Digitale Tools für bessere Versorgung
Das Gesundheitssystem steht immer öfter in der Kritik. Abhilfe schaffen digitale Lösungen. Die Steiermark gilt als besonders innovatives Pflaster.
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Ärzte- und Pflegekräftemangel, lange Wartezeiten auf Kassenarzttermine und wenig Zeit für Patientengespräche: Keine Frage, das österreichische Gesundheitssystem genoss schon mal einen besseren Ruf. Das wirkt sich auch auf das Vertrauen in die Gesundheitsversorgung aus. Laut einer Marketagent-Umfrage aus dem Jahr 2025 glauben 68 Prozent der Befragten, dass die Behandlungsqualität davon abhängt, ob man privat oder gesetzlich versichert ist, und 55 Prozent wünschen sich eine grundlegende Reform des heimischen Gesundheitssystems.
Dass die Zeichen auf Veränderung stehen, sieht auch Bernadette Matiz vom Gesundheitsfonds Steiermark. So werden auch in der Grünen Mark telemedizinische Angebote immer präsenter. Dafür sorgt auch der Gesundheitsfonds, der zwischen 2023 und 2025 im Rahmen des Calls „Digital!Healthcare“ sechs Projekte mit rund 1,1 Millionen Euro fördert. Der Einsatz macht sich bezahlt, weiß Matiz: „In den Arztpraxen und Krankenhäusern ist E-Health mittlerweile angekommen. Von Ländern wie Dänemark oder Finnland können wir aber noch viel lernen.“
Als Vorzeigeprojekt gilt das „HerzMobil Steiermark“, das seit 2017 Patienten mit Herzschwäche über Telemonitoring unterstützt. Initiiert wurde das Projekt in Tirol. Mittlerweile wird es in fast ganz Österreich umgesetzt. Betrieben wird es mit einer Software des Grazer Unternehmens Telbiomed. Und man geht in der Grünen Mark noch einen Schritt weiter. Basierend auf der gleichen Software, läuft gerade das Pilotprojekt OnkoMobil an, mit dem die Brustkrebs-Nachsorge erleichtert werden soll. Die Vorgangsweise? Patientinnen können Beschwerden über eine App melden. Daraufhin erhalten sie Textinfos sowie Anrufe von Pflegepersonen. Spezialambulanzen werden so seltener aufgesucht.
Dass Digitalisierung jedoch nicht nur in der Behandlung, sondern auch in der Prävention eingesetzt werden kann, weiß Wolfgang Kratky, Digital Health Manager in den geriatrischen Gesundheitszentren der Stadt Graz. „Die Menschen in Österreich haben eine hohe Lebenserwartung, jedoch verbringen sie vergleichsweise wenige Jahre in Gesundheit. In Österreich liegt die Anzahl der gesunden Lebensjahre bei unter 60, in Schweden bei 75 Jahren.“ Ein Problem, denn zugleich gibt es immer weniger Ärzte und Pflegekräfte. Was es also braucht, um die Lücke zu schließen? „Wir müssen dafür sorgen, dass ältere Menschen möglichst lange und gesund zu Hause bleiben können. Da bieten sich die verschiedensten Technologien an. Von Rufhilfegeräten über barrierefreie Wohnraumanpassungen bis hin zu Medikamentenerinnerungen am Smartphone“, erklärt Kratky. Sorge, dass ältere Menschen mit Technik nicht zurechtkommen würden, kann er indes entkräften: „Verallgemeinerungen sind schwierig, aber Menschen, die aktuell unter 75 Jahre alt sind, sind an digitale Lösungen meistens gewöhnt.“
Elyte Diagnostics unterstütz Patienten mit Herzproblemen
Rund 300.000 Menschen sind in Österreich von einer Herzinsuffizienz betroffen. Damit gehört die sogenannte Herzschwäche zu den häufigsten Erkrankungen im höheren Lebensalter. Schwächelt das Herz, leiden oft auch die Nieren – und umgekehrt. Oft gehen mit einer Herzinsuffizienz und der entsprechenden Medikation auch gefährlich erhöhte Kaliumwerte einher. Diese können zu Herzrhythmusstörungen oder sogar zum Herzstillstand führen. Ob die Kaliumkonzentration tatsächlich erhöht ist, kann bisher nur über eine venöse Blutprobe beim Arzt bestimmt werden. „Das kostet sowohl den Patienten als auch dem Arzt viel Zeit“, wissen Andreas Fercher und Stefan Köstler vom Grazer Unternehmen „Elyte Diagnostics“. Sie tüfteln daher gerade an einem Elektrolyt-Test für zu Hause mit denkbar einfacher Anwendung. „Man muss sich nur in den Finger picksen, einen Tropfen Blut mit einem Teststreifen aufsaugen und diesen dann in das entsprechende Gerät stecken“, erzählt Fercher. Die Messwerte werden am Gerät selbst sowie auf einer App angezeigt und sind auch für den behandelnden Arzt ersichtlich. Sollten sich die Werte ändern, kann der Arzt entsprechende Maßnahmen ergreifen.
Bösartige Hauterkrankungen frühzeitig daheim erkennen
Ein Muttermal, ein Knötchen oder eine Warze? Wer eine Hautveränderung feststellt, ist oft beunruhigt. Für schnelle Aufklärung kann der SkinScreener vom Grazer Unternehmen „Medaia“ sorgen. Seit Ende 2020 ist die App, die sich dezidiert an Laien richtet, am Markt. Die Anwendung ist einfach erklärt: Benutzer fotografieren die betroffene Hautstelle mit der Handykamera. Die App erkennt mittels KI, ob die Stelle einer weiteren ärztlichen Abklärung bedarf, und informiert den Benutzer. Die Treffsicherheit ist hoch: „Die App erkennt 98 Prozent aller relevanten Hautkrebsarten. Wir wollen mit dem Tool aber keinesfalls die jährlich empfohlene Untersuchung bei Dermatologen ersetzen, sondern eben priorisieren. Bei knapp 90 Prozent der Scans gibt die App Entwarnung und sorgt für Beruhigung“, erklärt CEO Albin Skasa. Mittlerweile wurde das Tool bereits 400.000 Mal heruntergeladen und verzeichnet eine Million Scans in 13 Ländern. „Wir richten uns an alle, aber überwiegend sind es Frauen zwischen 25 und 55 Jahren, die die App nutzen“, verrät Skasa. In der Steiermark wird der SkinScreener auch in 32 Arztpraxen probeweise eingesetzt. „Medaia“ selbst möchte künftig den osteuropäischen Markt erschließen.
Pflaster mit Temperatursensor revolutioniert Fiebermessung
Die Körpertemperatur sagt so einiges über den aktuellen Gesundheitszustand aus. Kein Wunder, dass nach Operationen die Temperatur regelmäßig kontrolliert wird. Doch kann etwas verbessert werden, das sich schon seit Jahren bewährt hat? Durchaus, meint Werner Koele. Mit seiner in Raaba ansässigen Firma „Steady Sense“ hat er ein Pflaster entwickelt, das Messungen vereinfacht und das Pflegepersonal entlastet. Ausgestattet ist das Pflaster mit Temperatursensoren. Einmal aufgeklebt, kann es eine Woche lang am Körper bleiben und misst alle fünf Minuten kontinuierlich die Temperatur. Der Vorteil? „Es wird immer an der gleichen Körperstelle gemessen und auch die Genauigkeit ist wesentlich höher als bei herkömmlichen Messgeräten. Im Schnitt lässt sich eine Temperaturveränderung nach Operationen rund zweieinhalb Stunden früher erkennen. Dadurch kommt es zu weniger Komplikationen, Patienten können einen Tag früher die Klinik verlassen und das Bett wird schneller frei.“ Neben der professionellen Anwendung vertreibt „Steady Sense“ auch ein Smart Thermometer für den Heimgebrauch sowie einen Ovulationstracker. Beide Systeme basieren ebenso auf einem smarten Pflaster.
App bindet chronisch Kranke aktiv in die Behandlung ein
Die Software des Grazer Unternehmens „Telbiomed“ kann man sich am ehesten wie ein Therapietagebuch vorstellen. Patienten erfassen mithilfe von Messgeräten ihre Vitaldaten, wie Blutdruck, Gewicht oder Blutzucker. Diese werden automatisch an eine App übermittelt, auf die Ärzte Zugriff haben. Ausgelegt ist das System für chronisch Kranke, die an Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Herzinsuffizienz leiden. Vor allem bei letzterem Krankheitsbild kommt das Selbstmonitoringsystem von „Telbiomed“ fast österreichweit zum Einsatz. Die Rede ist vom Versorgungsprogramm „HerzMobil“, an welchem sich auch die Kages in der Steiermark beteiligt. Auch hier zeichnen Patienten ihre gesundheitsrelevanten Daten auf, um diese anschließend den behandelnden Ärzten zur Verfügung zu stellen. Geschäftsführer Peter Kastner erklärt: „Viele Patienten mit Herzschwäche tun sich anfangs schwer, ärztliche Empfehlungen umzusetzen. Mit dem HerzMobil-Netzwerk und dem Selbstmonitoring gelingt das leichter. Nach drei Monaten telemedizinischer Betreuung wird die Krankheit stabilisiert und das eigenverantwortliche Gesundheitsverhalten verbessert sich. Krankenhausaufenthalte werden nachhaltig reduziert und Ressourcen geschont.“