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Selvam
© Selvam

Aufbruchsgeist für die neue Weltordnung

Sicherheitsexperten vermessen den in Bewegung geratenen Weltmarkt und wesentliche Akteure zwischen Kriegen und Krisen. 

Lesedauer: 2 Minuten

Aktualisiert am 05.06.2025

„Wir befinden uns in einem geopolitischen Interregnum“, analysiert Velina Tschakarova. Die Spezialis­tin für geopolitische Strategien rät beim diesjährigen WKO-Exporttag in Wien heimischen Unternehmen daher, „nicht passiv abzuwarten, bis sich etwas manifestiert, sondern aktiv zu handeln“. Auch Walter Feichtinger, Präsident des Zentrums für strategische Analysen, sieht angesichts der sich wandelnden Weltordnung die Zeit reif, „ein neues starkes europäisches Selbstbewusstsein zu entwickeln und damit auch zu agieren“. Allerdings: „Wir haben eine Mentalität des Lamentierens entwickelt und sehen die Vorteile nicht“, fordert Feichtinger mehr Aufbruchsgeist ein.
Ökonomische Krisenhaftigkeit und geopolitische Schocks könnten einem derartigen Wandlungsprozess in die Hände spielen. Denn egal, ob es sich um Handels- und Zollkriege oder auch um militärische Auseinandersetzungen handelt: Sie sind nicht unbedingt und ausschließlich etwas Schlechtes für Unternehmen, ist Tschakarova überzeugt: „Dort sind die größten Chancen und Möglichkeiten versteckt.“ Bei entsprechender Vorbereitung könne man sogar gestärkt aus der Situation hervorgehen.

Neue Multipolarität


Tschakarova nennt als mögliche Szenarien zum einen die systemische und ihrer Meinung nach irreversible Entkoppelung zwischen China und den USA: „Alle anderen müssen sich im Graubereich zwischen diesen beiden Machtzentren strategisch platzieren.“ Zum anderen die immer größer werdende Rolle aufstrebender Mittelmächte wie Indien, Brasilien, Saudi-Arabien, Indonesien oder die Türkei. „Diese Staaten haben kein Interesse, vereinnahmt zu werden, sondern wollen ihre eigene Rolle spielen“, ergänzt Feichtinger. 
Dementsprechend und zunehmend selbstbestimmter treten sie auch auf der internationalen Bühne auf und stellen ihre Forderungen. „Asymmetrische Multipolarität“ nennt Feichtinger die neue Konstellation und sieht auf dem aktuell volatilen Weltmarkt mit seinen vielen Akteuren die europäischen Staaten als „sehr begehrte Partner“ – sofern sie sich von den Amerikanern lösen. „Als Anhängsel kommt man international nicht gut an und macht auch keine Geschäfte.“


Feichtinger warnt daher davor, dass Europa – wenn es zu einer Aussöhnung oder zu einer Verständigung zwischen Russland und den USA kommt – zwischen den Stühlen dieser beiden Blöcke zu sitzen komme. Daher müsse sich hier Europa stark aufstellen, um als Akteur bestehen zu können. Ähnliches gelte gegenüber China. Ökonomisches Potential für österreichische Unternehmen ortet Tschakarova vor allem in Freihandelsabkommen. Diesbezüglich sei die EU weiterhin der größte institutionelle Akteur der Welt. Zwar habe man die führende Rolle als Handelsblock an das von China angeführt Asien verloren, immer noch sei man aber der global größte Binnenmarkt. Ihn gelte es über Abkommen mit Südostasien, Kanada beziehungsweise Latein­amerika zu verbinden. 

Ungeliebter Nachbar 


Feichtinger rät indes, auch den Kontakt mit Russland nicht zu verlieren. „Wirtschaftsbeziehungen sind genauso wie sportliche Beziehungen eine vertrauensbildende Maßnahme und wir müssen uns vor Augen führen, dass Russland unser Nachbar bleibt.“ Daher würde er Kontakte, die in Bezug auf das Sanktionsregime unverfänglich und nicht problematisch sind, weiter aufrechterhalten.