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Kathedrale in Bulgarien
© Adobe Stock/pespiero

Rekordhalter bei Wahlen und Löhnen

Bulgariens Wirtschaft ist stabil – und damit das Gegenteil der Politik des Landes. Erste Folgen werden spürbar. 

Lesedauer: 3 Minuten

Aktualisiert am 07.11.2024

Sieben Parlamentswahlen in vier Jahren: Damit hält Bulgarien einen bedingt glorreichen Rekord in der EU. Zuletzt wurden die Wahlberechtigten am 27. Oktober zu den Urnen gerufen. Nach einer stabilen Mehrheit sieht es wieder nicht aus. Im Gegenteil: Die großen Parteilager teilen sich in ein prowestliches und prorussisches, dazu kommen Klein(st)fraktionen. Das bulgarische Parlament ist so zersplittert wie lange nicht mehr. Konkrete Koalitionsverhandlungen sollen demnächst starten.

Die politische Dauerkrise strahlt längst direkt auf die Wirtschaft des Landes aus. Durch die schleppenden Reformen – wie den Ausstieg aus Kohle – kann beispielsweise weitere Corona-Hilfe aus Brüssel nicht abgerufen werden. Dadurch läuft das Land in weiterer Folge Gefahr, auch Geld aus dem europäischen Wiederaufbaufonds „Next Generation“ zu verlieren. 12,3 Milliarden Euro wären aus diesem Topf bis 2027 für Bulgarien reserviert, neun Milliarden allein für Investitionen im Umwelt- sowie im digitalen Bereich. Bisher wurde nur ein Viertel abgerufen. Für mehr fehlt es vor allem an einer regulären Regierung, nachdem wegen der politischen Turbulenzen meist nur kommissarische Übergangsregierungen im Amt sind. 

Hohe Lohndynamik

Auch Investoren aus dem Ausland bleiben zurückhaltend. „Ihnen fehlt die politische Stabilität und Vorhersehbarkeit“, verweist Österreichs Wirtschaftsdelegierter in Sofia, Philippe Kupfer, auf eine aktuelle Umfrage unter österreichischen Unternehmen, die in Bulgarien aktiv sind. Auch was die ursprünglich für Anfang 2024 geplante Einführung des Euro angeht, sitzt das Land noch im Warteraum. Die Landeswährung Lew ist zwar an den Euro gekoppelt, was fehlt, ist die notwendige Preisstabilität. 

Zumindest normalisiert sich die noch vor zwei Jahren auf 13 Prozent explodierte Inflationsrate weiterhin zügig: Nach 8,6 Prozent im vergangenen Jahr wird heuer nur noch mit 3,4 Prozent gerechnet. Auch die Konjunkturentwicklung sei mit einem für heuer prognostizierten Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent nicht schlecht, sagt Kupfer. Getragen wird es von einer „unglaublichen Lohndynamik“ (Kupfer) – allein im ersten Halbjahr stiegen die Reallöhne um durchschnittlich 14 Prozent – und einer damit befeuerten hohen Inlandsnachfrage. Damit schmilzt freilich umgekehrt gegenüber dem Westen der Standortvorteil eines niedrigen Lohnniveaus. Ein attraktiver Markt bleibt Bulgarien dennoch. 2023 wurden österreichische Waren im Wert von 1,2 Milliarden Euro nach Bulgarien exportiert – ein Plus von rund fünf Prozent gegenüber 2022. Ganz oben auf der Ausfuhrliste standen dabei Maschinenbauerzeugnisse und Fahrzeuge. Wirtschaftsdelegierter Kupfer verweist unter anderem auf die starke indus­trielle Basis im Land. Potential sieht er daher weiterhin für die metallverarbeitende Industrie, für Autozulieferer und Automatisierungsspezialisten sowie Unternehmen aus der chemischen Industrie. Auch die Bauindustrie boomt – nicht zuletzt, weil sehr günstige Kredite geboten werden. In Sachen Energiewende wird intensiv nach einem Weg aus der Kohle gesucht. So bringt seit zwei Jahren eine neue Gaspipeline über Griechenland Erdgas aus Aserbaidschan ins Land, womit rund ein Drittel des jährlichen Bedarfs gedeckt wird.

Österreichs Veto

Während diesbezüglich die Grenze also offen war, gab es beim Beitritt Bulgariens zum Schengenraum dagegen gröbere Turbulenzen. Der Auslöser: Österreich. Zwar hatten sich die EU-Innenminister bereits 2022 auf eine Südosterweiterung des Schengenraums um Kroatien, Rumänien und Bulgarien geeinigt. Bei den Letztgenannten legte sich Österreich aber mit Verweis auf das Nicht-in-den-Griff-Bekommen der illegalen Migration in diesen beiden Ländern quer. Mit März heurigen Jahres wurden die Grenzkontrollen zumindest im Luftverkehr aufgehoben. Noch im November soll auch für die Landgrenzen Österreichs  Veto fallen.

Bulgarien in Zahlen

  • 6,44 Millionen Einwohner leben in Bulgarien. Das Land hat 110.996 Quadratkilometer. 
  • 2,994 Milliarden Euro betrugen die österreichischen Direktinvestitionen 2023. Damit ist Österreich zweitgrößter Auslandsinvestor. 
  • 2,1 Prozent Wirtschaftswachstum gab es im ersten Halbjahr. Damit schreibt sich ein positiver Konjunkturtrend fort. 
  • 14,9 Prozent stiegen die Reallöhne durchschnittlich allein im vergangenen Juli. Das befeuert die Inlandsnachfrage.