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Zeitraum 1930 bis 1939
© WKO Steiermark

Teil 9/3. Wechsel der politischen Systeme: Demokratie auf der Rüttelplatte

Mit dem Beitritt zur Europäischen Union änderte sich das politische Koordinatensystem Österreichs. Trotz Vorteilen ist sie – und mit ihr die Demokratie – in die Defensive geraten.

Lesedauer: 2 Minuten

Aktualisiert am 08.05.2025

Im Gleichschritt mit Schweden und Finnland wurde Österreich am 1. Jänner 1995 Mitglied der Europäischen Union (damals noch Europäische Gemeinschaft, EG). 66,6 Prozent der Bevölkerung hatten sich ein halbes Jahr davor bei einer Volksabstimmung für einen Beitritt ausgesprochen. Er bedeutete die bislang letzte große Änderung im politischen System der Zweiten Republik, da damit die europäische Gesetzgebung und der europäische Rechtsbestand einen dominanten Einfluss bekamen. Viele Entscheidungen wanderten von Wien nach Brüssel. Staatliche Eigenständigkeit wurde gegen das größere Miteinander und damit gegen wirtschaftliche und strategische Sicherheit getauscht. Der gewachsene und liberalere Markt brachte zwar deutlich mehr internationalen Wettbewerbsdruck. Dafür bugsierten der Zusammenbruch des kommunistischen „Ostblocks“ und die schrittweise Aufnahme der Nachbarländer in die EU Österreich von der Peripherie ins Zentrum Europas. 

Unterm Strich hat Österreich von diesen Entwicklungen vor allem auch wirtschaftlich profitiert. Die EU ist heute unsere wichtigste Exportregion: 70 Prozent des Außenhandels werden mit EU-Ländern abgewickelt. So haben sich Österreichs Exporte in die anderen EU-Mitgliedstaaten in den vergangenen 30 Jahren beinahe vervierfacht – von 33 Milliarden Euro im Jahr 1995 auf 128 Milliarden Euro im Jahr 2024. Dazu kommen Einsparungen durch den Wegfall von Zöllen, Zollkontrollen, damit verbundenen Wartezeiten und nichttarifären Handelsbarrieren sowie eine Verzehnfachung der ausländischen Direktinvestitionen in Österreich seit 1995. Durch die EU-Strukturfonds haben sich Wohlstandsunterschiede in den Regionen eingeebnet.

Parlament in Österreich mit einer Werbung zur EU-Wahl 2014
© Adobe Stock

Dennoch blieb die Begeisterung für den gemeinsamen Wirtschaftsraum und seine Institutionen spürbar unterkühlt. Zehn Jahre nach dem Beitritt hielten ihn nur noch 32 Prozent der Österreicher für „eine gute Sache“, der Vertrauensindex in die EU lag österreichweit bei 41 Prozent, besonders schlecht fiel der Wert in der Steiermark mit nur 26 Prozent aus. Weitere zehn Jahre später, am Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015, war das Vertrauen in die EU schließlich auch bundesweit auf dieses Niveau abgesackt. 

Seither geht es zumindest langsam bergauf. In der letzten Eurobarometer-Umfrage Ende vergangenen Jahres gaben immerhin wieder 51 Prozent der Befragten an, der EU zu vertrauen. Den wirtschaftlichen Vorteilen stehen aber weiterhin wachsende politische Vorbehalte gegenüber. Parallel wird die liberale Demokratie als grundsätzliche Wert- und Wirtschaftsordnung immer öfter zum Ziel populistischer Attacken. Das Liebäugeln mit autoritärer Herrschaft scheint da und dort breitere Akzeptanz zu finden. Der öffentliche Diskurs, eine Debattenkultur, die die Schwarmintelligenz der Gesellschaft als Basis der Demokratie nützt, weicht zunehmend kompromisslosen Konfrontationen – und mündet nicht selten im Konflikt.    

Ist die Demokratie in Gefahr? Werden die Erfahrungen aus der Geschichte nicht mehr als warnenden Wegmarkierungen gelesen? Zumindest ist das Schutzschild löchriger geworden.    


Drei Fragen an Historiker Thomas Krautzer

Am 27. April 1945 wurde die Zweite Republik ausgerufen. Was folgte?

SPÖ und ÖVP sowie die Kommunisten begruben ihre Kriegsbeile aus der Ersten Republik und einigten sich auf eine Zusammenarbeit in einer republikanischen Demokratie. Noch 1945 wurden erste Wahlen abgehalten, das Parlament und eine Konzentrationsregierung im Bund sowie die Landesregierungen und Landtage nahmen die Arbeit auf.

Welche Rolle spielten die Sozialpartner in dieser Zeit?

Sie fügten sich in das neue Miteinander und halfen mit Lohn- und Preisabkommen bei der Inflationsbekämpfung, kommunistische Unruhen wurden gemeinsam abgewiesen, der neue Staat als neue Chance wie ein junges Pflänzchen gehegt und gepflegt.

Dieses Selbstverständnis hat sich erhalten? 

Ja, es galt in der Besatzungszeit bis 1955 und auch für die neutrale Selbständigkeit danach. Und daran hat sich bis heute nur wenig geändert, auch wenn Unarten wie die parteinahe Machtverteilung durch den Proporz oder gewisse Überregulierungen auch negative Akzente setzten. Insgesamt blieb das Bekenntnis zu Demokratie und Freiheit bis heute unverbrüchlich.