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© Foto Fischer

Stadt statt Stillstand: Damit die Koralmbahn nicht an Graz vorbeifährt

Mit der Eröffnung der Koralmbahn rückt Graz in das Herz Europas. Damit eröffnen sich  Entwicklungspotentiale, die von der derzeitigen Stadtregierung zu einem großen Teil links liegen gelassen werden. Die Wirtschaft reagiert mit einem Maßnahmenpaket.

Lesedauer: 5 Minuten

Aktualisiert am 11.12.2025

„Erst wenn der letzte Händler zugesperrt hat, die Industrien stillstehen und niemand mehr Unternehmer:in sein will, werdet ihr erkennen, dass die Stadt von Verkehrsberuhigung und Sozialpolitik allein nicht leben kann“ – ein Faktum, das die Wirtschaftskammer im Namen der Grazer Unternehmerinnen und Unternehmer heuer zum Kernsatz einer neuen Kampagne gemacht hat. Diese wird nun fortgesetzt, so Bernhard Bauer, Obmann der WKO Regionalstelle Graz: „Weil es ein starkes Zeichen braucht. Im Rathaus schaut man noch immer an vielen Problemen vorbei und lässt Potentiale ungenutzt“, kritisiert Bauer. So auch den Start der Koralmbahn, diese sei für Graz eine Jahrhundertchance. Aus diesem Grund hat Bauer gemeinsam mit renommierten Unternehmerinnen und Unternehmern konkrete Lösungsvorschläge erarbeitet, darunter Thomas Böck von Kastner & Öhler, Markus Ritter, Geschäftsführer Marienhütte, Claudia Kocher-Peschl, u.a. Organisatorin des Zinzengrinsens sowie Finanzexperte Anton Maresch. Um die wirtschaftlichen Chancen, die sich durch die Koralmbahn für Graz ergeben, nutzen zu können, brauche es umfangreiche Maßnahmen. Im Detail:

  • Urbanität fördern & touristische Angebote ausbauen
  • Von der erhöhten Erreichbarkeit profitiert Graz nur dann, wenn es gelingt, die Stadt wieder zu einem Ort der Begegnung zu machen, einem Ort, an dem das Wort Urbanität kein Fremdwort ist und an dem das Motto gilt: Stadt statt Stillstand und unternehmen statt unterlassen! Aus unserer Sicht der Wirtschaft müssen in diesem Zusammenhang vor allem folgende Punkte umgesetzt werden:
    • Liberalisierung der Veranstaltungsregelwerke
    • Sperrzeiten: Sommer- & Wintergastgärten realisieren. In Klagenfurt dauert die Gastgartensaison z. B. zwei Monate länger und die Sperrstunde endet erst um 24 Uhr. Eine solche Regelung wäre auch für Graz wünschenswert.
    • Belebung der Plätze: Entwicklung eines Veranstaltungskonzepts unter Einbeziehung der lokalen Wirtschaft.
    • Lebensader Mur entwickeln: Umsetzung einer attraktiven Flaniermeile mit gastronomischen Angeboten und Prüfung einer Surfwelle als neuem Highlight. „Am Beispiel Maribor ist gut zu sehen, welche Chance die Belegung eines Flussufers für die Stadt sein kann“, so Bauer.
    • Bessere Koordinierung der touristischen Angebote mit Kärnten und der Stadt Klagenfurt.
       
  • Pragmatische Verkehrslösungen
  • Mit der Koralmbahn wird die überregionale Erreichbarkeit der Stadt Graz enorm steigen. Innerhalb der Stadt gibt es aber – trotz neuer Innenstadtentflechtung – noch zahlreiche verkehrstechnische Baustellen, die u.a. zum Rückgang der Innenstadtfrequenz beitragen. Besonders im Norden von Graz fehlt nach wie vor die Umsetzung eines Nahverkehrsknotens. Der P+R Parkplatz Weinzödl stößt mittlerweile an seine Kapazitätsgrenzen, daher wären weitere P+R –Areale (Kreuzung Grazer Straße, Grabenstraße) mit Straßenbahnanbindung notwendig. Weitere Maßnahmen:
    • Nahverkehrsknoten Gösting, der die Verkehrsströme aus dem Norden kommend besser verteilen kann (Bahnanbindung, Bahnhof Gösting, Straßenbahnanbindung). Dies sollte mit dem kapazitätserweiterndem Bahnausbau Graz – Frohnleiten einhergehen. Man darf nicht vergessen, dass Graz rund 110.000 Einpendler täglich hat (90.000 Erwerbstätige und 20.000 Schüler) und damit zu den am stärksten aus dem Umland frequentierten Städten Österreichs gemeinsam mit Linz und Wien zählt.
    • Erreichbarkeit der Innenstadt auch für den Individualverkehr: Der bereits umgesetzte Rückbau von Parkplätzen muss durch zentrumsnahe Park-Alternativen kompensiert werden. In Maribor beispielsweise wurden Durchzugsstraßen zu Fußgängerzonen umgestaltet, allerdings wurden die dabei entfallenen Parkplätze in unmittelbarer Nähe durch Hoch- und Tiefgaragen ersetzt.
    • Ebenso gilt es die wesentlichen schulischen, außerschulischen und universitären Einrichtungen bestmöglich zu bedienen. Im Hinblick auf die wesentlichen Arbeitgeberbetriebe gilt es erprobte Konzepte zu reaktivieren.  
  • Eigenverantwortung ernst nehmen
  • Die Koralmbahn ist mehr als eine neue Zugverbindung – sie ist eine Chance. Eine Chance für Menschen, Regionen und Unternehmen, die Zukunft aktiv zu gestalten. Wer sie erkennt und nutzt, handelt unternehmerisch. Wer sie ignoriert, wird zum Unterlasser. Steiermark und Kärnten sind seit Jahrhunderten verbunden – heute können wir diese historische Nähe neu leben: Die Koralmbahn bringt Alt und Jung, Familien, Vereine, Studierende und Pendler zusammen. Sie eröffnet Möglichkeiten für Kultur, Tourismus und Wirtschaft – und macht Mobilität zum Erlebnis. Doch damit diese Chancen Realität werden, braucht es mehr als Infrastruktur: Wir müssen in Graz dringend Deregulierung vorantreiben. Weniger bürokratische Hürden bedeuten mehr Raum für Innovation, Investitionen und neue Ideen. Nur so können wir die Potenziale der Koralmbahn voll ausschöpfen und Graz als dynamisches Zentrum im Süden Österreichs positionieren. Maßnahmen, die dabei helfen würden:
    • Einführung des Grundsatzprinzips „beraten statt bestrafen“
    • Grazer Altstadterhaltungsgesetz (GAEG) novellieren
    • Ämter zu Dienstleistern weiterentwickeln 
  • Unternehmen statt unterlassen
  • Städte sind im Wettbewerb – ob sie es wollen oder nicht. Graz kann nicht erfolgreich sein, wenn man sich der wirtschaftlichen Stärken des Standorts abseits des F&E-Sektors nicht bewusst ist. Graz war über Jahrzehnte hinweg nicht nur das verwaltungs-, bildungs- und handelsmäßige Herz der Steiermark, sondern auch ein wichtiger Motor im Bereich Industrie und Gewerbe. Letztere bildeten im Tandem mit den Hochschulen sogar das Rückgrat des Wirtschaftsstandorts Graz. Dieses Rückgrat droht uns mehr und mehr abhanden zu kommen. Zum einen, weil die Weiterentwicklung von Industrie und Gewerbe mangels Gewerbeflächen und raumordnungsrechtlichen Auflagen verunmöglicht wird und zum anderen, weil neben der Erschwerung der Erreichbarkeit und Verschlechterung der Standortqualität auch das allgemeine Bewusstsein in Politik und Verwaltung fehlt, wie bedeutend dieser Bereich für den Arbeitsmarkt und den Wohlstand ist. Lange Verfahren und bürokratische Hürden runden das Bild einer Stadt ab, die in diesem Bereich weit weg von jener Strahlkraft ist, die sie durch die Koralm-bahn haben könnte. Gefordert wird:
    • Bewusstsein für Leitbetriebe & Ansiedlungsmanagement
    • Schutz bestehender Gewerbe- und Industriebetriebe vor heranrückender Wohnbebauung
    • Sicherung der Flächenpotenziale (Neuansiedlung/Erweiterung) & aktives Flächenrecycling mit Fokus auf Raumordnungskategorie Industrie/Gewerbe
    • Sicherung der Zu- und Abfahrtmöglichkeiten nach Infrastrukturumbauten (zum Beispiel Abbiege-Thematik Peter-Tunner-Gasse)
    • Vorantreiben des Breitbandausbaus in der Stadt Graz  
  • Finanzielle Nachhaltigkeit
  • Der Großraum Graz erwirtschaftet rund 46 % der gesamten steirischen Wirtschaftsleistung, was einem Bruttowert von etwa 23,5 Mrd. Euro entspricht. Knapp die Hälfte aller steirischen Beschäftigten (48 %) arbeitet in dieser Region; 38 % direkt in Stadt Graz und weitere 10 % im Umland. Diese Kennzahlen unterstreichen die überregionale Bedeutung des Wirtschafts- und Arbeitsmarktraums Graz. Entwicklungen innerhalb der Stadtgrenzen wirken sich somit weit über die Stadt Graz hinaus auf die Steiermark, insbesondere die an Graz angrenzenden Bezirke, aus.
  • In den vergangenen 15 Jahren ist die Zahl der Arbeitgeberbetriebe in Graz in für urbane Zentren besonders wichtigen Branchen zum Teil massiv eingebrochen. So zum Beispiel in der Wirtschaftsklasse Handel von 1.977 im Jahr 2008 auf zuletzt 1.616 – das entspricht einem Minus von 18,3 Prozent. Ähnliches gilt für die Industrie, wo der Rückgang im selben Zeitraum 17,7 Prozent beträgt: Zählte Graz 2008 noch 581 Industriebetriebe, so sind es heute 478. Durch den Rückgang von Arbeitgeberbetrieben in wichtigen Branchen fällt auch die Kommunalsteuerentwicklung unterdurchschnittlich aus. Diese ist zwischen 2000 und 2024 in Graz real gerade einmal um magere sechs Prozent gestiegen. Zum Vergleich: In Graz-Umgebung hat die Kommunalsteuer im selben Zeitraum um 84 Prozent zugenommen. Darum braucht es:
    • Mehr Fokus auf unternehmerische Rahmenbedingungen
    • Eindämmen der Schuldenpolitik: 2002 wies die Stadt Schulden in der Höhe von 470 Millionen Euro aus, heute sind es rund 1,9 Milliarden Euro. Bereits jeder dritte Euro geht in die soziale Wohlfahrt. Graz weist hier mit Pro-Kopf-Ausgaben von durchschnittlich 1.885 Euro pro Einwohner einen österreichweiten Spitzenwert auf. Linz liegt im Vergleich dazu bei 1.099 Euro.
    • Finanziellen Spielraum für Zukunftsinvestitionen.