„Wir haben gelernt, wie verwundbar wir sind“
Christian Berg blickt als Physiker und Theologe auf die Wirtschaft, ihre Grenzen und Grenzüberschreitungen und spricht darüber beim Exporttag am 15. November.
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2015 hat sich die internationale Staatengemeinschaft mit dem Pariser Klimaschutzabkommen darauf verständigt, dass die globale Klimaerwärmung nicht über plus 1,5 Grad steigen darf. Aktuelle Messungen zeigen, dass das nicht mehr realistisch ist. Wie sehr beunruhigt Sie das?
Berg: Das ist sehr beunruhigend – zunächst natürlich der Sache wegen: Denn wir erleben in den vergangenen Jahren überall auf der Welt so viele Extremwetterereignisse, dass man sich nicht wirklich vorstellen mag, wie sich das in den nächsten Jahrzehnten noch verschärfen wird. Beunruhigend ist aber auch, dass wir es trotz des Pariser Klimaabkommens bisher nicht geschafft haben, die Emissionen zu senken. Und angesichts der derzeitigen geopolitischen Lage sieht es leider auch nicht so aus, als würde sich das bald ändern.
Wer trägt dafür die Verantwortung?
Berg: Wir alle! Wenn jeder sein eigenes kleines Subsystem auf Kosten anderer zu optimieren sucht, verlieren alle. Das gilt im kleinen privaten Bereich, in konkurrierenden Abteilungen in Unternehmen bis zur großen Politik. Es gibt nicht den einen Akteur, der nur das Richtige tun müsste, damit wir nachhaltig werden. Ich vertrete einen systemischen Ansatz, bei dem alle Akteure in ihrer jeweiligen Rolle gefordert sind.
Unternehmerisches Handeln zielt auf Wachstum ab. Das braucht Ressourcen und Energie. Wie kann sich diese Rechnung im Sinne der Nachhaltigkeit ausgehen?
Berg: Wenn das Wachstum mit einem gesteigerten Verbrauch an Ressourcen einhergeht: gar nicht! Das Ziel muss sein, Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Ob das global gelingen kann, ist aber umstritten. Deshalb werden wir im globalen Norden auch weniger wachsen – was wir ja auch faktisch schon tun. Das muss aber kein Verlust sein. Ab einem gewissen Punkt sind Beziehungen für das menschliche Wohlbefinden viel wichtiger als wirtschaftliche Prosperität. Oder auch Sinn: Der Wiener Neurologe Viktor E. Frankl hat stets die große Bedeutung der Sinndimension für das menschliche Leben hervorgehoben. Dafür braucht es keine Ressourcen.
Viele Klein- und Mittelbetriebe tun in Sachen Nachhaltigkeit schon einiges, fühlen sich aber machtlos, weil anderswo wenig bis nichts unternommen wird.
Berg: Auch in anderen Regionen wird kräftig in eine nachhaltigere Wirtschaft investiert. China beispielsweise investiert gewaltige Summen sowohl in erneuerbare Energien als auch in die Kreislaufwirtschaft, und die geplanten Investitionen in diesen Bereichen übersteigen den Inflation Reduction Act der USA, über den in Europa viel gesprochen wird, um ein Vielfaches.
Ist die Globalisierung in Bezug auf Nachhaltigkeit Fluch oder Segen?
Berg: Sie ist wohl beides. Wir haben in den vergangenen Jahren gelernt, wie verwundbar wir durch eine zu starke Abhängigkeit von globalen Warenströmen sind. Globale Verflechtungen kritisch zu beleuchten und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, ist nicht nur ein Gebot der Umweltpolitik, sondern auch eine Frage der Resilienz von Unternehmen, aber auch von ganzen Volkswirtschaften und sogar der Entwicklungspolitik. Unser Wirtschaften darf nicht länger auf Kosten der Umwelt oder der Menschen in ärmeren Ländern geschehen.
Sind die UN-Nachhaltigkeitsziele dafür eine brauchbare Handlungsanleitung?
Berg: Sie sind zweifellos wichtig – als politische Ziele. Doch sind sie eher nicht als Handlungsanweisung zu sehen, sondern zunächst einmal 17 Ziele mit 169 Teilzielen, von denen viele einander bedingen oder aber konterkarieren. Welches konkrete Handeln auf welches Ziel einzahlt, ist ungleich schwieriger festzustellen.
Sind unsere Prognosen für das Morgen überhaupt ausreichend valide, um heute passende Limits zu setzen?
Berg: Das ist eine gute Frage! Ich würde in Anlehnung an den österreichisch-britischen Philosophen Karl R. Popper sagen: Wir sollten unsere Lieblingsideen für die Welt von morgen immer auf den Prüfstand stellen, Pfadabhängigkeiten vermeiden und beständig nach neuen Lösungen suchen. Das entbindet uns aber nicht von der Verantwortung, unser Handeln daran auszurichten, die planetaren Grenzen einzuhalten!
Zur Person
Christian Berg hat Physik, Philosophie und Theologie studiert, unterrichtet an der TU Clausthal und ist Mitglied des deutschen Präsidiums des „Club of Rome“. Sein Buch „Ist Nachhaltigkeit utopisch?“ versteht sich als Bericht an diesen Think Tank, der schon 1972 die Grenzen des Wachstums proklamiert hat.