Neue Spielregeln im Welthandel: 30 Jahre EU und die Tiroler Exporterfolge
30 Jahre EU-Mitgliedschaft haben Tirols Wirtschaft global geöffnet – doch der Handel folgt heute neuen Gesetzen. Handelsabkommen, Lieferketten und geopolitische Risiken prägen die Entscheidungen der Unternehmen. Der europäische Binnenmarkt bleibt das Fundament, doch Wachstum entsteht längst auch jenseits seiner Grenzen. Tirols Wirtschaft gehört heute zu den exportorientiertesten Wirtschaften weltweit.
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Als Österreich 1995 der Europäischen Union beitrat, war der Schritt für Tiroler Unternehmen ein Befreiungsschlag: Zollschranken fielen, Märkte öffneten sich, Bürokratie wurde abgebaut. Seither hat sich Tirols Außenhandel mehr als verfünffacht. Vor allem Deutschland, Italien und die Schweiz blieben stabile Partner. Doch das eigentliche Erfolgsrezept lag in der europäischen Einbindung – und in den Handelsabkommen, die den Weg auf neue Märkte ebneten. „Der EU-Beitritt war für Tirol ein wirtschaftlicher Aufbruch. Wir profitieren bis heute von den Grundfreiheiten des Binnenmarktes“, sagt WKT-Präsidentin Barbara Thaler.
Handelsabkommen als Wachstumsmotor
Freihandelsabkommen wie CETA (Kanada), JEFTA (Japan) oder Mercosur (Südamerika) öffnen Märkte, reduzieren Zölle und schaffen rechtliche Sicherheit. Davon profitierten auch Tiroler Exporteure aus Nischenbranchen – von Medizintechnik bis Maschinenbau. Das zeigt sich besonders deutlich beim CETA-Abkommen mit Kanada. David Lindner, geschäftsführender Gesellschafter von Lindner Traktoren, berichtet: „Durch die vereinfachte Straßenzulassung und Verzollung haben wir sehr davon profitiert. Bisher konnten wir durch CETA schon über 50 Fahrzeuge nach Kanada liefern und mit den europäischen Zulassungspapieren relativ einfach auch die kanadische Zulassung bekommen. Ohne dieses Handelsabkommen wären wir als kleiner Fahrzeughersteller noch nicht so weit.“ Auch das Mercosur-Abkommen mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay steht kurz vor dem Abschluss. Nach jahrelangen Verhandlungen strebt die EU-Kommission eine Unterzeichnung noch im Jahr 2025 an. Der Mercosur-Raum repräsentiert 273 Millionen Menschen. Für Tiroler Unternehmen würde das Abkommen nicht nur Zölle senken, sondern auch den Zugang zu kritischen Rohstoffen sichern und Lieferketten diversifizieren.
Neue Risiken, andere Realitäten
Der Welthandel hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Pandemie, Ukraine-Krieg und geopolitische Spannungen haben Schwachstellen offengelegt. Lieferketten sind anfälliger geworden, Energiepreise volatiler, politische Stabilität kein Selbstläufer mehr. Wir erleben gerade das Ende einer Ära, in der offene Märkte selbstverständlich waren. Doch nicht nur externe Schocks fordern die europäische Wirtschaft heraus – auch die EU selbst muss sich dringend weiterentwickeln. Denn während nach außen Handelsabkommen verhandelt werden, bremsen interne Barrieren das Wachstum. „Der EU-Binnenmarkt hat damit an Bedeutung noch gewonnen – und seine Vertiefung, damit das volle Potential ausgeschöpft werden kann, ist wichtiger denn je. Gleichzeitig würden EU-Handelsabkommen mit wichtigen Außenhandelsländern den Tiroler Unternehmen bei der Diversifizierung ihrer Exportmärkte helfen.“, betont Gregor Leitner, Vizedirektor der WKT und Leiter der Außenwirtschaft. Unternehmen müssten diversifizieren, neue Bezugsquellen erschließen und regionale Resilienz aufbauen – ohne den europäischen Rahmen aus den Augen zu verlieren. Die Europäische Union reagierte darauf mit neuen Strategien: Der „Open Strategic Autonomy“-Ansatz soll die Abhängigkeit von einzelnen Lieferländern verringern und zugleich die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Für Tiroler Betriebe bedeutet das, ihre internationalen Aktivitäten breiter aufzustellen – nicht gegen, sondern mit Europa. In Zeiten zunehmender Unsicherheiten und wachsenden Handelsbarrieren gewinnen internationale Handelsabkommen eine neue Bedeutung. Sie schaffen Planungssicherheit für Tiroler Exportunternehmen und helfen, trotz globaler Krisen stabil zu bleiben.
Zwischen Brüssel und den Bergen
Gerade für exportorientierte Regionen wie Tirol bleibt die EU der wichtigste Hebel, um international präsent zu sein. 63 Prozent aller Tiroler Exporte gehen in EU-Länder, doch die stärksten Wachstumsraten entstehen außerhalb Europas. Diese Dynamik verlangt ein neues Selbstverständnis: Tirol agiert global, aber auf europäischem Fundament. Gleichzeitig zeigt sich: Auch innerhalb der EU gibt es noch ungenutztes Potenzial. Denn trotz Binnenmarkt existieren noch immer Handelsbarrieren zwischen den EU-Ländern – deutlich höher als etwa zwischen US-Bundesstaaten. Unterschiedliche technische Standards, abweichende Zulassungsverfahren oder nationale Sonderregelungen kosten Unternehmen Zeit und Geld. Was auf dem Papier ein einheitlicher Markt ist, bedeutet in der Praxis oft 27 verschiedene Regelwerke. Der Abbau dieser internen Hemmnisse wäre ein wichtiger Schalter für zusätzliches Wachstum – und ein Zeichen, dass Europa seine Hausaufgaben ernst nimmt. Viele Unternehmen arbeiten bereits mit Partnern in Asien oder Nordamerika zusammen – oft unterstützt durch die Außenwirtschaftsorganisation der Wirtschaftskammer. Hier wird sichtbar, wie stark Handelsabkommen in der Praxis wirken: Sie ermöglichen Markteintritte, erleichtern Zertifizierungen und schützen geistiges Eigentum. Gleichzeitig wächst der Druck, politische Entwicklungen mitzubedenken. Sanktionen, Zolländerungen oder geopolitische Spannungen können über Nacht Geschäftsmodelle verändern. Unternehmerisches Handeln erfordert heute mehr außenpolitisches Bewusstsein als je zuvor.
Ein Blick nach vorn
Nach drei Jahrzehnten EU-Mitgliedschaft zeigt sich: Tirol hat den Binnenmarkt genutzt und gelernt, im globalen Wettbewerb zu bestehen. Doch die Spielregeln haben sich geändert. Europa bleibt wirtschaftliche Heimat, Brüssel bleibt Taktgeber, doch Erfolg entscheidet sich zunehmend an der Fähigkeit, internationale Chancen zu erkennen und Risiken zu meistern. „Die EU ist und bleibt ein Erfolg für Tirol – aber sie darf nicht stehenbleiben. Ja, wir stehen vor neuen Herausforderungen, aber genau darin liegt auch die Chance“, betont WKT-Präsidentin Barbara Thaler. „Unsere Unternehmen haben bewiesen, dass sie innovativ, flexibel und wettbewerbsfähig sind. Mit klugen Handelsabkommen, starken europäischen Partnerschaften und dem Mut, neue Märkte zu erschließen, werden wir auch die nächsten 30 Jahre erfolgreich gestalten.“ 30 Jahre nach dem Beitritt bleibt Tirols Wirtschaft trotz der aktuellen Herausforderungen robust und anpassungsfähig. Die europäische Integration war der Schlüssel – doch die Zukunft entscheidet sich auf den Weltmärkten. Handelsabkommen sind dabei nicht nur Verträge auf Papier, sondern Werkzeuge, die Wohlstand sichern.