte des Green Deal – Kern-Fragen und -Forderungen der Wirtschaft offen. Hört man Befürwortern und Gegnern in den Medien zu, denkt man, es handle sich um die Beschreibung zweier verschiedener Rechtsakte. Unklarheit fördert Rechtsunsicherheit und bremst Investitionen. Aus dieser Perspektive ist die Verordnung kein positiver Schritt nach vorne.

  • Flächen: Die EU-Mitgliedstaaten sind ab nun verpflichtet, bis 2030 mindestens 30 %, bis 2040 60 % und bis 2050 90 % aller Lebensräume in schlechtem Zustand wiederherzustellen. Nach 2030 gilt das Verschlechterungsverbot auf allen wiederhergestellten Flächen - auch außerhalb von Natura 2000 Schutzgebieten. Fazit: Niemand kann derzeit betroffenen Unternehmen sagen, was rund um ihre Standorte in 5-10 Jahren passieren wird.

  • Verfügbarkeit von erneuerbaren Rohstoffen: Österreich verfügt über eine kleinstrukturierte Land- und Forstwirtschaft. Werden Bewirtschaftungsmaßnahmen zu kompliziert oder der Ertrag zu gering (Einschränkungen beim Pflanzenschutz oder bei Düngung), rechnet es sich nicht mehr für kleine Produzenten. Unternehmen, die Wert auf regionale Versorgung mit Rohstoffen legen, verlieren Lieferanten. Auch die Gesamtmenge der Rohstoffe wird geringer: Dass durch die Wiederherstellungsmaßnahmen die Produktivität in der Land- und Forstwirtschaft steigen wird, darf bezweifelt werden.

  • Bioökonomie- und Erneuerbaren-Bremse? Einige Industriebranchen wie Chemie, Papier oder Holzverarbeitung entwickeln als Antwort auf Dekarbonisierung und Klimaziele Lösungen im Rahmen der Bioökonomie. Bioraffinerien liefern künftig vielfältige Produkte und treiben die Innovation voran. Wertschöpfung auf Basis von nachwachsenden Rohstoffen kann aber nur gelingen, wenn ausreichende Mengen vor Ort verfügbar sind. Sinkt das Angebot durch eine Steigerung von unproduktiven Flächen und durch Verschlechterungsverbote, so wird Österreich im selben Grad als Bioökonomie-Standort unattraktiver. Gleiches gilt für erneuerbare Energie aus Biomasse oder Biomethan.

  • Rohstoffabbau-Bremse? Auch der Abbau mineralischer Rohstoffe kann von der Renaturierung betroffen sein, wenn die Anzahl jener Flächen steigt, die einem speziellen Schutz oder einem Verschlechterungsverbot unterworfen sind. In der Abwägung zwischen der Forcierung von Rohstoffabbau (Erhöhung der EU-Eigenversorgung; Aufbau und Ausbau der Erneuerbaren-Energie-Infrastruktur) und Naturschutz/Biodiversitätszielen/Renaturierungserfordernissen geraten wirtschaftliche Argumente stärker ins Hintertreffen.

Hintergrund: Welche allgemeinen Ziele legt die Verordnung u.a. fest?

  • Die EU-Mitgliedstaaten sind verpflichtet, bis 2030 mindestens 30 %, bis 2040 60 % und bis 2050 90 % aller Lebensräume in schlechtem Zustand wiederherzustellen. Als gemeinsames Unionsziel sind bis 2030 mindestens 20 % der Landflächen und bis 2050 alle Ökosysteme, die der Wiederherstellung bedürfen, abzudecken.

  • Bis 2030 hat dies prioritär in bestehenden Natura-2000-Gebieten (EU-FFH-RL 1992 und Vogelschutz-RL 1979) zu geschehen, danach aber auf allen relevanten Flächen eines Staatsgebietes.

  • Ist der gute Zustand wiederhergestellt, gilt das Verschlechterungsverbot, welches natürlich Auswirkungen auf Bewirtschaftungsformen oder Handlungen mit Bezug zu den Schutzgütern hat.

Wie umfassend können Eingriffe und Maßnahmen mittel- und langfristig sein?

  • Laut EU-Kommission sind 80 % der Schutzgüter (gemäß der Definition der EU FFH- und Vogelschutz-RL = Natura 2000) in keinem guten Zustand. Da die Verordnung für das gesamte Territorium der EU gilt, müssen beträchtliche Flächen Österreichs künftig grundlegend „saniert“ werden, da diese Schutzgüter auch außerhalb bestehender Natura 2000-Flächen angesiedelt sind.

Werden alle Maßnahmen freiwillig erfolgen?

  • Befürworter der Verordnung argumentieren, dass die Verordnung längst entschärft sei und die allgemein formulierten Ziele mit freiwilligen Maßnahmen erreicht werden können. Sofern sich aber zu wenige Grundeigentümer bzw. Bewirtschafter oder auch Unternehmen finden, die dies freiwillig mittragen, muss sich der Staat anderer Mittel bedienen, um Vertragsverletzungsverfahren und Strafen zu vermeiden. Der politische Druck auf die Bundesländer, die verfassungsmäßig für Naturschutzagenden zuständig sind, steigt. Enteignungen oder verordnete Maßnahmen sind vielleicht die Ultima Ratio, aber nicht abwegig. Hinzu kommt, dass Verschlechterungsverbote natürlich eine negative Auswirkung auf den Verkehrswert von Grund und Boden haben können. Generelle Abgeltungen sind hier bis dato nicht üblich.

Ist die Finanzierung der Renaturierung gesichert? Wer bezahlt die erforderlichen Maßnahmen?

  • Darüber gibt die Verordnung nur vage Auskunft. Auf Finanzmittel aus dem Haushalt der Union und Finanzierungsprogrammen der Union wird ebenso verwiesen, wie auf LIFE, die ländliche Entwicklung (ELER) oder die vielfach strapazierte Aufbau- und Resilienzfazilität. Aufgrund des Kompromisses, keine Gelder aus dem Landwirtschaftsbudget (GAP etc.) bis 2027 zu verwenden, müssen die Mitgliedstaaten einen Großteil der Kosten sicher selbst übernehmen. Diesen Aspekt hatten einige Bundesländer im Laufe der Verhandlungen mehrfach kritisiert.

Autor:

Mag. Richard Guhsl
E-Mail: richard.guhsl@wko.at